consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – Folge #09 – 13.09.2024
consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast
mit Prof. Mathias Pletz
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Hast du ´nen Stich? Klimawandel und Vektor-assoziierte Krankheiten
Zu Gast heute:
PD PROF. DR. TOMAS JELINEK.
Prof. Mathias Pletz …
… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Mathias Pletz.
Mathias Pletz: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das ist eine neue Folge von consilium infectiorum, dem infektiologischen Klinik-Podcast. Mein Name ist Mathias Pletz, und ich begrüße unseren heutigen Gast, Herrn Professor Tomas Jelinek. Er ist Facharzt für Innere Medizin, er hat die Zusatzbezeichnungen in Tropenmedizin und Infektiologie, und Sie kennen ihn sicherlich von vielen reisemedizinischen Schriften. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Reisemedizin in Düsseldorf, medizinischer Direktor des Berliner Zentrums für Reise- und Tropenmedizin, er berät die WHO, und er ist auch Präsident der Deutschen Fachgesellschaft für Reisemedizin. Wir haben also einen echten Experten für Vektor-assoziierte und Reise-assoziierte Erkrankungen, und ich freue mich, dass er die Zeit für uns gefunden hat. Herzlich willkommen, Herr Jelinek!
Tomas Jelinek: Ja, vielen Dank, Herr Pletz, und vielen Dank für die Einladung. Ich freue mich, da zu sein.
Mathias Pletz: Und dann würden wir auch gleich mit unseren Fragen beginnen. Wir hatten ja als Titel gewählt: Vektor-assoziierte Erkrankungen und Klimawandel, und ich glaube, jeder bekommt mit, dass tatsächlich bestimmte Erkrankungen, die in der Vergangenheit eher exotisch waren, jetzt häufiger auftreten. Da ist sehr viel Dynamik drin. Also mir fällt spontan Dengue ein, was vor zehn Jahren noch eine sehr seltene Differentialdiagnose war. Wir sehen, dass sich die FSME-Impfempfehlungen von Jahr zu Jahr weiter nach Norden verschieben. Was sind aus Ihrer Sicht Vektor-übertragbare Erkrankungen, die Sie aktuell als große Bedrohung für Reisende sehen und die vielleicht auch autochton, also auch in Deutschland sich manifestieren könnten?
Menschliche Einflüsse schon zur Kolonialzeit
Tomas Jelinek: Das ist natürlich ein Thema der Zeit. Tatsächlich, Vektoren breiten sich aus, und der Klimawandel spielt eine Rolle. Man muss aber sagen, dass wir den Klimawandel gar nicht unbedingt brauchen, um Vektor-übertragene Krankheiten häufiger zu machen. Das haben wir schon sehr viel früher auch hinbekommen, schon während der Kolonialzeit zum Beispiel. Gelbfieber hat sich ausgebreitet durch den Handel mit Menschen und durch die Zuckerrohrplantagen in der Kolonialzeit und wurde zu einer großen Plage dann in der Karibik und in Südamerika, wo es vorher gar nicht vorkam. Das war eine rein westafrikanische Krankheit ursprünglich, und die Mücken, die es übertragen haben, kamen auch im Wesentlichen in Westafrika vor. Also das war schon deutlich vor der Klimaerwärmung, die wir jetzt unbestreitbar haben.
Vektoren, die profitieren, wenn die Welt wärmer wird
Tomas Jelinek: Und diese Vektoren profitieren natürlich davon, wenn die Welt wärmer wird. Da ist im Moment sicherlich, wenn man auf Reisende schaut, die Übertragung durch Tigermücken, also Aedes, insbesondere die Gelbfiebermücke Aedes aegypti und die asiatische Tigermücke Aedes albopictus vordringlich. Das sind Mücken, die den Menschen mögen, die brüten gerne in Städten, sind Kulturfolger, die kommen also sehr nah an uns dran, brüten in Abwasserkanälen, Müllhalden und so weiter. Wir sind ja unheimlich gut darin, so etwas anzulegen, solche Brutgebiete für diese Mücken, und die reisen gerne. Sie fahren tatsächlich auch gerne Schiff, auf Frachtschiffen etc., und das haben sie großartig genutzt in den letzten Dekaden. Hinzu kommt, dass es eben wärmer wird und dadurch natürlich auch die Brutmöglichkeiten auf der Nordhalbkugel und auch im Süden sich ausbreiten. Alles, was von diesen Tigermücken übertragen wird, hat massiv zugenommen. Da ist ganz vorne das von Ihnen angesprochene Dengue-Fieber, tatsächlich, das man wirklich als Pandemie bezeichnen kann, die sich schon seit Jahren aufbaut, von uns im Westen lange ignoriert wurde, weil es uns einfach nicht so stark betroffen hat. Aber mittlerweile ist es auch für uns eigentlich sehr sichtbar, weil es doch sehr viele Länder betrifft und eben auch zunehmend Fälle in Europa auftreten. Dann auch Krankheiten wie Chikungunya, wie Zika, also Viruskrankheiten, die von diesen Mücken übertragen werden. Das ist, wenn man jetzt mit Reisen zu tun hat, die außerhalb Europas unterwegs sind, sicherlich eins der vordringlichen Beratungsthemen, die wir haben. Bei Weitem nicht das einzige. Es gibt auch andere Vektor-übertragene Krankheiten, die eine Dynamik drin haben. Malaria zum Beispiel, die klassische Mücken-übertragene Krankheit, über die wir ja schon immer gesprochen haben, verändert sich auch. Die Malariamücken haben zwar den Nachteil, dass sie sauberes Wasser brauchen zum Brüten, und das heißt, dass sie aus urbanen Gebieten eher weggedrängt werden, in den meisten Fällen. Aber sie profitieren davon, dass die Welt wärmer wird und deswegen der Sauerstoffpartialdruck in der Höhe ansteigt und sie damit in Gebiete vordringen können, in denen sie ganz lange oder vielleicht auch noch nie vorhanden waren. Zum Beispiel Höhenlagen oder mittlere Lagen im Himalaya. Das Kathmandu-Tal hat Malaria seit ein paar Jahren, das erste Mal seit Menschengedenken. Die Hänge des Kilimanjaro haben Malaria, und auch in den Anden sehen wir einen Anstieg. Das ist neu, das hatten wir vorher nicht, und das hat natürlich auch Konsequenzen für die Beratung von Reisenden.
Über welche Präventionsmaßnahmen jetzt nachdenken?
Mathias Pletz: Sie hatten ja die autochthonen Fälle auch schon angesprochen. Ich erinnere mich, 2007 gab es, glaube ich, den ersten Ausbruch von Chikungunya in Europa, damals in Norditalien. Wir haben jetzt autochthone Fälle, Dengue auch in Südfrankreich, hatte ich gesehen. In Deutschland hatten wir ja, das ging in der Pandemie etwas unter, West-Nile-Virus, wo Fälle aus Sachsen gemeldet wurden. Ich selbst war 2003 am CDC für einen Post-Doc, und damals kam West-Nile gerade in den USA an, und man muss sagen, innerhalb von, ja, weniger als zehn Jahren hat sich der Erreger wirklich von der Ostküste komplett über den gesamten Kontinent ausgebreitet. Also, die Dynamik finde ich immer sehr beeindruckend. Borna-Virus, da gibt es auch jetzt wieder Fälle, die genannt werden. Würden Sie schon so weit gehen, dass wir uns in Deutschland – also nicht Reise-assoziiert – dass wir uns in Deutschland schon Gedanken um Mückenschutz machen müssten, wie in südlichen Ländern auch? Also, würden Sie schon Fliegengitter empfehlen oder Mückengitter empfehlen? Würden Sie zum Mückenschutz raten, wenn man hier spazieren geht, also im Wald oder so? Wäre schon dieser Zeitpunkt, oder sagen Sie, das ist noch zu früh?
Tomas Jelinek: Es ist unbestreitbar, dass Vektoren, die wir früher nicht hatten, sich in Deutschland ausbreiten. Insbesondere eben die asiatische Tigermücke hat eine beeindruckende Karriere hingelegt. Sie wurde erstmals 2007 im Rheintal entdeckt, aus Italien kommend sehr wahrscheinlich, und hat sich mittlerweile über große Gebiete, vor allen Dingen West- und Süddeutschlands ausgebreitet, wurde letztes Jahr auch das erste Mal in Berlin entdeckt tatsächlich. Also, das ist schon eindrucksvoll. Sie kommt offensichtlich durch unseren Winter hindurch. Der ist halt milder geworden. Das kommt der Mücke entgegen. Es ist aber trotzdem nur die Mücke. Es ist nicht so, dass alle Mücken natürlich automatisch infiziert sind. Tigermücken sind zwar lästig, also die machen schon auch unangenehme Stich-Effekte, aber das heißt ja noch lange nicht, dass man krank wird. Man muss auch sehen, in Ländern, wo wir diese autochthonen Übertragung bereits seit einigen Jahren sehen – Frankreich zum Beispiel hat das schon seit 2013 eigentlich regelmäßig, dass Dengue übertragen wird, jedes Jahr im Land – da sind es ja keine großen Ausbrüche. Das heißt ja, wir werden sicherlich in den nächsten Jahren auch autochtone Übertragungen in Deutschland sehen von eigentlich ja eher exotischen oder tropischen Infektionen wie zum Beispiel Dengue-Fieber oder Chikungunya. Das wird sicher passieren, und ich denke, da muss man ein bisschen aufpassen, dass man die Füße so einen Tack still hält und nicht zu viel Aufregung zulässt, weil es natürlich keine große Seuchen-Welle geben wird, die das Land dann sieht. Das werden Cluster sein, also kleinere Ausbrüche von – natürlich Pechvögeln, die es dann abgekommen – aber eben überschaubar. Vielleicht Dutzende von Fällen. Bei Chikungunya können es auch mal 200, 300 sein, das hat Italien eben gezeigt. Aber trotzdem hält es sich dann regional sehr stark in Grenzen, und deswegen grundsätzlich zu sagen: „Die Mücken sind alle gefährlich“, ist sicher übertrieben.
Nichtsdestotrotz muss man natürlich schauen, dass man a) die Brutgebiete vielleicht anfängt einmal zu reduzieren. Es wäre natürlich schlau, früh schon damit anzufangen, dass man vielleicht über Kontrollmaßnahmen nachdenkt. Es gibt ja Ansätze, auch bei den Tigermücken, wie man sie in ihrer Ausbreitung reduzieren kann. Da gibt es großartige Beispiele aus Singapur zum Beispiel. Sie haben es recht gut hinbekommen durch Ausbringen von Mückenstämmen, die mit bestimmten Bakterien infiziert waren, Wolbachien, wobei die wiederum die Infektionsraten mit Viren reduzieren bei diesen Mücken. Es ist faszinierend zu sehen, wie man die Biologie dann eben dann doch beeinflussen kann. Über so etwas sollten wir vielleicht anfangen nachzudenken, bevor wir die ersten Ausbrüche sehen, tatsächlich. Bei West-Nil, was Sie angesprochen haben, ist die Situation ein bisschen anders. Da sind die Mücken ja grundsätzlich schon da. Das ist vor allem Culex pipiens, welche in Deutschland normal vorkommt, das ist nichts Neues. Was sich da verändert hat, ist das Verhalten der Zugvögel, die das Reservoir dieses Virus sind und die ihre Reiserouten zum Teil verlagert haben, sehr wahrscheinlich auch aufgrund der globalen Erwärmung, weil sie eben festgestellt haben, dass sie in Südspanien auch überwintern können. Sie müssen nicht mehr nach Afrika fliegen, das machen sie dann zum Teil auch. Also, wir haben neue Zugvögelströme, die über Zentraleuropa – aus dem Norden über Zentraleuropa nach Südeuropa gehen – und dann rasten sie eben im Spätsommer auch in Deutschland, und dann können Viren, die in den Zugvögeln drin sind, über unsere Mücken, die schon da sind, übertragen werden auf Menschen. Das ist sehr schwer zu verhindern. Man wird diese Mücken, die schon da sind, natürlich nicht davon abhalten können, die Vögel zu stechen, und damit können Infektionen beim Menschen auftreten. Aber das sind wenige Fälle. Das sind wirklich auch nur Einzelfälle bis kleine Fallzahlen. Und hier ist natürlich einfach immer das Entscheidende: Man sollte sich möglichst wenig stechen lassen von Mücken in Gebieten, wo dieses Potenzial besteht. Sprich: Guter Mückenschutz spielt eine Rolle, auch bei der Beratung, zukünftig sicher auch zunehmend bei uns, insbesondere eben, wenn man solche Sachen wie Vogelbeobachtung macht, also in solche Gebiete geht, wo die Vögel häufiger sind. Und das andere ist natürlich potenziell in der Zukunft ein Individualschutz durch Impfung. An denen wird gearbeitet, beziehungsweise sie sind schon da. Bei Dengue können wir schon impfen, Chikungunya werden wir nächstes Jahr impfen können, West-Nil ist in der Pipeline. Das ist als Individualschutz sicherlich mit das Effektivste, das man dann machen kann, wenn man von einer Exposition ausgeht.
Dengue, Chikungunya, West-Nil denkbar? Übliche Infektionsabklärung
Mathias Pletz: Über Impfungen werden wir im Laufe dieser Podcastfolge auf jeden Fall noch detaillierter sprechen. Vielleicht noch einen Schritt zurück. Für den klinisch tätigen Arzt, zum Beispiel in der Notaufnahme, bedeutet das ja auch, dass er vielleicht auch bei Patienten ohne Reise-Anamnese solche Erreger, zumindest differentialdiagnostisch in bestimmten Konstellationen, mit in Erwägung ziehen sollte. Problem ist sicherlich: Ein großer Teil dieser Infektionen verläuft ja auch asymptomatisch. Deswegen werden die Kranken wahrscheinlich immer nur die Spitze des Eisbergs sein. Aber was wäre denn so ein Patienten-Phänotyp in der Notaufnahme, wo man an Dengue, Chikungunya und West-Nile denken sollte?
Tomas Jelinek: Ja, die Differentialdiagnose des Fiebers in der Notaufnahme wird sicherlich nicht einfacher. Das ist keine Frage. Auf der anderen Seite haben wir natürlich auch mehr Tools, mehr Diagnostik gegenüber früher zur Verfügung. Wenn Sie jetzt die Reise-Anamnese weglassen, die ist natürlich ein wichtiges Detail. Wenn man weiß, der Mensch war unterwegs, dann gibt es ein ganz anderes Spektrum. Aber, wenn man sagt: ‚Okay, der war nirgendwo‘, dann hängt es ein bisschen an der Jahreszeit. Also, Sie werden natürlich in den kalten Monaten, in denen die Mücken nicht aktiv sind, keine dieser Arten von Infektion in der Notaufnahme sehen, weil die Inkubationszeiten in aller Regeln sehr kurz sind. Das sind ja ganz überwiegend Krankheiten, die sich innerhalb von ein bis zwei, zweieinhalb Wochen manifestieren, und dadurch ist die Zeitspanne sehr überschaubar. Wenn es aber halt warm ist, Mücken aktiv sind, die Jahreszeiten passt quasi, nehmen wir jetzt den Spätsommer, und es kommt jemand mit Fieber im Spätsommer in die Notaufnahme, dann könnte er natürlich Dengue, Chikungunya, West-Nil haben. Das wäre grundsätzlich möglich. Dann sind die Symptome allerdings sehr unspezifisch, weil der Körper halt nur eine begrenzte Möglichkeit hat zu reagieren auf eine Virämie oder überhaupt auf Fremdantigene im Blut, nämlich mit Fieber, Kopfschmerzen, grippaler Symptomatik, mehr oder weniger Lymphknotenbeteiligung. Das ist ja immer ein sehr ähnliches Krankheitsbild. Manchmal gibt’s einen Hautausschlag, der ein bisschen komisch ausschaut. Das ist bei Dengue insbesondere der Fall, auch mal bei Chikungunya. Kommt aber relativ spät, dieser Hautausschlag, meistens erst so nach vier, fünf, sechs Tagen. Das heißt, die Patienten präsentieren sich oft früher schon, weil sie vorher schon Kopfschmerzen, Fieber und Gliederschmerzen haben, und dann bleibt nur die allgemeine Abklärung. Schauen, zeigt das Differentialblutbild Hinweise für eine Virusinfektion, zum Beispiel, und da muss man natürlich auch in diese Richtung weiterdenken. Also, das übliche Vorgehen in der Infektionsabklärung. Erst einmal relativ simpel: Differentialblutbild, Zeichen einer Infektion, wo geht das hin, in welche Richtung? Eher bakteriell, eher viral, und dann muss man sich entsprechend weiterhangeln. Da wird man natürlich an so seltene Dinge wie West-Nil wahrscheinlich nicht von vornherein denken. Aber, wenn man dann mitbekommt, dass es Fälle gibt – es ist ja oft nicht der Einzige, ist ja oft nicht ein Einzelfall, sondern oft eine Gruppe von Leuten, die betroffen sind – dann ist es natürlich schon gut, wenn man auch in die Richtung weiterdenkt. Also sollte man auch immer so ein bisschen am Puls der Nachrichten sein. Das ist der Vorteil dieser Art von Infektionen. Sie werden auch schnell wahrgenommen und werden dann eben auch schnell publiziert, heutzutage oft tagesaktuell. Dann kriegt man diese Info auch, da ist „etwas im Busch“, da könnten auch meine Patienten betroffen sein.
Mathias Pletz: Und um das jetzt ein bisschen zu konkretisieren: Angenommen, es ist Spätsommer, häufig ist das ja auch von der Organmanifestation her so Richtung Encephalitis, Pneumonien gibt’s de facto eigentlich nicht. Ich habe noch nie davon gelesen, dass es Konstellationen gab, wo Infiltrat nachweisbar gewesen wäre. Also läuft es wahrscheinlich vor allen Dingen oft auf die Encephalitis oder allgemeines Fieber ohne Fokus hinaus. Um die häufigsten Erreger jetzt einmal durchzugehen, was wäre denn die adäquate Diagnostik? Also Dengue, Chikungunya, West-Nile.
Diagnostik, encephalitische Symptome, Schmerzen
Tomas Jelinek: Ja, die Encephalitis sehen wir, wenn, dann eher beim West-Nile. Das ist ja eine Zoonose, bei der wir letztendlich einen Fehlwirt darstellen. Also, es ist eine „Panne“, biologisch gesehen, aus Sicht des Virus. Wir sind keine gescheiten Amplifikationswirte, und mit einer Quote von 1:150 gibt es eine Encephalitis bei den Infizierten. Da sind die Symptome sehr, sehr schwer zu greifen, weil die Patienten ein ganz buntes Krankheitsbild zeigen, also entsprechend Konzentrationsstörung, Agitation, psychotische Symptome, epileptische Anfälle, was auch immer. Vorausgegangen ist aber typischerweise eine fieberhafte Episode. Die kann mild gewesen sein, quasi im Sinne einer Sommergrippe. Aber das war die Erstmanifestation der Virämie. Dann beruhigt es sich typischerweise etwas, und dann gibt es diese zweite Welle mit dieser Encephalitis. Und dann ist halt natürlich die Frage, wann man den Patient sieht. Oft erst in dieser stärkeren Manifestation, und dann ist ja schon eine Weile Antigenkontakt gewesen, und dann kann man tatsächlich häufig bei diesen Patienten schon serologisch etwas nachweisen, also sprich einen Antikörpertest machen auf West-Nil, wenn man spezifisch in diese Richtung denkt oder alternativ natürlich ein Virusnachweis, Direktsuche mit einer PCR. Das geht sehr schnell und sehr gut. An Dengue, Chikungunya muss man bei solch einem Patienten nicht denken. Das ist sehr, sehr selten, dass sie encephalitische Symptome kriegen. Sie haben dafür viel ausgeprägtere Allgemeinsymptome und kommen auch mit denen – also schon sehr viel früher – weil sie einfach erhebliche Schmerzen haben. Das ist das führende Zeichen bei diesen beiden, sehr viel häufigeren Infektionen. Auch bei Dengue, Chikungunya, tut’s einfach fruchtbar weh. Dengue wird ja von den Briten auch als break bone fever bezeichnet, als „Knochenbrecher-Fieber“, weil die Schmerzen wirklich so ausgeprägt sein können, dass man das Gefühl hat, die Knochen brechen, wenn man sich bewegt. Das ist schon sehr eindrucksvoll, auch für die Patienten logischerweise. Sie kommen dann auch früh, und diese Situation, also Fieber, Kopfschmerzen und diese massiven Schmerzen – beim Chikungunya mehr die Gelenke, beim Dengue mehr die Gliedmaßen – die sollten einen dann in diese Richtung leiten. Da muss man nicht an West-Nil denken. Das ist nicht so schmerzhaft. Es ist in der ersten Phase eher milde, aber führt dann später zu Encephalitis.
Kreuzreaktivität bei Flaviviren? Keine Hinweise
Mathias Pletz: Also den zweigipfligen Verlauf, den sie bei West-Nile beschrieben haben, der ähnelt ja auch dem, was wir von FSME kennen. Es sind ja auch verwandte Viren. Da drängt sich mir gerade die Frage auf, gibt es eigentlich eine Kreuzprotektion zwischen FSME-Impfung und West-Nile? Gibt es da Daten dazu?
Tomas Jelinek: Das ist schwer zu sagen, weil wir relativ wenig Daten haben aus Gebieten, wo viel FSME-geimpft wird und dann eben West-Nile auch aufgetreten ist. Es spricht aber nicht viel dafür. Wir sehen eine Kreuzreaktivität in der Serologie, bei den Flaviviren generell. Das ist immer mal wieder da, stört aber mehr, als dass es hilft, weil es halt oft die Interpretation der Flavivirus-Serologie erschwert. Diese Antikörper sind aber nicht kreuzprotektiv, nach allem, was wir sagen können. Es bestand sogar der Verdacht, dass sie unter Umständen sogar ins Gegenteil durchschlagen könnten, also dass man ein immune enhancement, also eine Verstärkung der Erkrankung bekommen könnte. Dafür spricht aber auch nichts. Zumindest bei den FSME-Geimpften spricht dafür nichts, soweit man das abschätzen kann. Aber es ist nicht protektiv. Also Sie können nicht sagen, ich bin FSME-geimpft – oder Gelbfieber-geimpft, das ist ja auch eine Flavivirus-Erkrankung – also, ich bin Gelbfieber-geimpft und bin deswegen gegen West-Nil geschützt. Das funktioniert leider nicht.
Seltene „Exoten“
Mathias Pletz: Aber ich habe für mich eine wichtige Information mitgenommen: Bei Chikungunya und bei Dengue führen die Schmerzen. Die Patienten präsentieren sich quasi in der Frühphase. Da kommt man wahrscheinlich mit Serologie nicht unbedingt weiter, sondern muss direkt einen Virusnachweis anstreben. Bei West-Nile oder auch FSME kommt der Patient häufig bei dem zweiten Gipfel, und da kann die Serologie schon positiv sein. Das ist doch ein guter klinischer Hinweis. Jetzt gibt’s ja auch noch einige Exoten, die immer wieder mal auftauchen. Wie gesagt, Borna-Viren, da gab es auch in Deutschland Fälle, die beschrieben wurden. Dann gibt’s so etwas wie Rift-Valley-Fieber. Sie sind ja wirklich derjenige, der all diese Infektionen wahrscheinlich tatsächlich schon mal am Patienten gesehen hat und nicht nur gelesen hat. Haben Sie da noch vielleicht so fünf Viren, an die man als Infektiologe denken könnte, wenn die häufigsten Entitäten quasi schon ausgeschlossen sind?
Tomas Jelinek: Borna und Rift-Valley sind schon sehr, sehr seltene Manifestationen. Also ehrlich gesagt, würde ich nicht empfehlen, daran zu denken. Da jagt man eben doch häufig Chimären nach. Insbesondere Borna, kurioserweise eine Zeit lang recht populär, so auch in der Presse. Da gab es viele Anforderungen zur Diagnostik. Es ist aber extrem selten, dass man hier etwas nachweisen kann. Aber wenn man über Kolibris redet: Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber wird in den letzten Jahren auch immer wieder diskutiert. Das ist ja auch eine Zecken-übertragene Krankheit, und diese Art von Zecken, die eigentlich in Zentraleuropa nie vorgekommen waren, sind jetzt eben auch bei uns nachgewiesen worden seit einigen Jahren. Bisher vor allen Dingen bei Pferden gefunden worden, nicht so sehr beim Menschen. Und hier wird eben spekuliert, auch wieder dadurch, dass es wärmer wird, dass die Zecken kommen, dass man hier vielleicht dann auch Fälle sehen wird von Krim-Kongo Hämorrhagischem Fieber – was auch eine Encephalitis macht neben dem hämorrhagischen Fieber. Wär aber sicherlich auch eine sehr, sehr seltene Diagnose im Moment. Also, es ist so unwahrscheinlich, dass man damit zu tun hat! Selbst die häufigen Dinge, also global häufigen Dinge wie Dengue oder Chikungunya, sind bei uns ja erst im Kommen als autochtone Übertragung. Ganz anders bei Reisenden, da sehen wir sie durchaus häufiger. Aber bei autochtonen Infektionen ist es ja eine Rarität, und dann an die noch selteneren Dinge zu denken, wie Krim-Kongo oder Ähnliches, ist, glaube ich, für die Praxis kaum notwendig.
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Vektor-assoziierte bakterielle Erkrankungen – Rickettsiose, Borreliose
Mathias Pletz: Wir hatten jetzt vor allen Dingen über virale Vektor-assoziierte Erkrankung gesprochen. Es gibt natürlich auch bakterielle, da fällt einem – Sie hatten die Zecken gerade genannt – da fällt einem zuallererst natürlich die Borreliose ein. Aber wir haben hier zum Beispiel auch mal den Fall eines Kindes gehabt mit einer Lymphknoten-Tularämie, die wahrscheinlich auf einen Mückenstich zurückzuführen war. Das habe ich auch gelernt, dass auch Bakterien durch Mücken übertragen werden können. Die hat man immer eher mit Zecken assoziiert. Gibt’s da aus Ihrer Sicht Dinge, die sich da jetzt gerade geändert haben, wo man in der Notaufnahme dran denken sollte? Sie haben die Phänotypen bei den Viren sehr schön eingeordnet – so etwas Ähnliches vielleicht auch für die Bakterien?
Tomas Jelinek: Also, was wir mehr sehen, sind tatsächlich Rickettsiosen, die auch durch Zecken übertragen werden können. Das ist vor allen Dingen durch Reisende häufiger geworden. Rickettsia conorii oder africae werden ja durch kleine Zeckenarten, die wir auch schon am Mittelmeer haben, übertragen. Bei uns war das bisher eine seltene Geschichte. Aber wir sehen schon, dass es einen Tack häufiger wird. Hier hat man auch wieder Fieber und Kopfschmerzen, die Allgemeinsymptomatik, aber eben auch in der Regel eine recht typische Effloreszenz durch den Zeckenstich. Das ist recht hilfreich bei dieser Krankheitsgruppe, weil es in der Regel eine schwarze, schwärzliche Effloreszenz an der Stichstelle gibt, die völlig reizlos ist. Es tut nicht weh, aber sie ist da, sie ist auffällig, wenn man die Leute an der Haut untersucht. Typischerweise auch an Stellen, wo sie es selber gar nicht wahrgenommen haben. Es sieht einen Tack so aus wie die Verletzung, wenn jemand eine Zigarette auf der Haut ausgedrückt bekommen hat. Also ein kleiner schwarzer Fleck, der einfach da ist, aber eben nicht wehtut und auch nicht juckt und gar nix. Das ist das Eschar. Das ist bei den Rickettsien tatsächlich pathognomonisch. Das ist nützlich als klinisches Zeichen zusammen mit den Allgemeinsymptomen. Sehen wir sowohl aus dem afrikanischen und Mittelmeerraum als auch aus Asien. Da gibt’s es das auch. Und eben jetzt vereinzelt auch mal in Europa übertragen, also in Deutschland auch übertragen. Also, das ist sicher eine Sache, die werden wir auch häufiger sehen. Die Borreliose wird immer spekuliert, dass wir da eigentlich auch eine Zunahme werden erleben müssen. Sehr schwer zu fassen, weil wir keine guten Meldezahlen zur Borreliose haben. Aber es spricht natürlich viel dafür. Weil, wenn der Holzbock, also unser Ixodes, unsere Zecke, aktiver wird, dann spricht eigentlich alles dafür, dass wir auch mehr Borreliose haben werden. Wir sehen ja auch mehr FSME, das man als Indikator dafür vielleicht verwenden kann. Und da muss man sicherlich auch mehr daran denken. Ich erlebe immer noch, dass die Borreliosediagnostik in der Praxis Probleme hat. Also das ist immer noch ein schwieriges Thema. Die Tularämie, die Sie angesprochen haben, das ist eine faszinierende Krankheit, die tatsächlich früher auch total selten war und immer auch diesen Ruf einer Biowaffe noch mit sich hat. Francisella tularensis wurde ja auch noch als B-Waffe missbraucht im kalten Krieg. Da sehen wir aber tatsächlich auch, dass es über die Auwald-Zecke zu Übertragungen kommt. Die ist aus Osteuropa vermehrt nach Deutschland eingewandert, und da werden wir sicherlich mehr Fälle haben in den nächsten Jahren. Das ist tatsächlich ein Kuriosum, dass die auch über Mücken übertragen werden kann, was normalerweise ja nicht stattfinden. Sie brauchen ja als Erreger, wenn sie in den Darm eines Vektors kommen, immer auch die Rezeptoren, dass sie dann vom Darm in die Speicheldrüsen wandern können. Und das klappt, wenn sie auf Zecken spezialisiert sind, normalerweise nicht, wenn sie in eine Mücke kommen. Völlig andere Biologie, da kommen sie nicht weiter. Aber Francisella tularensis kann das. Sie gehen tatsächlich durch die Mücke hindurch, können in die Speicheldrüsen kommen und sind dann auch übertragbar.
Ursprung der Pandemie: menschengemacht nicht ausgeschlossen
Mathias Pletz: Ich kann da vielleicht mal eine Anekdote beisteuern, was kürzlich durch die Presse gegangen ist, was den Ursprung der Pandemie angeht: Ob es nun tatsächlich ein Unfall war, ein Laborunfall, oder ob es einen natürlichen Ursprung hat. Da hatte ich mich gefreut, da gab es jetzt eine Publikation, die auf den Finke-Grunow-Score abgehoben hat. Ich weiß nicht, ob Sie das gesehen hatten. Der Finke-Grunow-Score beschreibt die Zunahme von Tularämie im Kosovo während der Zeit des Kosovo-Krieges, wo die eine Seite der anderen vorgeworfen hat, Tularämie als B-Waffe zu missbrauchen. Die Bundeswehr hat dann Proben genommen, hat sie analysiert, hat sie statistisch ausgewertet. Long story short kam der Faktor heraus: Durch den Krieg wurde die Ernte nicht eingebracht, die Nagerpopulation ist nach oben gegangen, es gab mehr Tularämiefälle. Aber anhand dieser Auswertungen haben Herr Finke und Herr Grunow Kriterien aufgestellt, die man auch quantifizieren konnte, was für einen menschengemachten Ausbruch spricht und was für einen natürlichen Ausbruch spricht. Das hat man jetzt tatsächlich in einer Publikation auch auf den Pandemie-Ursprung angelegt [[1]], und da kam heraus 2:1 für menschengemacht. Das war eine Nachricht, die ich gelesen hab. Das hat mich nur gefreut, weil ich in diesem Labor auch mal gearbeitet habe und die beiden sehr gut kenne. Bleiben wir mal bei den Bakterien. Sie hatten noch nicht gesprochen über das Läuse- und das Zeckenrückfallfieber. Da gab es ja auch vom RKI in den letzten Jahren immer wieder mal Hinweise, dass es gerade bei Menschen ohne Wohnsitz zunimmt. Sehen Sie da in Ihrer Ambulanz manchmal Patienten, oder sehen Sie das auch Reise-assoziiert?
Läuse- und Zeckenrückfallfieber
Tomas Jelinek: Reise-assoziiert insofern, als wir das bei Migranten gesehen haben, vor allem während der Migrationswelle. Da waren eigentlich die meisten Fälle. Das ist ja eine Krankheit, die war früher extrem relevant, im 19. Jahrhundert insbesondere. Napoleons Armee ist im Wesentlichen durch diesen Erreger dezimiert worden, wie man heute weiß, weil man Massengräber ausgegraben hat und tatsächlich dann die DNA dieser Erreger gefunden hat. Die meisten Soldaten sind nicht am Winter oder an Feindeinwirkung gestorben, sondern tatsächlich, weil sie die Läuse in der Kleidung hatten. Man hat sich einfach nicht gewaschen, und dann haben sie diese Bakterien weitergegeben von einem zum anderen. Da war es eine ganz relevante Infektion, die dann einfach durch Veränderung der Hygiene bei uns sehr stark abgenommen hat. Wir sehen es nur noch ganz, ganz selten, außer es kommt zu Situationen, wo Menschen Läuse haben und sich nicht waschen können und die Kleidung auch nicht reinigen können. Das war zum Beispiel während des Balkankrieges. Da gab es eine Häufung von Fällen bei den Flüchtlingen und genauso eben in der Migrationswelle, die wir gesehen haben 15/16. Hier gab es auch einen Anstieg der Fälle. Da wurde auch gewarnt von Seiten des RKI, dass man auf diese Fälle achten muss. Das läuft zum Teil hochdramatisch: schwerkranke Patienten mit hohem Fieber, die durchaus gefährdet sind. Also eine relativ hohe Letalität, wenn es nicht schnell behandelt wird. Es ist aber bei den Reiserückkehrern, die wir normalerweise sehen, also bei touristischen Reisen, beruflichen Reisen usw. spielt es überhaupt keine Rolle. Es ist schon eine klare Population, eine Selektion hier, bei der man den Verdacht auch haben sollte, dass es in die Richtung geht, wenn man hier einen schwerkranken, fieberhaften Patienten hat. Da gehört eben die Anamnese ganz wesentlich dazu. Sonst haben wir das überhaupt nicht.
Mathias Pletz: Wie würde man eigentlich diese bakteriellen, Vektor-assoziierten Erkrankungen diagnostizieren? Finde ich Borrelia recurrentis zum Beispiel? Finde ich das in der Blutkultur oder bin ich da auf eine Serologie angewiesen oder eine PCR?
Tomas Jelinek: Ist tatsächlich schwierig. Bei den Zecken-übertragenen Rickettsien ist tatsächlich der schnellste Weg, dass Sie dieses Eschar finden, diese Effloreszenz in der Haut, die relativ zuverlässig da ist. Das ist das entscheidende Kriterium, also klinische Diagnose. Dann hat man das, dann muss man nicht weiter herumsuchen, sondern dem klinischen Blick vertrauen. Bei Borrelia recurrentis ist es aber nicht so, da sehen Sie so etwas nicht. Das heißt, hier muss man tatsächlich versuchen, einen Erregernachweis zu finden. Die Serologie ist zu langsam. Um Serologie zu kriegen, brauchen sie ja immer eine Immunantwort, die auch suffizient sein muss. Also, das dauert zu lange in diesem akutkranken Patienten. Das heißt, man würde versuchen, den Erregernachweis direkt zu führen. Effektiver über PCR als über den Direktnachweis, und im Zweifel probatorisch behandeln, antibiotisch. Das Gute an diesen Erregern ist, dass sie an und für sich gut ansprechen auf Antibiotika. Da kann man relativ effektiv arbeiten. Doxycyclin ist ja sehr beliebt in der Reisemedizin, in der Reiserückkehrmedizin, funktioniert auch hier wunderbar und kann man dann auch einsetzen.
Mathias Pletz: Ja, das war genau die Frage, die ich Ihnen gerade noch stellen wollte. Also, wenn man eingeschüchtert ist durch die vielen Speziesnamen, die wir in den letzten Minuten benutzt haben, was die Bakterien angeht, ist Doxycyclin momentan fast, muss man sagen, noch so eine „one size fits all solution“, zumindest für über 90 %. Wir machen das tatsächlich auch manchmal, wenn wir keinen Erreger nachweisen und trotzdem sicher sind, dass es etwas Bakterielles ist, weil klassischerweise Doxycyclin beim hospitalisierten Patienten kaum eingesetzt wird und die Beta-Laktame eben genau immer diese Lücke haben, die man dann damit füllen kann. Wobei man hier auch nochmal sagen muss: Die ganzen angesprochenen Erreger spielen als nosokomiale Erreger eigentlich überhaupt keine Rolle. Da muss man dann sicherlich nicht daran denken.
Antivirale Therapieoptionen, klinische Merkmale, Laborparameter
Mathias Pletz: Was die Viren angeht: Gibt es da eigentlich Möglichkeiten der Behandlung außer symptomatisch, und worauf sollte man achten? Gerade bei Dengue gibt es ja auch immer das Risiko für das Dengue-Schock-Syndrom, wo man auch bei den Infusionen aufpassen sollte. Vielleicht können Sie da nochmal die wesentlichen klinischen Fallstricke nennen?
Tomas Jelinek: Es ist natürlich schwieriger, hier wirklich therapeutisch ursächlich dranzugehen. In der Regel erfolgt eine symptomatische Therapie. Bei Dengue sind jetzt gerade monoklonale Antikörper in der Entwicklung, die tatsächlich eine ganz gute Effektivität zeigen. Das ist wahrscheinlich der Game-Changer bei komplizierten Verläufen für die Zukunft. Ansonsten hat man nur symptomatische Therapie und supportive Maßnahmen. Das Problem ist beim Dengue ja, dass man es mit vier Virustypen, also vier Serotypen, zu tun hat, die keine gute Sequenzhomologie haben. Das heißt, es gibt keine Kreuzprotektion, wenn man mit einem der Serotypen schon mal Kontakt hatte. Man kann also Dengue viermal kriegen. Das ist ja einen Tack ungewöhnlich für solche Viruskrankheiten. Tatsächlich können die Verläufe auch komplizierter verlaufen. Das heißt, die klinische Hypothese und das Dogma, nachdem wir ganz lange jetzt vorgegangen sind, sagt, dass man beim ersten Mal Dengue quasi diesen ersten Serotyp, welchen auch immer, kennenlernt und eine gewisse Immunantwort aufbaut und es dann bei Reinfektionen tatsächlich zu komplizierten Verläufen kommt, weil die Antikörper, die vom ersten Mal schon vorliegen, zwar eine Affinität haben für das neue Virus, sich mit dem zusammenlegen, aber nicht sehr avide sind, also das nicht neutralisieren können. Das heißt, das Virus bleibt weiter aktiv und „benutzt“ tatsächlich die Immunantwort vom ersten Mal, um ein verbessertes Eindringen in Zellen hinzubekommen über den opsonierenden Effekt des Antikörpers. Das führt dann zu einer stärkeren Virämie, und das führt dann zu einer stärkeren entzündlichen Reaktion und damit letztendlich zu einer disseminierten intraversalen Koagulopathie als Krankheitsbild, also capillary leakage und Thrombopenie und dann eben Blutungen und Schock. Das ist die Kaskade, die man beim Dengue-Patienten befürchtet. Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, insbesondere bei Reiserückkehrern, ist es nicht unbedingt so, dass diese Hypothese immer hält. Wir sehen zwar nicht viele Todesfälle in Europa, aber in einer Auswertung, die vor zwei Jahren publiziert wurde [[2]], hatten tatsächlich acht von neun Toten, die ausgewertet wurden, eine Erstinfektion mit Dengue. Also, es ist nicht so, dass es immer der zweite oder dritte Verlauf ist, der heikel ist. Es ist es durchaus auch mal der erste, das muss man im Hinterkopf behalten. Nichtsdestotrotz möchte man natürlich einen akut kranken Patienten, der mit Fieber kommt, mit Gliederschmerzen, mit Hautausschlag vielleicht, wo man sagt: ‚Okay, könnte Dengue sein, könnte auch Chikungunya sein, könnte auch Zika sein‘, um mal die drei größeren Virusgruppen zu nennen, möchte man natürlich irgendwo auf Schienen setzen, dass es für ihn auch sicher läuft. Das bedeutet, was man machen kann in der Diagnostik, ist ein Antigennachweis. Das geht als Testkassette, als Bedside-Test im Prinzip, um nachzuweisen, ist es Dengue – ja/nein? Sie sind leider nicht so sensitiv, wie man das bräuchte, um einen absoluten Ausschluss hinzubekommen. Aber wenn er positiv ist, hilft das sehr, dann weiß man: Okay es ist Denguefieber. Das andere, was man machen sollte, ist ein Stauschlauch-Test. Das ist ja simpel, das kann man immer machen. Einfach Rumpel-Leede, vier Minuten stauen, fünf Minuten stauen und sehen, ob sich Petechien bilden. Wenn sich Petechien bilden, hat der Patient offensichtlich ein Problem mit seiner Kapillarpermeabilität, und dann sollte er stationär gehen. Ansonsten, wenn er keine sonstigen klinischen Zeichen hat, kann man sie auch ambulant führen. Sie haben ja primär Schmerzen, diese Patienten, und Fieber. Das geht auch ambulant. Aber bei Petechien hat man natürlich ein Warnzeichen. Hier stimmt etwas nicht, und dann muss man sie beobachten. Dann ist es meistens eine Krise, die nicht lange anhält. Das sind drei, vier, fünf Tage, wo sie abrauschen mit den Thrombozyten und Probleme kriegen mit dem Flüssigkeitshaushalt. Da muss man eben substituieren, zur Not Thrombozyten geben, Erythrozyten geben. Das ist dann natürlich eher in diesen Fällen eine intensivmedizinische Betreuung, dann kann man sie aber halten. Wenn sie von Anfang an gut betreut werden, erholen sie sich auch wieder, auch in diesem Dengue-hämorrhagischen Fieber oder auch im Dengue-Schock-Syndrom und werden wieder stabilisiert. Das Problem ist weltweit, warum Menschen an Dengue sterben, schlicht und ergreifend fehlende Infrastruktur, weil sie zu spät oder gar nicht in entsprechende Versorgung geführt werden können. Das Problem haben wir hier eigentlich nicht. Bei uns ist es eher mangelnde Erfahrung. Dass man einfach zu spät reagiert, weil man nicht dran denkt oder nicht abschätzen kann, wie der Verlauf ist. Dann hat man den Patienten stabilisiert, und dann wird es langsam wieder besser. Also dieses Immunphänomen hält nicht lange an, dann erholen sie sich auch wieder. Beim Chikungunya hat man dieses Risiko gar nicht. Sie gehen nicht in Schock, und Sie können initial klinisch nicht unbedingt unterscheiden, ist es Dengue oder Chikungunya. Das zeigt sich erst im Verlauf, weil Sie Chikungunya quasi nur retrospektiv über die Serologie nachweisen können, wenn sie dann positiv ist. Das dauert ja aber 10, 14 Tage, bis sie vernünftig Antikörper kriegen. Dafür haben wir beim Chikungunya das Problem, dass wir hinterher anhaltend Gelenkschmerzen sehen bei einem relativ hohen Prozentsatz der Patienten. In Studien ist es schon so um die 40 %. 35–40 % der Patienten kriegen dann so eine Post-Chikungunya-Arthritis, die über Monate, teilweise Jahre anhalten kann und sehr rheumaähnlich ist, also mit Gelenkschwellungen. Wirklich inkapazitieren vor allen Dingen die kleinen Gelenke, was Hände und Füße betrifft. Das ist kein Akutproblem, aber sehr wohl ein chronisches, weil diese Patienten natürlich daran verzweifeln, wenn sie nicht arbeiten können usw. Für das Akutmanagement hat Chikungunya aber keine so großen Herausforderungen. Man muss halt die Schmerzen behandeln. Sie bleiben stabil, und dann werden sie auch erstmal wieder besser.
Mathias Pletz: Es ist ja vorrangig eine symptomatische Therapie. Gibt es eigentlich für die NSAID, die man dort einsetzt, eine Präferenz aus Ihrer klinischen Erfahrung? Wir bringen ja den Studierenden bei, dass es Daten gibt, dass man nicht auf jedes Fieber mit NSAID reagiert. Also gerade bei bakteriellen Infektionen gibt es den Hinweis, dass man dadurch die Prognose vielleicht sogar verschlechtern kann. Allerdings bei den Virusinfektionen sieht es ja ganz anders aus, und es ist ja wahrscheinlich das Einzige, das man den Patienten anbieten kann. Wozu greifen Sie?
Tomas Jelinek: Also in der Tat ist es ja so, dass, wenn sie Probleme kriegen, Komplikationen kriegen, es ja eine Entzündungskaskade ist und die können Sie natürlich versuchen zu blocken, indem Sie schon frühzeitig Entzündungshemmer geben. Zumindest Prostaglandinsynthesehemmer spielen da tatsächlich eine gewisse Rolle. Was man natürlich vermeiden sollte, ist eine Thrombozytenaggregationshemmung zu machen bei einer Krankheit, die Thrombopenie auslösen kann. Wobei man sagen muss, dass die Brasilianer, die ja wirklich sehr viel Dengue sehen, seit Jahren völlig problemlos, sagen sie zumindest, auch ASS geben bei Dengue. Es ist das einzige Land, von dem ich weiß, dass es stattfindet. Sonst wird immer davor gewarnt ASS zu geben, aber in Brasilien ist es üblich. Und was man ihnen nicht absprechen kann, ist eben die Erfahrung mit Dengue. Insofern scheint es vielleicht nicht so ein Thema zu sein, wie wir denken. Aber ich persönlich würde es mich nicht trauen, beim Dengue-Patienten mit ASS reinzugehen. Wir geben in der Regel Metamizol, das wirkt gut gegen das Fieber, gegen die Schmerzen. Und das ist ja das, was der Patient vordringlich hat. Dem tut alles weh. Er möchte die Schmerzen reduziert sehen. Hier muss man ein gutes Schmerzmittel haben. Metamizol wirkt einfach am besten in meiner Erfahrung und macht eben nichts mit den Thrombozyten. Insofern eine gute Kombination.
Mathias Pletz: Zum Dengue nochmal zurück: Bei diesem capillary leak-Syndrom muss man natürlich mit Infusionen auch achtsam sein. Gibt’s da Laborwerte, an denen man sich orientieren kann?
Tomas Jelinek: Ganz schwierig. Die WHO hat über Jahre versucht, immer wieder irgendwelche Laborparameter zu definieren, über die man Verlauf und Management steuern könnte, und das wurde ständig revidiert und hat eigentlich mehr zur Verwirrung beigetragen. Also, es ist tatsächlich vor allen Dingen eine klinische Kontrolle. Da muss man sagen, in Thailand zum Beispiel, da läuft es sehr gut. Sie sehen Dengue halt, denke ich, buchstäblich wirklich täglich. Sie haben da einfach eine gute Erfahrung, ein gutes Gefühl dafür, was sie dem Patienten zumuten können. Das ist in Ländern, wo man nicht so viel Dengue-Patienten hat, manchmal ein bisschen schwierig, dafür ein Gefühl zu kriegen. Aber es gibt keinen Laborparameter, den man hier sicher nennen kann, der einem da weiterhilft.
Mathias Pletz: Wenn ich jetzt einen Patienten vor mir habe mit Fieber, vielleicht noch keine Petechien, typisches Differentialblutbild, eine leichte Thrombozytopenie, eine Lymphopenie – beziehungsweise, da kann ich Sie auch noch mal fragen: Sowohl Lymphopenie als auch Lymphozytose können ja tatsächlich auf eine Virusinfektion hinweisen. Was ist denn eigentlich häufiger bei den drei Genannten.
Tomas Jelinek: Da ist es die Lymphopenie.
Die Frage der stationären Aufnahme und Differentialdiagnose Malaria
Mathias Pletz: Und wenn ich also einen solchen Patienten habe, der Dengue-Schnelltest ist negativ, kann ich davon ausgehen, dass Dengue dann wirklich ausgeschlossen ist? Sie sagten ja, er ist nicht sehr sensitiv, aber wie sieht es aus mit dem negativ-prädiktiven Wert? Der reicht ja offensichtlich nicht aus?
Tomas Jelinek: Nee, können Sie nicht. Sie können nicht davon ausgehen, dass es kein Dengue ist. Sie haben halt keinen Hinweis dafür, dass es eines ist. Das ist das Einzige, das Sie haben im Moment. Das heißt, was wir normalerweise machen, wir sehen die Patienten in der Sprechstunde, es ist ja dann noch mehr im Busch. Es könnte auch eine Malaria sein. Die läuft ja auch mit Thrombopenie und Leukopenie gerne einher, hat halt eine erhöhte LDH, weil sie hämolysieren. Das tun die Dengue-Patienten nicht. Also, da hat man einen Laborwert, an dem man sich vielleicht orientieren kann. Und da wird man natürlich immer auch im Ausstrich schauen, ob man Parasiten findet oder nicht. Heutzutage macht man bei der Malaria in der Regel auch noch einen Schnelltest mit, um die Sensitivität zu erhöhen. Dann gibt es natürlich auch bakterielle Infektionen, die so ähnlich aussehen können im Differentialblutbild. Die schon genannten Rickettsien zum Beispiel machen durchaus auch gerne mal eine Lymphopenie/Thrombopenie. Typhus macht das auch. Typhus abdominalis, den wir auch durchaus als Reiserückkehrinfektion mal sehen. Also, die Differentialdiagnose ist hier ein bisschen bunter, hängt natürlich auch von klinischen Zeichen ab, die wir sehen. Wenn es ein Patient ist mit Fieber, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen und Hautausschlag, flächiger Hautausschlag, makulöses Exanthem, dann spricht schon viel für eine Virusinfektion und dann eben auch viel für Sachen wie Chikungunya oder Dengue, abhängig von der Reiseanamnese vielleicht oder von der Jahreszeit bei uns, und dann kann man sie oft ambulant führen. Also, es ist dann nicht so, dass man sie unbedingt stationär aufnehmen muss. Auch wenn sie erhebliche Schmerzen haben, können sie auch zu Hause behandelt werden, wenn sie halt gut angebunden sind, also regelmäßig gesehen werden. Das heißt, wir schauen nach: Schnelltest, schon genannt. Wir schauen nach: Haben sie Antikörper gegen Dengue? Da interessiert uns halt eine alte Infektion. Wir wollen nicht wissen, ob sie jetzt akut schon Antikörper haben. Das geht ja gar nicht am zweiten, dritten Tag. Aber, wenn sie Antikörper haben von einer früheren Infektion, wissen wir, dass dieses immune enhancement einen Tack wahrscheinlicher ist, also dass Probleme eher auftreten können. Da muss man sie einfach genauer kontrollieren. Wir machen den Stauschlauch-Test, das ist ein wichtiges Tool, und schätzen halt klinisch einfach ein, wie stabil sind sie, und dann führen wir sie in der Regel ambulant. Das ist selten, dass stationär aufgenommen werden muss, aber manchmal sind die Zeichen eben so, und dann muss man sie auch stationär aufnehmen.
Sprecher: Bevor es gleich spannend weiter geht, möchten wir Sie kurz auf unsere hochwertigen Patientenratgeber hinweisen. Geben Sie Ihren Patienten wertvolles Wissen mit nach Hause. Von A wie Abszesse bis Z wie Zöliakie; mit über 50 verschiedenen Patientenratgebern, teilweise auch in andere Sprachen übersetzt, unterstützen wir Sie in Ihrem Behandlungsalltag. Fordern Sie die Patientenratgeber kostenfrei unter kontakt@infectopharm.com an. Die E-Mail-Adresse und den Link zu den Patientenratgebern als Download finden Sie auch in den Shownotes. Jetzt wünschen wir Ihnen weiterhin viele interessante Minuten mit dem infektiologischen Klinik-Podcast des consilium infectiorum.
Ehrlichia und Anaplasma
Mathias Pletz: Im letzten Abschnitt unseres Podcasts wollte ich mit Ihnen noch über Impfungen sprechen. Aber vorher wollte ich Ihnen noch zwei Fragen stellen. Die sind jetzt relativ zusammenhanglos. Die eine Frage ist: Haben Sie schon mal Ehrlichia gesehen? Ehrlichia wird ja auch immer wieder beschrieben, wenn man sich Studien ansieht, die Zecken aufgearbeitet haben. Also, da gibt’s ja etliche Arbeiten aus Deutschland. Zecken sammeln, aufarbeiten, welche Bakterienerreger findet man? Da kommen Anaplasma und Erlichia immer wieder vor. Ich muss aber gestehen, dass ich noch nie einen Patienten damit gesehen habe. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Tomas Jelinek: Ich hatte tatsächlich vor Jahren mal jemanden hier in Berlin in der Sprechstunde, der hatte das. Das haben wir letztendlich serologisch nachgewiesen. Am Ende ist es aber eine seltene Infektion, sicher.
Mathias Pletz: Und was hatte er sozusagen für Key-Symptome?
Tomas Jelinek: Er hatte auch anhaltende Gelenkschmerzen. Nach einer Akutinfektion hat er anhaltend Schmerzen gehabt dann kam plötzlich heraus, er hat eine Ehrlichose. Er hatte aber initial eben auch Allgemeinsymptomatik gehabt, also relativ unspezifisch. Es hat uns nichts darauf gestoßen, dass man sagt, es muss jetzt so etwas Seltenes sein.
Lästige Bettwanzen
Mathias Pletz: Und die zweite Frage, die interessiert wahrscheinlich auch viele Zuhörerinnen und Zuhörer. Mittlerweile haben wir auch in Deutschland in den Hotels ein Problem mit den Bettwanzen. Also, ich habe mir da auch schon mal… Bei einem Hotel, das ich jetzt nicht nenne, sozusagen, bin ich davon betroffen gewesen. Sie haben sich dann zum Glück nicht in der Wohnung manifestiert. Man kann sie ja auch mit nach Hause bringen. Was können Sie da sagen? Zum einen, wie man sich davor schützen kann, wie man sich davor schützen kann, diese Bettwanzen mit nach Hause zu nehmen, und wie sieht es aus mit der Gefährdung aus infektiologischer Sicht?
Tomas Jelinek: Also, Letzteres ist bei Bettwanzen tatsächlich kein echtes Problem. Bettwanzen sind primär lästig, aber übertragen nicht wirklich relevant Erreger. Der Stich juckt furchtbar, und es ist sehr unangenehm. Ich habe mir das auch schon eingefangen bei Reisen, aber man muss sich jetzt keine gesteigerten Sorgen machen, dass man sich hier irgendeine Infektionskrankheit zuziehen würde. Was sehr gut hilft, ist tatsächlich Permethrin. Es ist ja ein Chrysanthemen-Extrakt, was für Spinnentiere und für Insekten giftig ist, also ein Nervengift ist. Wir Säugetiere können das in der Leber verstoffwechseln, deswegen schadet es uns nicht, aber für Spinnentiere und für Insekten ist es eben sehr schnell tödlich. Was man machen kann, wenn man einen Verdacht hat bei einem Hotel oder wenn man entsprechend unterwegs ist, dass man einfach das Bett mit Permethrin einsprüht. Es gibt solche Pumpflaschen, die man nehmen kann. Oder ein Kollege von mir, der hat immer ein Permethrin-imprägniertes Laken dabei, das er über das Bett ausbreitet und schläft dann darauf. Das tötet die Erreger, also auch Bettwanzen, sehr, sehr zuverlässig, auch wenn Sie da Flöhe im Bett haben oder sonst etwas. Je nachdem, wo man da nächtigen muss, ist das eine effektive Maßnahme. Man ist auch in guten Hotels, wo man vielleicht daran gar nicht denken würde, in der Tat nicht immer davor gefeit. Wir hatten das Thema vor ein paar Jahren ja auch in New York. Vor der Pandemie war das dort eine größere Sache. Kürzlich allerdings auch ein – wie sich herausgestellt hat – Fakenews. Und zwar wurde in der Presse breitgetreten, dass das Bettwanzenproblem in Paris massiv zugenommen hätte durch ukrainische Flüchtlinge. Wie sich herausstellte, war das tatsächlich eine konstruierte Fehlnachricht, die da verbreitet wurde. Also, man muss immer schauen [4]. Wir haben dann immer viele Nachfragen von Reisenden, die beunruhigt sind. Was können sie tun? Aber die kurze Antwort ist: Permethrin mitnehmen und im Zweifel das Bett einmal einsprühen, dann ist ziemlich zuverlässig Ruhe.
Komplexes Thema Dengue-Impfung
Mathias Pletz: Das war doch ein ganz praktischer Tipp, sozusagen außerhalb des Hauptinhalts unserer heutigen Podcastfolge. Aber das werde ich definitiv auch so umsetzen. Zuletzt wollte ich mit Ihnen noch über die Impfungen sprechen. Sie hatten es ja vorhin schon angedeutet, dass es für den Individualschutz durch die Impfungen hier wahrscheinlich zunehmend mehr Möglichkeiten gibt. Wir haben jetzt die Dengue-Vakzine. Da wollte ich mit Ihnen darüber sprechen: Wen soll ich jetzt impfen, wenn ich eine Reiseberatung durchführe, und wen nicht – gerade wegen dieses antibody dependent enhancement. Dann gibt’s ja immer wieder die Überlegung, wenn der Impfstoff nicht perfekt vor allen vier Serotypen gleichzeitig schützt, könnte ich theoretisch mit der Impfung das Risiko für den Reisenden erhöhen, dass er dann bei einer echten Infektion vielleicht sogar einen schwereren Verlauf erleidet, und deswegen wurde viel diskutiert. Also, Sie sind der Profi. Wie schätzen Sie das ein? Was machen Sie?
Tomas Jelinek: Also, das ist in der Tat richtig. Gerade die Dengue-Impfung ist wirklich kompliziert, und wie so oft bei solchen Themen: Je tiefer man einsteigt, desto komplexer wird es eigentlich. Wir haben mit der Dengue-Impfung historisch keine guten Erfahrungen gemacht. Es gab in den Neunzigern bereits einen Impfstoff, der dann abgebrochen wurde, weil man gesehen hat, es gibt eben diese Verstärkung der Krankheitsverläufe. Dann gab’s vor gut zehn Jahren einen Impfstoff, der von Sanofi auf den Markt gebracht wurde, der mit viel, viel Hoffnungen begleitet wurde. Er basiert auf der alten Gelbfieberimpfung, die genetisch verändert wurde. Also hat man die Hülle, quasi die Hüllinformation aus dem Genom herausgeschnitten und Hüllinformationen der vier Dengue-Viren hineingepackt, hat also vier Chimären geschaffen, die replikationsfähig sind, und daraus einen Impfstoff entwickelt. Der hatte initial extrem gute Ergebnisse. Die Immunantwort war gegen alle vier Serotypen bei allen Geimpften vorhanden, da war richtig Euphorie da. Man dachte, jetzt ist der Durchbruch. Dann hat sich herausgestellt, dass bei Leuten, die noch kein Dengue hatten, die Schutzrate gar nicht so gut war, die lag nur um die 20 % und sehr viel unangenehmer noch: Bei diesen Leuten – also vorher kein Dengue gehabt, dann geimpft und dann Kontakt mit dem Wildvirus, kam es tatsächlich zu komplizierteren Verläufen. Es gab vor allen Dingen auf den Philippinen ein ziemliches Desaster, weil dort Kinder geimpft wurden, die dann tatsächlich mehr Komplikationen und auch Todesfälle hatten, als es zu einer Wildvirus-Epidemie kam. Das hat sich in den Köpfen natürlich sehr stark festgesetzt – Dengue-Impfung kann gefährlich sein. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, ist hier der wesentliche Trigger offensichtlich das NS1-Antigen. Das ist ein Bestandteil dieses Virus, des Dengue-Virus. Wenn das Virus sich vermehrt in der Zelle, wird dieses NS1 separat auch hergestellt und wird dann von der Zelle ausgeschieden, zusammen mit den Viren. NS1 macht im Kapillarbett eine Entzündung. Das scheint ein ganz starker und wichtiger Pathomechanismus zu sein, der diesen entzündlichen Verlauf weitertreibt und dann auch zum Dengue-hämorrhagischen Fieber führen kann. Aus Sicht des Virus wahrscheinlich von Vorteil, weil die Entzündung wiederum zur besseren Aufnahme in die Zellen führt. Das heißt, es ist wichtig, dass man sich gegen dieses NS1 auch schützen kann, also NS1-Antikörper bildet. Das ging mit der Impfung von Sanofi nicht, weil da nur die Hüllinformationen von Dengue-Viren drin waren, aber kein NS1 von Dengue-Viren. Deswegen hat man zwar Hüllantikörper gebildet, aber eben diesen entscheidenden Faktor gar nicht ausbilden können. Das führte dann eher zur Komplikationen. Mit dem neuen Impfstoff, den wir jetzt haben, haben wir eine völlig andere Grundlage, weil hier die Basis ein attenuierter Dengue-Typ-2-Stamm ist. Das heißt ein Dengue-Virus, das dann verändert wurde, was die Hüllinformationen angeht, und eben Hüllen von Dengue Typ 1, 3 und 4 mit eingebaut bekommen hat. Das heißt, sie kriegen auch hier einen attenuierten Wildstamm plus drei Chimären geimpft, die sich vermehren, und bilden dann Immunantwort, haben aber immer auch eine Immunreaktion auf das NS1, was hier mit vorhanden ist. Das ist der entscheidende Unterschied, wie man mittlerweile recht deutlich sehen kann. Die Impfung ist nicht perfekt, weil der Schutz gegen Dengue-Typ 4, zumindest in Studien, nicht nachgewiesen werden konnte. Das lag aber primär daran, dass es einfach zu wenig Fälle gab. Also ist es wahrscheinlich mehr ein statistisches Phänomen. Sehr viel relevanter ist, dass tatsächlich der Schutz gegen Dengue-Typ 3 bei Leuten, die noch kein Dengue hatten, nicht da war. Das war auch statistisch signifikant. Das heißt, hier haben wir eine Lücke. Bei Leuten, die schon mal Dengue hatten, ist der Schutz auch gegen Dengue-Typ 3 da, aber nicht bei Leuten, die noch keins hatten. Das heißt, man hat eine Impfung, die insgesamt gut schützt, gegen Dengue-Typ 1 und 2, nicht so gut schützt gegen Dengue-Typ 3 und bei Dengue-Typ 4 ist es fraglich. Schutzraten in den Studien waren aber bis 90 % gegen Komplikationen, also gegen Hospitalisation. Also schon so, dass man gesagt hat: ‚Okay, das kann man auf jeden Fall verwenden und zulassen.‘ Und dann kam die Impfung, und dann wurden natürlich sofort Diskussionen aufgeworfen: Könnte die nicht auch gefährlich sein für Leute, die noch kein Dengue hatten? Bei der ersten Impfung wurde das nach zwei Jahren gesehen. Wir haben jetzt die neue Impfung mittlerweile sehr viel länger nachbeobachtet. Wir haben viereinhalb Jahre nachbeobachtet, die publiziert sind. De facto liegen schon über sechs Jahre Nachbeobachtung vor, und es gibt überhaupt kein Sicherheitssignal. Nichts. Also keine Komplikationen bei denen, die geimpft wurden, auch nicht bei denen, die vorher kein Dengue hatten. Deswegen wurde die Impfung zugelassen in Europa. Wir haben jetzt Massenimpfkampagnen, die dieses Jahr gestartet worden sind, in Brasilien, Indonesien und in einigen anderen Ländern. Das heißt, wir kriegen zunehmend Daten. Aus unserer Sicht gibt es keinen Grund, Reisenden die Impfung vorzuenthalten, wenn sie in ein Gebiet fahren, wo sie wirklich durch Dengue gefährdet sind. Also wenn sie nach Brasilien fahren in einen Ausbruch oder nach Indonesien, nach Thailand, nach Sri Lanka, wo einfach viel Dengue vorkommt, würde ich ihnen die Impfung immer empfehlen, weil sie im Moment der beste Schutz ist, den wir bieten können. Der Hinweis, dass es Komplikationen geben könnte, ist rein theoretisch. Es ist praktisch schlichtweg irrelevant, weil bisher überhaupt keine Fälle nachgewiesen worden sind, bei doch sehr vielen Geimpften mittlerweile – und über einen längeren Zeitraum auch. Was man berücksichtigen muss: Es ist eine Lebendimpfung, das heißt, wir sehen schon, dass die Geimpften natürlich darauf reagieren. Sie kriegen halt Allgemeinreaktionen usw. bis hin zu einem Hautausschlag. Das heißt, wir machen das ungerne last minute, weil offensichtlich dann die Beschwerden sonst in die Reise hineingeraten können. Deswegen haben wir schon gerne so mindestens 14 Tage Vorlauf, bevor die Reise stattfinden soll, zwischen Applikation der Impfung und Abreise.
Mathias Pletz: An der Stelle müssen wir natürlich anmerken, dass die STIKO hier aktuell noch eine andere Empfehlung ausgibt und die Dengue-Impfung nur für Personen älter als 4 Jahre, die in der Vergangenheit eine labordiagnostisch gesicherte Dengue-Virusinfektion durchgemacht haben unter bestimmten Voraussetzungen als Reiseimpfung oder beruflich indizierte Impfung
empfiehlt. Derzeit gibt die STIKO keine allgemeine Impfempfehlung für Dengue-naive Personen, aber die aktuelle STIKO-Empfehlung verlinken wir einfach noch einmal in den Shownotes [5]. Die kann sich natürlich in den nächsten Jahren auch ändern. Außerdem hätte ich noch eine weitere Zwischenfrage. Das sind ja zwei Impftermine im Abstand von mehreren Wochen. Und wie sieht das jetzt aus, wenn die Reise im Intervall stattfinden soll, weil der Betreffende sich zu spät vorgestellt hat? Ist es besser dann, jemanden einmal zu impfen und auf die Reise zu schicken, oder sollte ich in einem solchen Fall dann auch auf die Erstimpfung verzichten?
Tomas Jelinek: Also, um die zweite Impfung gab es viele Diskussionen schon im Studiendesign, am Anfang, als sie noch in der Entwicklung war. Es ist ja eine Lebendimpfung, also an und für sich kann man von einer guten Immunreaktionen ausgehen. In der Tat ist es so, und das steht auch in den Zulassungsunterlagen, dass der Schutz nach der ersten Impfung schon genauso gut ist wie nach der zweiten. Die zweite verbessert den Schutz nicht. Was die macht, ist eine Komplettierung der humoralen Antwort und sehr wahrscheinlich eine Verlängerung der Antwort, aber keine Verbesserung der tatsächlichen protektiven Effektivität. Es gibt publizierte Daten aus einer kleineren Phase-II-Studie, die recht deutlich gezeigt haben, dass tatsächlich der Effekt der zweiten Impfung sogar besser ist, wenn Sie ein bisschen länger warten [[3]], also wenn Sie das erst nach einem Jahr impfen, was auch logisch ist bei einer Lebendimpfung. Wenn der Körper ein bisschen mehr Abstand hat zur letzten Immunreaktion kriegen Sie einfach einen besseren Boostereffekt.
Mathias Pletz: Das haben wir auch gesehen bei der AstraZeneca-Impfung gegen COVID-19, dass in dem Impfrahmen, wo der Abstand zu kurz gewählt wurde, tatsächlich die Impfeffektivität schlechter war, und je länger der Abstand war, desto besser war die Impfeffektivität. Es scheint also so ein generelles biologisches Konzept zu sein, dass ein größerer Abstand zu einer besseren Impfantwort führt.
Tomas Jelinek: Na ja, das liegt daran, dass sich das Immunsystem natürlich mit dem Fremdantigen beschäftigt, und insbesondere ein Lebendimpfstoff oder gar eine Wildinfektion macht natürlich einen relativ starken Immuntrigger. Wenn Sie in diese noch laufende Immunreaktion den Triggern nochmal geben, dann nimmt das Immunsystem das nicht unbedingt als neue Information, weil es ja noch mit der alten Abwehr beschäftigt ist. Dann gibt es nur einen sehr eingeschränkten Boostereffekt, während, wenn Sie länger warten, hat sich das Immunsystem abreagiert, Immunreaktion ist heruntergefahren, keine zelluläre Immunität mehr da im Moment usw. und dann kriegen Sie eine sehr viel bessere Stimulation. Gerade bei Lebendimpfstoffen muss man auf diesen Abstand achten. Bedeutet, um zu Ihrer Frage zurückkommen: Wenn ich jemanden habe, der zeitlich so kommt – und das ist ja die Regel bei Reisenden, dass er nur eine Impfung kriegen kann, dann geben wir ihm die. Es ist auf jeden Fall besser, gegen Dengue geschützt zu sein, als ungeschützt in ein Reiseland zu reisen, auch wissend, dass eben die zweite Impfung den Schutz gar nicht verbessern würde, sondern allenfalls verlängern würde. Die zweite Impfung geben wir dann eben später, mit deinem Mindestabstand von drei Monaten, aber das ist genau das, was wir betonen, dass es eben ein Mindestabstand ist. Das kann gerne auch später sein.
Impfstoffe gegen Chikungunya
Mathias Pletz: Dengue-Impfung – sicherlich eine der größten Neuerungen. Es gibt allerdings auch bei Chikungunya jetzt eine Impfung, die kurz vor der Zulassung steht. Wie schätzen Sie die ein? Sie kennen die Zahlen sicherlich aus den Zulassungsstudien.
Tomas Jelinek: Also tatsächlich werden wir nächstes Jahr zwei Impfungen gegen Chikungunya bekommen. Die eine wahrscheinlich im zweiten Quartal und die andere im vierten. Das erste wird eine Lebendimpfung sein. Das ist ein single-shot vaccine, auch wieder ein attenuierter Lebendimpfstoff. Hier hat man, nur auf die Antikörperantworten geschaut, eine Serokonversionsrate von 98 %, hat also einen sehr, sehr guten Effekt. Hier vertraut man den Antikörpern, weil es eben bei Chikungunya nur einen einzigen Virustyp gibt und diese Kreuzeffekte gar nicht auftreten. Es ist ja auch kein Flavivirus. Dieser Impfstoff ist sicherlich sehr protektiv, nach allem, was man sagen kann und wird sicher kommen. Es ist aber auch wieder eine Lebendimpfung. Das heißt, man kann ihn zum Beispiel Immunsupprimierten nicht geben, und das ist natürlich bedauerlich. Gerade bei Chikungunya sehen wir, wenn, dann eine höhere Gefährdung vor allen Dingen in diesen Gruppen, also Immunsupprimierte etc. Die zweite Impfung, die im Herbst oder im Winter kommen wird, ist ein Totimpfstoff. Das ist ein virus-like particle, was gegeben wird, das wohl vergleichbar gute Effekte hat in der Immunreaktion und dann vor allen Dingen auch für Immunsupprimierte geeignet sein wird. Also, das ist eine gute Erneuerung. Jetzt ist natürlich Chikungunya nicht ganz so häufig auf der Welt wie Dengue und eher in Ausbrüchen vorhanden. Wir haben zum Beispiel jetzt über den Winter einen großen Ausbruch in Südamerika gesehen. Das flaut dann irgendwann wieder ab, und dann wird es ruhiger. Also, wir werden bei Chikungunya die Impfung sehr viel punktueller einsetzen, denke ich, für Reisende, die in bestimmte Risikogebiete fahren, wo gerade ein Ausbruch stattfindet oder sich aufbaut, als jetzt Dengue, das man sehr viel breiter empfiehlt, weil Dengue einfach in viel, viel größeren Zahlen weltweit vorhanden ist. Aber trotzdem ist es natürlich eine wichtige Impfung, insbesondere weil wir bei Chikungunya diese Komplikationen mit den Arthritiden sehen, die es natürlich zu vermeiden gilt.
Typhus-Impfung: Schutzrate verbesserungswürdig
Mathias Pletz: Und die anderen Impfstoffe, die in der Reisemedizin noch eine Rolle spielen, also Typhus hatten Sie angesprochen – das ist ja auch eine der häufigeren Reise-assoziierten fieberhaften Erkrankungen – da gibt es ja auch einen Impfstoff.
Tomas Jelinek: Ja, bei Typhus gibt es auch zwei Impfstoffe, die allerdings relativ bedauerlich sind, muss man sagen, was die Effektivität angeht. Da würden wir uns auch freuen, wenn wir mal eine Innovationen sehen. Die sind ja beide recht alt. Wir haben eine Polysaccharid-Vakzine, die einen sehr eingeschränkten Schutz gibt – also in Studien protektive Effektivität, sowas um die 60, 65 % – und eine Schluckimpfung. Das ist eine attenuierte Lebendimpfung, die man halt zu sich nimmt, und da ist die Schutzrate nicht sehr viel besser oder ziemlich gleich. Allerdings hat es eine gewisse Kreuzimmunität gegen Paratyphus a und b, die so bei 30, 40 % liegt. Also beides eigentlich nicht das, was man jetzt als wahnsinnig effektive Impfung empfehlen würde. Dummerweise sehen wir aber eine Ausbreitung von Typhus und Paratyphus. Wir sehen auch mehr Fälle global, und vor allen Dingen sehen wir mehr multiresistente Stämme. Kollegen sagen ja schon seit Jahren, die nächste große Pandemie wird die Multiresistenz oder die Medikamentenresistenz bei Bakterien sein. Das sehen wir ja auch bei einigen, insbesondere Bakterien, die eben stark ausgesetzt sind. Bakterien, zum Beispiel Salmonella typhi in Südasien. Die sind ja da sehr stark exponiert und bilden dann auch entsprechende Resistenzen aus. Deswegen muss man eben doch diese relativ schlechten Impfstoffe empfehlen. In Indien gibt es einen tatsächlich sehr viel besseren Impfstoff, ein Konjugatimpfstoff, der da zugelassen ist. Dummerweise ist der in Europa nicht zugelassen, nicht verfügbar. Um das zu erreichen, müssten die Inder hier nochmal die Phase III wiederholen, und das ist denen zu aufwendig und zu teuer gewesen bisher.
Mathias Pletz: Das war ja auch eine Entwicklung, die wir bei anderen bekapselten Bakterien gesehen haben. Bei den Pneumokokken ging es ja auch vom Polysaccharidimpfstoff zur Konjugatvakzine, und erst die Konjugatvakzine hat dann auch zur Veränderung in der Gesamtepidemiologie geführt, weil bestimmte – also die Impfstämme – ja zum Teil komplett eradiziert wurden. Ähnliches haben wir bei Meningokokken gesehen, bei Haemophilus influenzae b. Lange bevor der sozusagen „weggeimpft“ wurde, gab es ja die Polysaccaridvakzinen in den Neunzigern. Die hatten gar nicht viel bewirkt. Da ist zu hoffen, dass diese Konjugatplattform auch bei Typhus – vielleicht dann doch eine Firma sich dessen annimmt und die Studien durchführt, so dass wir sie auch einsetzen können.
Tomas Jelinek: Ja, das wäre sicher sehr, sehr schön.
Mathias Pletz: Wir haben unsere Zeit schon überschritten. Ich könnte mit Ihnen noch sehr viel länger sprechen. Ich bin auch der Überzeugung, wenn Sie es einrichten können, würde ich mit Ihnen gerne nochmal einen zweiten Termin machen, um die Themen ein bisschen aufzubohren. Wir haben die Malaria ja jetzt vollkommen außenvor gelassen, weil das sicherlich etwas ist, das eine eigene Podcastfolge verdient. Wir haben einen sehr weiten Bogen geschlagen von den Vektor-assoziierten viralen Erkrankungen, den bakteriellen Erkrankungen. Wir haben über die autochtonen Fälle gesprochen, die zunehmen, aber insbesondere auch die Reise-assoziierten Fälle, die zunehmen. Wir haben über Patienten-Phänotypen gesprochen, an die man denken sollte. Was bei mir nochmal hängengeblieben ist, dass man bei West-Nile, was ja hier auch vorkommt, die Diagnose serologisch stellen kann, weil es ein zweigipfliger Verlauf ist und der Patient sich meistens in dem zweiten Gipfel präsentiert, wie bei FSME auch, während bei Chikungunya und Dengue vor allen Dingen die Schmerzen in der Akutphase im Vordergrund stehen. Wir haben aber auch über Borrelia recurrentis und über Rickettsien gesprochen. Und zum Schluss haben wir nochmal die Neuerung bei den Reise-assoziierten Impfstoffen diskutiert. Vielleicht aus Ihrer Sicht – ich beende die Podcastfolge immer gern damit – was sind aus Ihrer Sicht so drei, vier Dinge, die Sie den klinischen Kollegen unbedingt mit auf den Weg geben würden? Was sind Fallstricke, die man vielleicht unbedingt vermeiden sollte? Was sind Dinge, die man unbedingt tun sollte? Also Dos & Don’ts. Was wäre aus Ihrer Sicht aus unserer Folge sozusagen die Take-Home-Message?
Breiteres Spektrum bei Fieber im Kopf haben
Tomas Jelinek: Ja, ich denke, das Entscheidende in der klinischen Tätigkeit ist tatsächlich, dass sich die Differentialdiagnose Fieber aufdehnt. Also, das wird mehr, und das ist natürlich ein Effekt des Reisens, der Veränderungen, die wir sehen, und eben auch der Veränderung, die wir hier sehen. Das heißt, hier ein breiteres Spektrum einfach im Kopf zu haben, was Fieberursachen sein können, ist, denke ich, schon wichtig, wird wichtiger. Auch wenn man gar nicht mal so sehr viel mit Tropen- und Reisemedizin zu tun hat. Solche Leute stolpern einem einfach zunehmend in die Notaufnahme. Dann eben kurz zu überlegen: Kann das nicht auch einer dieser, dieser Exoten quasi, sein, die häufiger werden? Dann ist es für den ein oder anderen Patienten natürlich schon auch segensreich, wenn man zumindest in die Richtung mit denkt.
Mathias Pletz: Also das noch mal ein guter Hinweis auch an die Kollegen, die infektiologischen Kollegen, die mal zum Konsil in die Notaufnahme gerufen werden, dass man diese Erreger – vielleicht nicht als primäre Diagnose, aber wenn das Häufige ausgeschlossen ist, dass man daran auf jeden Fall denken sollte. Ja, vielen herzlichen Dank, lieber Herr Jelinek! Also, ich habe selber sehr viel, sehr viel gelernt.
Tomas Jelinek: Sehr gern.
Mathias Pletz: Sie haben auch einige Studien genannt. Die werden wir wie immer in den Shownotes verlinken. Sie können sie also nachlesen und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank für Ihr Interesse. Bleiben Sie uns treu. Sie bekommen natürlich auch CME-Punkte, wenn Sie die Fragen beantworten, und wenn Sie uns noch nicht abonniert haben, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie es tun. Wir freuen uns natürlich auch immer über ein Feedback. Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen Ihrer Patienten!
Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!
Ihr Team von InfectoPharm.
Referenzen
[[1]] Chen X, Kalyar F, Chughtai AA & MacIntyre CR (2024) Use of a risk assessment tool to determine the origin of severe acute respiratory syndrome coronavirus 2 (SARS‐CoV‐2). Risk Analysis. Wiley Online Library. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/risa.14291.
[[2]] Huits R & Schwartz E (2021). Fatal outcomes of imported dengue fever in adult travelers from non-endemic areas are associated with primary infections. Journal of Travel Medicine 28(5) taab020.
[[3]] Tricou V et al. (2020) Safety and immunogenicity of a tetravalent dengue vaccine in children aged 2-17 years: a randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet. 395(10234):1434-1443. doi: 10.1016/S0140-6736(20)30556-0. Epub 2020 Mar 17. PMID: 32197107.
[4] Süddeutsche Zeitung, 15.03.2024. https://www.sueddeutsche.de/panorama/bettwanzen-panik-
paris-russland-fake-news-1.6456335?reduced=true
[5] https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Dengue/FAQ-Liste.html#FAQId16769178 (Abruf: 20.08.2024)