consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – #03 – 25.08.2023
consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast
mit Prof. Mathias Pletz
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Bauchgefühle – Intraabdominelle Infektionen
Zu Gast heute:
PD Prof. Christian Eckmann.
Prof. Mathias Pletz …
… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Mathias Pletz: Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge von Consilium infectiorum, dem infektiologischen Klinik-Podcast, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Und heute haben wir ein Thema, das ein Paradebeispiel für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist: abdominelle Infektionen. Abdominelle Infektionen, wissen Sie, sind nach der Pneumonie einer der häufigsten Foci für schwere Infektionen und für Sepsis, und unser Gesprächspartner heute ist ein guter Freund von mir – wir kennen uns schon seit vielen Jahren – und ein Kollege: Professor Christian Eckmann, Chefarzt der Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie am Klinikum in Hannoversch Münden. Er ist Facharzt für Chirurgie, für Viszeralchirurgie, für Thoraxchirurgie, der sich wirklich gut mit Antibiotika auskennt und der eine Leidenschaft für Infektionen hat. Er hat sich schon während seiner Promotion mit nekrotisierenden Weichgewebsinfektionen befasst, und immer, wenn wir einen Chirurgen für Veranstaltungen planen als Referenten, ist sein Name der, der mir zuerst einfällt. Deswegen freue ich mich sehr, Christian, dass du heute bei uns bist. Ja, und du bist auch ABS-Experte. Du hast verschiedene nationale, internationale Leitlinien mitverfasst, und wir wollen heute auch ein bisschen über die Interaktion zwischen dem Infektiologen und dem Chirurgen sprechen und von dir vielleicht auch ein paar Tipps bekommen, wie wir besser mit unseren Kollegen in der Klinik umgehen können, wenn wir am Patientenbett stehen. Herzlich willkommen!
Christian Eckmann: Vielen Dank für die lieben Worte, Mathias, die kann ich nur erwidern, also es ist auch immer eine Freude, mit dir zusammenzuarbeiten.
Mathias Pletz: Dann wollen wir gleich direkt ins Thema ansteigen: abdominelle Infektionen. Immer wenn ich mit Studenten zusammensitze, merke ich, sie verhaspeln sich in den ganzen unterschiedlichen Begriffen: Cholangitis, Cholezystitis, Divertikulitis… Wie teilt man die pragmatisch am Patientenbett ein?
Christian Eckmann: Ja, also da haben die Studenten völlig Recht. Ich bin selber manchmal immer noch konfus über die verschiedenen Entitäten, die sich im Bauchraum abspielen. Also, grundsätzlich sind es Infektionen, die vom Ösophagus bis zum Rektum sämtliche intraabdominellen Organe betreffen können, wobei aber die Unterscheidung ganz gut ist, dass man einmal sagt, wir haben gastrointestinale Infektionen, das ist wirklich die Domäne der inneren Medizin: Gastritis, Helicobacter pylori, vielleicht auch Reisediarrhoe. Das sind gastrointestinale Infektionen, die stehen so ein bisschen für sich. Grundsätzlich wäre auch eine Harnwegsinfektion eine Bauchrauminfektion, weil das Organ auch im Bauchraum ist, aber relativ eng gesprochen würden wir unter intraabdominellen Infektionen diejenigen verstehen, die entweder eingeteilt werden in unkomplizierte Infektionen, das heißt eine Infektion des Bauchraums ohne eine Peritonitis oder einen Abszess. Und eine komplizierte Infektion, bei der das existiert – das ist diese amerikanische Einteilung, die ich gar nicht so toll finde, weil zum Beispiel, sagen wir, eine Clostridioides difficile-Infektion mit einem Ribotyp 027 und einer Mortalität von 40 % eine unkomplizierte Infektion wäre, weil es keine Peritonitis ist, und eine akute Appendizitis mit einer Mortalität von 0,5 % wäre eine komplizierte Infektion. Insofern ist das nicht so gut, glaube ich, für die Einteilung. Klinisch, pragmatisch am Krankenbett, hat sich eigentlich seit Jahrzehnten die Einteilung in verschiedene Peritonitis-Formen bewährt. Da haben wir einmal die primäre Peritonitis, bei der keine Hohlorganperforation vorliegt, sondern im Erwachsenenalter so gut wie immer eine Translokation aus dem Magen-Darm-Trakt. Das ist häufig bei Leberzirrhose-Patienten der Fall, die dann eine monomikrobielle Infektion haben, oder auch CAPD-Katheter-Infektion, das ist auch primäre Peritonitis.
Mathias Pletz: Vielleicht kannst du gleich mal ein paar Beispiele für Erreger geben, die du an dieser Stelle erwarten würdest. Die unterscheiden sich ja.
Primäre, sekundäre, tertiäre Peritonitis
Christian Eckmann: Ja, ja schon. Es sind schon die Enterobacterales, die führend sind bei den Erwachsenen. Bei den Kindern sind es aber Streptokokken, die häufig bei so einer primären Peritonitis gefunden werden. Da ist schon eine Differenzierung. Bei Erwachsenen würde man das „Übliche“ des Gastrointestinaltraktes erwarten. Prädominant Enterobacterales, E. coli, Klebsiella, aber eben auch eine große Abhängigkeit von der Lokalisation. Im oberen GI-Trakt mehr Grampositive, Streptococcus anginosus, Enterokokken. Im unteren GI-Trakt häufiger auch Anaerobier mitinvolviert. Aber generell sind die Leiterreger auch kausal pathogenetisch, wie die Enterobacterales.
Mathias Pletz: Und die nächsten Peritonitis-Stufen?
Christian Eckmann: Ja, und dann kommen wir jetzt zum Bereich mit dem weit überwiegenden Anteil der Peritonitiden, den sogenannten sekundären Peritonitiden. Das sind die Patienten, bei denen eine Unterbrechung des Gastrointestinaltraktes, eine Hohlorganperforation vorliegt. Sie können unterteilt werden in die ambulant erworbenen sekundären Peritonitiden, also Patient mit Magenperforation nach NSAR-Einnahme mit einem ganz normalen Erregerspektrum, auch hier wieder mal, aber da Enterobacterales führend, aber keine resistenten Erreger, zumindest überwiegend nicht in Deutschland. Da haben wir einen Anteil von über 90 % mit suszeptiblen Enterobacterales. Dann haben wir die nosokomialen, postoperativen sekundären Peritonitiden. Da wäre ein klassisches Beispiel die Anastomosen-Insuffizienz nach einer Rektumresektion, also da ist auch ein Loch im Gastrointestinaltrakt, aber das ist erst nach der Operation aufgetreten. Da ist ein völlig anderes Erregerspektrum. Da sind sehr viel mehr resistente Erreger im Bereich der Enterobacterales vorhanden, da können Pseudomonaden eine Rolle spielen. Es können auch Candida-Spezies eine Rolle spielen, die bei den ambulant Erworbenen überhaupt keine Rolle spielen, oder eine sehr geringe Rolle, sagen wir mal so. Und dann gibt es noch eine Sonderform. Die ist ein bisschen vage, gebe ich zu, es ist die am schlechtesten validierte Form, die tertiäre Peritonitis. Das sind Patienten überwiegend auf Intensivstationen, offenes Abdomen, die einen Monat lang da schon liegen und behandelt werden. Chirurgisch ist alles austherapiert, keine Fistel, keine weitere Perforation. Aber die Patienten sind so immunkompromittiert, dass bei der offenen Bauchhöhle auch eigentlich Erreger von geringer kausaler Pathogenität wie Enterokokken oder Candida-Spezies eine richtig schlimme Infektion auslösen können, für die es keine chirurgische Lösung gibt, weil die chirurgische Lösung schon abgeschlossen ist.
Mathias Pletz: Und die quartäre Peritonitis hatte ich auch einmal bei euren Einteilungen gesehen.
Christian Eckmann: Ja, das war eine sehr liebevolle zusätzliche Einteilung mit der Abszedierung von Peter Kujath, mein Lehrer und Mentor, den ich über alles schätze, hat sich aber im klinischen Alltag eigentlich nicht mehr bewährt. Deswegen habe ich darauf verzichtet es zu erwähnen.
Mathias Pletz: Alles klar! Das macht es einfacher, wenn wir nur 1 bis 3 im Hinterkopf behalten müssen.
Christian Eckmann: Genau.
Mathias Pletz: Eine Entität, die mir gerade noch eingefallen ist, weil ich vor ein paar Minuten dazu einen Anruf hatte, die wir eigentlich gar nicht so richtig zuordnen können: Was ist denn mit der Ösophagusruptur? Das passiert ja oftmals auch iatrogen, und wenn wir dann über die empirische Therapie sprechen, hatte ich immer den Eindruck, bei der Ösophagusruptur herrscht viel Unsicherheit, weil es eben wenige Daten dazu gibt. Das ist aus meiner Sicht eine der Indikationen – weil die Gefahr Mediastinitis besteht – wo wir auch empirisch mal Candida mit adressieren.
Christian Eckmann: Ja, das ist eine wirkliche „Crossover-Erkrankung“. Das ist sozusagen eine thorakal-abdominelle Infektion, wenn du so willst, meine beiden Fachgebiete mit einschließend. Einmal iatrogen bei Biopsien oder solchen Dingen, wo die Kollegen dann am Ende sehen: ‚Huch, da ist ein Loch!‘, und das können sie auch nicht mit OTS-Clips oder was auch immer verschließen oder machen es, aber haben Angst, dass sie während der Intervention eine Mediastinitis hervorgerufen haben. In der Tat, weil im oberen GI-Trakt Candida das natürliche Habitat ist, würde ich das immer in eine kalkulierte, antimikrobielle Therapie mit einschließen. Und dann gibt’s noch das Boerhaave-Syndrom, also die Ösophagusruptur durch einen Spasmus im distalen Ösophagussphinkter nach Einnahme großer Mahlzeiten, starker Mahlzeiten, wo dann, meistens nach links hin, nicht nur die Mediastinitis eine Rolle spielt, sondern auch das Pleuraempyem. Das sind Patienten, die es zuerst gar nicht bemerken, werden auch erst falsch als „Pneumonie“ behandelt. Da hatten wir neulich mal einen Patienten. Wenn man dann ein CT macht, sieht man da auch ein furchtbares Pleuraempyem. Die müssen dann operativ behandelt werden. Also bei interventionell endoskopischen, während der Intervention aufgetretenen Perforationen, die auch wieder endoskopisch verschlossen werden können, würde ich sagen, erstmal keine Chirurgie, aber bei den Patienten mit dem Boerhaave-Syndrom, da muss mindestens eine Thorakoskopie durchgeführt werden und eine Drainage, um ein Pleuraempyem auszuschließen oder nachzuweisen. Meistens operieren wir sie erst, wenn sie schon ein Pleuraempyem haben.
Mathias Pletz: Ich kann mich an einen Fall in meiner Assistenzarztzeit erinnern. Da sind wir damals drauf gekommen, weil in dem Pleuraerguss vor allem die Amylase aus dem Speichel sehr, sehr hoch war. Darüber kam dann die Idee, in der Bildgebung gezielt nach dem Ösophagus zu sehen.
Christian Eckmann: Ich füge noch eine Anekdote hinzu. Wir hatten mal einen Patienten, der aus Kreta zu uns überwiesen wurde. Er hatte da lecker zu Abend gegessen und danach die Perforation gehabt. Die haben es auch nicht so richtig gecheckt, haben ihn dann verlegt im schwersten Zustand, und wir haben bei der Revision die Fischgräten aus dem Thorax herausgeholt.
Mathias Pletz: Aus dem Thorax, okay!
Christian Eckmann: Ja, das Mahl hatte sich sozusagen in den Thorax entleert, Teile davon.
Mathias Pletz: Ja, das zeigt – das sage ich auch den Studierenden immer – wenn wir über Sepsis und Antibiotika sprechen, sage ich: ‚Vergessen Sie bitte nicht den Chirurgen!‘ Über Jahrhunderte hinweg war Infektionstherapie Chirurgie gewesen. Antibiotika haben wir noch gar nicht so lange, und wenn man den Fokus mechanisch sanieren kann, ist das wahrscheinlich sogar deutlich effizienter als eine klassische Antibiotika-Therapie. Das bringt uns aber schon zu der Diagnostik. Wenn ich jetzt in der Notaufnahme stehe, da kommt ein Patient herein, ich vermute eine Sepsis. Der erste Fokus, an den wir immer denken, ist die Pneumonie. Er hat keine Pneumonie im Röntgenbild, er hat vielleicht auch keine Fremdkörper, die zu sehen sind, klagt vielleicht noch über Bauchschmerzen, oder der Bauch ist in der Untersuchung eben hart, angespannt, schmerzdruckhaft. Wie geht es weiter aus deiner Sicht? Wie wäre hier eine adäquate, schnelle Diagnostik? Was muss ich machen als Assistent in der Notaufnahme?
Unklares Abdomen, akutes Abdomen
Christian Eckmann: Ich gehe zunächst noch einen kleinen Schritt zurück und sage, es wird ein Patient in die Notfallaufnahme gebracht, und es heißt, er hätte ein „akutes Abdomen“. Das höre ich, glaube ich, dreimal am Tag. Dann gehe ich da hin, und dann liegt da einer mit gekreuzten Beinen und liest die Zeitung. Das ist natürlich kein „akutes Abdomen“, das ist ein „unklares Abdomen“. Diese Differenzierung muss man gleich treffen, denn sowohl die Intensität des diagnostischen Prozesses als auch der zeitliche Ablauf des diagnostischen Prozesses hängen eng mit der Akuität des Krankheitsbildes beim Patienten zusammen. Bei dem Patienten, den ich gerade erwähnt habe, da haben wir Zeit. Da können wir in aller Ruhe das Abdomen untersuchen, da können wir Laborwerte bestimmen und eine Sono machen, dazu komme ich noch. Die Message ist: Ein Großteil der Patienten, die vermeintlich ein akutes Abdomen haben, haben es überhaupt nicht. Jetzt aber zu deinem Fall, der sozusagen schon eine nächste Dramatikstufe ist. Der Patient ist in der Sepsis, und man hat keine Pneumonie gefunden. Der zweithäufigste Grund, hast du völlig richtig gesagt, ist eine intraabdominelle Infektion. Das Krankheitsbild des Patienten, wenn er noch bei Bewusstsein ist, ist eigentlich relativ typisch. Diese klassische Schonhaltung mit angezogenen Beinen, dass man da schon sieht, er versucht, dieser Bauchdeckenspannung durch den Peritonismus entgegenzuwirken, indem er die Bauchdecke auflockert durch das Anziehen der Beine. Das ist schon ein erstes Zeichen, wenn man hereinkommt, da hat man noch nicht eine Hand auf den Patienten gelegt. Dem geht’s nicht gut. Das ist eine klare Reaktion auf den Schmerz des parietalen Peritoneums. Insofern ist das eine ganz wichtige, erste Information, nur vom Gucken her, ohne etwas gemacht zu haben. Und in der Tat, je kooperationsbereiter und besser untersuchbar so ein Patient ist, desto eher findet man die klinischen Zeichen des akuten Abdomens mit einem lokalisierten oder diffusen Druckschmerz, eine Abwehrspannung oder in der schlimmsten Form des Peritonismus, das heißt, bei einer leichten Berührung, einem leichten Antippen des Abdomens schreit der Patient schon und sagt: ‚Gehen Sie weg!‘ Und diese Adjustierung kann man treffen, aber oft genug können wir sie nicht treffen. Dann haben wir einen Patienten, der gar nichts mehr sagen kann, und das Einzige, was wir haben, ist der verschlechterte Allgemeinzustand. Das ist die häufigste Einweisung bei akutem Abdomen, die ich in der ZNA finde, wo auch die Internisten sagen: ‚Wir finden hier nichts mehr, können Sie mal vorbeikommen? Dem geht es einfach irgendwie schlechter. Das ist alles, was wir haben‘, und sie kriegen aus der klinischen Untersuchung gar nichts richtig heraus. Aber mit diesen einfachen klinischen Untersuchungen kann man schon mal abschätzen: Was brauchen wir jetzt? Wie schnell muss das gehen? Und in dem Moment, wo ich bei so einem Patienten einen Peritonismus oder eine Abwehrspannung habe oder die Schonhaltung sehe, da läuten bei mir die Alarmglocken. Dann muss ein relativ schneller diagnostischer Prozess laufen. Der bezieht sich zum einen auf die Laborparameter, die Infektparameter, Leukozyten, CRP, bei der Sepsis würde ich auch in der Notfallaufnahme schon ein Procalcitonin bestimmen. Wir kommen noch drauf, wie wertvoll oder nicht wertvoll das ist. Ultraschall ist absolut obligat bei der Untersuchung am Krankenbett, bevor alles Weitere läuft. Das kann den diagnostischen Prozess dann auch abkürzen. Es können ja ganz, ganz verschiedene Differentialdiagnosen dahinterstecken. Es muss nicht die Infektion sein, es kann auch eine Blutung sein oder wie auch immer. Aber eine große Ansammlung freier abdomineller Flüssigkeit oder der Nachweis von freier Luft kann bei einem kreislaufinstabilen Patienten – wir sind aber noch in der Sepsis, noch nicht im septischen Schock – kann beim kreislaufinstabilen Patienten sofort zum Abbruch der Diagnostik und zum Überführen des Patienten in den OP führen, damit Therapie und Diagnostik zusammenkommen.
Rechtzeitig Therapie und Diagnostik in den OP verlagern
Mathias Pletz: Ganz wichtig, ganz spannend, weil ich das auch in meiner Vergangenheit immer wieder einmal anders gesehen habe, dass ein Fachgebiet gerne möchte, dass das andere zuerst den Patienten diagnostiziert und wertvolle Zeit verloren geht. Diese „diagnostische Laparotomie“, die dann notfallmäßig läuft – Sono kann man sicherlich noch machen, wenn verfügbar – aber das würdest du auch machen, bevor ein CT gefahren wird, wenn der Patient kreislaufinstabil ist und der Verdacht hier auf einen abdominellen Fokus besteht?
Christian Eckmann: Auf jeden Fall, das ist ein absolutes Basisdiagnostikum, und du hast es völlig richtig gesagt: Wir haben oft Prozesse in ZNAs, die tradiert sind über Jahrzehnte. Also, es gibt Liegendaufnahmen, in denen alle Patienten mit unklaren Bäuchen zunächst von der inneren Abteilung gesehen werden. Dann gibt es Abteilungen, in denen man sagt, oberer Gastrointestinaltrakt, das ist ja meistens Ulcus oder Gastritis. Oberbauch: Internisten. Unterbauch: Chirurgen. Ganz absurd! Meiner Meinung nach sollte jeder Patient mit unklarem / akutem Abdomen von Gastroenterologen und Chirurgen gesehen werden. Von beiden! Und je nachdem, welche von den beiden Disziplinen primär als Therapeut in Frage kommt, sollte dann der Lead übernommen werden. Entweder bei unauffälligem Befund und Verdacht auf Ulcus duodeni durch Internisten oder auch bei Patienten, bei denen eine operative Intervention auch nur möglich ist, nicht sicher, sollte primär der Chirurg der Weiterbehandelnde sein. Dann kann man immer noch später sagen: ‚Ja, wir müssen doch nicht operieren. Gut, dann haben wir eine unkomplizierte Sigmadivertikulitis, einverstanden, keine Operation.‘ Gut, dann kann das meinetwegen auch internistisch weiterbehandelt werden. Aber die Sache ist die, wir werden noch darauf kommen, der Zeitpunkt der chirurgischen Intervention ist gerade bei schwerkranken Patienten so unheimlich wichtig fürs Überleben. Deswegen glaube ich, dass bei Patienten, bei denen man auch nur daran denkt, dass möglicherweise eine Intervention chirurgisch notwendig ist, dass die primär erst einmal chirurgisch sind.
Wert der Laborparameter und des klinischen Blicks
Mathias Pletz: Das finde ich sehr, sehr wichtig. Das versuche ich auch, wie gesagt, meinen Studierenden immer beizubringen. Die erste Frage bei einer Infektion ist immer: Wo ist der Fokus? Fokus heißt nicht nur, das ist das Erregerspektrum und diese Substanz muss ich wählen, sondern da muss gleichzeitig auch der Entscheidungsprozess laufen: Ist es ein Fokus, den ich mechanisch entfernen kann? Kann mir der Chirurg da helfen? Das muss natürlich auch zeitkritisch erfolgen. Da gab es die Medusa-Studie [1] aus Jena, die das gut gezeigt hatte. Wenn man zu viele Stunden verstreichen lässt, kann sich die Sterblichkeit verdoppeln. Alles, was nach 6 Stunden operiert wurde, hatte eine doppelt so hohe Letalität gehabt. Das kann man, glaube ich, nicht oft genug betonen. Du hattest schon Laborwerte angerissen. Was würdest du dir denn wünschen neben basismikrobiologischer Diagnostik, Blutkulturen, die man immer nicht vergessen sollte, was würdest du dir für die klinische Chemie und für die Mikrobiologie noch wünschen aus der Notaufnahme, von dem Kollegen, der den Patienten zuerst sieht?
Christian Eckmann: Ja, in der Notfallaufnahme selbst wären das neben den Infektparametern, die ich schon angesprochen hatte, also Leukozyten, CRP und in der Sepsis – nicht bei allen – nur in der Sepsis, nicht bei allen, Procalcitonin. Das ist auch so ein Reflex: Jeder, der in die Notfallaufnahme kommt, bekommt Procalcitonin und dann am besten auch noch BNP, weil da vielleicht doch was am Herzen ist… Ich denke, das ist auch eine Explosion im Gesundheitswesen, den fehlenden klinischen Blick zu ersetzen durch massive Laborwertbestimmung. Also eigentlich brauchen wir in der Notfallaufnahme nur Basisparameter, davon sprach ich schon. Aber zu den Infektparametern auf jeden Fall natürlich noch Hb, Thrombozyten, um zu schauen, ist da schon ein Verbrauch zu sehen? Ist eine disseminierte intravasale Koagulation im Anflug? Also INR natürlich dann auch, nicht nur die Thrombozyten. Aber spezifisch vom Abdomen würde ich mir auf jeden Fall Amylase wünschen, oder Lipase ist eigentlich der Parameter, um Pankreatitis oder Lipasämie noch in die Differentialdiagnose mit einzubeziehen. Und natürlich auch die Leberfunktionsparameter, also GOT, GPT, alkalische Phosphatase auch für die Cholangitis und Cholinesterase für die Leberfunktion. Also da brauchen wir diese Parameter. Laktat wird dann auch immer wieder gesagt. Unsicher – kann man machen, aber Laktat beweist keine mesenteriale Ischämie mit Peritonitis und schließt sie auch nicht aus. Der diagnostische Wert liegt zwischen 30 und 50 %. Wird immer gemacht. Ist ja vielleicht auch okay für den quickSOFA und Blablabla-Bestimmung, aber für die Entscheidung, operiere ich oder nicht, hilft mir Laktat wenig.
Mathias Pletz: Das ist ganz, ganz spannend, diese Aussage. Wir gucken zum Beispiel auch, bei der Clostridium difficile-Kolitis schauen uns auch immer das Laktat an, wann wir glauben, das geht in die falsche Richtung, toxisches Megakolon etc. Du meinst also, ein niedriges Laktat soll einen nicht in falscher Sicherheit wiegen?
Christian Eckmann: Ja, in der Situation, die du beschrieben hast, ist das wiederum wertvoll. Du hast einen Patienten, der wird schon behandelt, ist schon ein paar Tage dabei, und dann ist Laktat als Verlaufsparameter wertvoll. In der Notfallsituation der ZNA wird das bestimmt, ist auch okay, dass man einen Ausgangswert hat. Es ist vielleicht ein kleiner Mosaikstein, aber ich guck jetzt nicht primär aufs Laktat, wenn ich überlege: ‚Mensch, muss der Patient jetzt operiert werden oder nicht?‘, sondern dann gucke ich mir andere Werte an.
Mathias Pletz: Du hattest auch das PCT angesprochen. Bei der Pneumonie ist es ja eigentlich sehr gut validiert. Da gibt es relativ klare Cut-Offs. Das ist auch meist relativ niedrig. Nach meiner Erfahrung ist es beim abdominellen Fokus häufig deutlich höher als beim pulmonalen Fokus. Es gab ja immer viele Diskussionen. Ist es der Erreger, der über die Höhe entscheidet? Also grampositiv eher niedrig gramnegativ eher hoch? Bei Pilzen weiß man sowieso nicht so richtig, was es mit dem PCT macht. Oder ist es der Fokus? Was machst du mit dem PCT als Chirurg, wenn es ein abdominaler Fokus ist? Beruhigt dich ein niedriges PCT oder wie gehst du vor, was machst du von der Entscheidung her damit?
Christian Eckmann: Ja, also die wesentlichen Parameter… Mit dem CRP kommt man schon sehr weit bezüglich des Wertes eines Akutphasenparameters für die Detektion einer Sepsis oder eines abdominellen septischen Fokus. Das reicht mir oft schon fast, aber das PCT ist dann additiv mit dabei. Es reagiert bei intraabdominellen Infektionen sehr stark. Das ist, glaube ich, auch ein Inokulum-Effekt. Ich denke, dass eine riesige Anzahl freigesetzter Bakterien, 1012, die bei einer Peritonitis mit Perforation freigesetzt sind, natürlich auch die Biomarker-Expression exzessiv ansteigen lassen. Das muss man schon so sagen. Deswegen sind diese Werte „skyhigh“ im Vergleich zur Pneumonie. Das habe ich oft schon gesehen, und da ist der Parameter, sag ich mal, gut, also additiv. Bei der Sepsis nehme ich ihn immer mit. Aber – wir kommen ja noch drauf – wenn wir an andere Eigenschaften von Biomarkern kommen: Kann ich damit meine Antibiotikatherapie steuern, kann ich damit Antibiotikatage einsparen? Da ist das PCT leider nicht so gut wie bei respiratorischen Infektionen. Darüber gibt es nur Überlegungen, warum das so ist. Meine Überlegung ist am ehesten, dass trotz erfolgreicher Chirurgie, die dann durchgeführt wird, immer noch eine Störung der Mukosabarriere da ist. Es werden weiterhin über Translokationen Bakterien freigesetzt, die Biomarker-Expression bei intraabdominellen Infektionen auslösen, sodass die PCT-Werte nicht in dem Maße sinken, wie wir das von respiratorischen Infektionen kennen. Aber das ist eine Spekulation, das weiß ich nicht.
CT für die operative Strategie und mikrobiologisches Material gewinnen
Mathias Pletz: Was würdest du dir noch an mikrobiologischer Diagnostik wünschen? Also Blutkulturen, ganz klar, und den Rest macht ihr als Chirurgen sozusagen, wenn das Abdomen eröffnet ist?
Christian Eckmann: Ja, genau, also wenn wir die Entscheidung getroffen haben, die operative Intervention durchzuführen, weil durch Ultraschall oder konventionelles Röntgen – man sollte es nicht unterschätzen, man kann auch da noch freie Luft sehen – und das ist dann klar, zack, wir machen eine Laparoskopie oder Laparotomie – die Entscheidung ist ja individuell zu treffen. Die allermeisten Patienten bekommen auch bei uns ein Abdomen-CT vor einer Durchführung einer operativen Intervention. Gar nicht so sehr, weil wir davon die Operationsindikation zwingend abhängig machen. Die haben wir oft schon vorher gestellt. Nur wollen wir gerne wissen, was erwartet uns da, was ist denn da? Ist das jetzt eher Rektumperforation oder es ist eine Magenperforation oder haben wir da einen großen Tumor im Bauch zu erwarten? Für die operative Strategie, dass man sich ein bisschen vorbereiten kann, finde ich die CT gut. Aber zwingend notwendig ist sie gar nicht mal so häufig beim echten, akuten Abdomen mit Sepsis, von dem du als „Paradepatient“, den wir jetzt hier weiterverfolgen, gesprochen hast. Da ist es gar nicht so zwingend. Aber es ist ein Basisdiagnostikum bei Patienten mit einer operativen Intervention. Das ist klar. Und, ja tatsächlich, intraoperativ – da sind wir in einer privilegierten Rolle gegenüber den internistischen Kollegen – weil wir natürlich enorm viel Material gewinnen können. Das ist ja grandios. Ich sage immer meinen chirurgischen Kollegen: ‚Bitte nicht nur einen Abstrich nehmen!‘ Das ist ein Klassiker. Aber ich kann verstehen, wenn man das um 3 Uhr nachts macht, dass man da nicht denkt: ‚Oh, wir denken jetzt an die Paul-Ehrlich-Gesellschaft! Wir nehmen hier so und so viele ml Flüssigkeit.‘ Das kann ich verstehen. Aber bei einer normalen Uhrzeit, denke ich, sollte man aus allen 4 Abdominalquadranten 10 ml Flüssigkeit gewinnen. Damit kann man zum Beispiel auch, was wir ganz gerne machen, Kinder-Blutkulturen beimpfen. Das ist dann ein geringes Volumen, in das man es hineinspritzen kann. Dann hat man eine bessere Aussagekraft. Ja, wir nehmen auch Abstriche. Und was ich auch empfehlen kann, sind Gewebeproben. Die kann man auch histologisch auf Erregerformationen, zum Beispiel Candida-Mycelien untersuchen lassen, wenn man den Verdacht auf eine Candida-Peritonitis hat. Da haben wir diagnostisch unfassbar viele Möglichkeiten als Chirurgen, weil wir so nah dran sind und so viel Gewebe gewinnen können – im Gegensatz zu einem „armen Pneumologen“, der mit 5 ml BAL-Eluat zufrieden ist und mir sagt: ‚Hey, das habe ich jetzt!‘
Empirische Antibiotikatherapie
Mathias Pletz: …und das nicht einmal aus einer sterilen Site abgenommen ist. Wo du die ganze Kolonisation noch mit berücksichtigen musst, das stimmt. Jetzt die nächste Frage. Auf die haben wahrscheinlich alle in diesem Podcast gewartet: empirische Antibiotikatherapie. Da habt ihr euch Gedanken gemacht in Abhängigkeit vom Grad der Peritonitis, vom zu erwartenden Erregerspektrum. Wir haben es schon kurz angerissen. Kannst du da einmal etwas sagen? Wahrscheinlich so schnell wie möglich, auch vor der OP noch? Was wäre dein Herangehen?
Christian Eckmann: Ja, wir haben bei der Paul-Ehrlich-Gesellschaft ein 4-Stufen-Modell entwickelt für die antimikrobielle, empirische Therapie, also die nationalen Empfehlungen, die, dieses Jahr wahrscheinlich beginnend, neu aufgearbeitet werden. Das ist ein pragmatisches Modell, das ich auch im Vergleich mit den internationalen Leitlinien nach wie vor gut und richtig finde. Wir haben einerseits Basisinfektionen, wie akute Appendizitis, Cholezystitis wo bei kreislaufstabilen Patienten, also ohne Sepsis oder septischen Schock, absolute Basismedikamente wie Cefuroxim / Metronidazol; Ampicillin / Sulbactam; Amoxicillin / Clavulanat völlig ausreichend sind. In Deutschland sind wir in der privilegierten Situation, dass wir resistente Erreger dort nicht primär berücksichtigen müssen im Gegensatz zu anderen Ländern der Welt.
Mathias Pletz: Wenn ich kurz einhaken darf? Wahrscheinlich wissen es die meisten Zuhörenden unseres Podcasts, aber das Metronidazol schließt quasi bei den Cephalosporinen immer die Anaerobier-Lücke. Die Anaerobier wollen wir ja unbedingt adressieren. Währenddessen haben die anderen genannten Kombinationen, die du gerade gesagt hattest, also Amoxicillin / Clavulansäure oder Ampicillin / Sulbactam die Anaerobier im Spektrum ja schon mit dabei haben. Eine Frage noch an dich: Cefuroxim / Metronidazol hat ja die Enterokokken nicht dabei. Ampicillin und Amoxicillin erfassen die mit. Ab welcher Peritonitis würdest du denn empirisch die Enterokokken erfassen? Und dann vielleicht, um die Frage noch richtig schwer zu machen, den Enterococcus faecalis, wo ja Ampicillin, Amoxicillin gut geht, oder den Enterococcus faecium, wo ich ja de facto schon bei Vanco oder, wenn die Niere nicht mitspielt, bei Linezolid bin?
Christian Eckmann: Na, das sind ja Fragen, darauf hättest du mich aber vorbereiten sollen. [Lachen]. Also, ich unterteile die Antwort. Nr. 1: Ambulant erworbene sekundäre Peritonitiden, da gibt es Arbeiten, die Antibiotika-Regime miteinander verglichen haben, die Enterokokken mit einschließen und nicht mit einschließen [2]. Bei kreislaufstabilen Patienten kein Unterschied. Warum? Die Enterokokken sind kausal, pathogenetisch minderwertig. Die Infektion wird durch die Enterobacterales prädominant ausgelöst, ob wir die Enterokokken mit einschließen, ist zu dem Zeitpunkt genauso unwichtig wie Pseudomonaden einzuschließen. Die brauchen wir da auch nicht. Mit anderen Worten, da ist es eigentlich egal, ob man die Enterokokken mit drin hat. Wir haben hier einen Standard mit Cefuroxim / Metronidazol, weil die Aktivität oder die intrinsische Resistenz gegenüber E. coli, zumindest bei uns, gegenüber Ampicillin / Sulbactam etwas höher ist als bei Cefuroxim. Das ist auch ein statistisches Phänomen. Da kann man seine Erregerstatistiken angucken und sagen: ‚Ja, bleibe ich jetzt bei Ampicillin / Sulbactam oder sind 40 % meiner E. coli gegen Ampicillin / Sulbactam resistent? Dann mach ich es lieber nicht.‘ Dann würde ich lieber das andere machen. Die Enterokokken würde ich dann mit einschließen, wenn es sich um eine schwere Infektion mit einem kreislaufinstabilen Patienten handelt, oder wenn es sich um eine Infektion bei einem Patienten mit einer postoperativen, nosokomialen Peritonitis handelt. Da haben wir es ja, wie gesagt, in der Regel auch schon mit einem immunkompromittierten Zustand des Patienten zu tun, der zulässt, dass auch Enterokokken krankmachen können. Das wäre dann bei uns diese Stufe 3 für kreislaufstabile Patienten mit schwereren Infektionen wie Piperacillin / Tazobactam, die diese Rolle spielen könnten, die diesen Part mit einbeziehen, was man da gut anwenden kann. Vielleicht auch, in Sondersituationen, wenn der Patient vor einem Vierteljahr noch mit ESBL-E. coli besiedelt war, Tigecyclin: kreislaufstabiler Patient, wie gesagt, aber schon schwerere Infektion, diffuse Peritonitis durch perforierte Sigmadivertikulitis, vier Quadranten schon krank, aber wir sind noch nicht dabei zu verzweifeln, da hätten wir dann diese Strukturen mit drin. Dann haben wir noch die Stufe 4, die wirklich schwerkranken Patienten mit hämodynamischer Instabilität, mit postoperativer Peritonitis, mit hohem Risiko resistenter Infektionen, mit hohem Risiko auch für Enterokokken oder Pseudomonaden, dass die eine Rolle bei der Infektion spielen. Da würde dann die Stunde der hochwertigen Medikamente wie Meropenem + Linezolid schlagen. Deutschland ist ja so ein VRE-Land. Deswegen würde ich sagen, eher E. faecium als E. faecalis, weil es häufiger nachgewiesen wird und kausalpathogenetisch, glaube ich, auch etwas „mehr drauf hat“, mit einschließen. Da kann man auch mal ein Mischregime bei Superkranken aus Carbapenem + Tigecyclin fahren. Oder man kann, aber dann auch wirklich nur beim Nachweis – wir kommen nach darauf – beim Nachweis von hoch-resistenten, Carbapenem-resistenten Erregern die neuen Medikamente, Ceftazidim / Avibactam, mit einbeziehen. Eine andere Möglichkeit in diesem Hochrisikobereich – resistente Erreger mit gramnegativen Erregern – wäre, Fosfomycin mit einzubeziehen, als Kombinationspartner, nicht als Monotherapie. Aber hier ist es so, dass die Datenlage relativ dünn ist. Wir haben es in den Leitlinien [3] mit drin, aber gemessen an anderen Medikamenten liegen nicht viele klinische Daten über die Peritonitis mit Fosfomycin vor.
Mathias Pletz: Aber wenn es jetzt eine ambulant erworbene abdominelle Infektion ist, und auch wenn der Patient im septischen Schock ist, dann reicht Piperacillin / Tazobactam, was den E. faecalis erfasst. Dann muss ich an den E. faecium noch nicht denken. Oder würdest du bei einer ambulant erworbenen abdominellen Infektionen im septischen Schock, also Catecholamin-pflichtig, trotz Volumensubstitution, dann schon auf Linezolid / Meropenem gehen?
Christian Eckmann: Im septischen Stock würde ich das tun, ja. Man kann dann immer noch fokussieren. „Deeskalieren“ könnte man ja auch sagen, aber wir „fokussieren“ ja mittlerweile nur noch. Es wird ja nicht eskaliert und deeskaliert, sondern fokussiert. Dann würde ich, wenn der Erregernachweis es nicht hergibt, dann auch fokussieren und dann rausgehen und runter auf Pip / Tazo gehen. Ich möchte noch einmal dazu erwähnen, weil ich das bei meinen liebevollen Visiten auf vielen Intensivstationen in Deutschland und der Welt überall gesehen habe – das macht mir immer besondere Freude – dass sehr, sehr häufig Intensivmediziner Pip / Tazo plus Metronidazol oder Meropenem plus Metronidazol kombinieren. Dann sage ich immer: ‚Das ist sehr, sehr schön von euch, aber das braucht ihr nicht.‘ Bis auf, glaube ich, Bacteroides thetaiotaomicron erfasst Pip / Tazo alle Anaerobier, und das Imipenem oder Meropenem macht das auch, das müsst ihr nicht kombinieren!
Sprecher: Darf ich kurz unterbrechen?! Wer nicht fragt bleibt dumm?! Nutzen Sie als Angehörige medizinischer Fachkreise den Fragen- und Antwortenservice des consilium. Stellen Sie Fragen aus Ihrem Praxis- oder Klinik-Alltag und wir leiten diese anonymisiert an einen Experten aus unserem Expertenboard weiter. Die Expertenantwort lassen wir Ihnen zukommen – natürlich kostenfrei. Weitere Informationen finden Sie in den Shownotes. Jetzt geht es spannend weiter mit consilium infectiorum – dem infektiologischen Klinik-Podcast.
Wann Candida adressieren?
Mathias Pletz: Nachdem du dich so wacker bei der Enterokokken-Frage geschlagen hast, wollte ich dir die nächste schwierige Frage stellen. Wir hatten schon kurz initial darüber gesprochen bei der Ösophagusruptur, wo wir beide gesagt haben, wir würden auf jeden Fall empirisch Candida miterfassen. Eine Mediastinitis, wenn man die einmal hat, die überlebt man nicht so gut, und deswegen würde man da kein Risiko eingehen. Wann würden wir denn bei abdominellen Infektionen unterhalb des Zwerchfells Candida empirisch miterfassen?
Christian Eckmann: Ja, empirisch, jetzt kommt’s. Also, die Geschichte beginnt irgendwo in den 90er Jahren, wo man gemerkt hat, oh, da wird auch Candida mal im Bauchraum nachgewiesen. Dann haben die Kollegen quasi allen Patienten, die auf der Intensivstation gelandet sind, Fluconazol – die Azole waren damals die einzigen verfügbaren Präparate; es sind ja auch exzellente Präparate, muss man gar nicht unterschätzen – gegeben, und da haben sie dann keinen Unterschied bezüglich der Sterblichkeit bemerkt. Dann kam die nächste Stufe. Da haben wir gesagt, ja, wir nehmen jetzt nur noch die Risikopatienten, also die postoperativen nosokomialen Peritonitis-Patienten. Da ist das Risiko, dass Candida auch krank macht, höher und geben ihnen Fluconazol-Prophylaxe, muss man ja sagen. Die Studien, die Ende der 90er Jahre dazu gemacht wurden, auch Metaanalysen, Forestplots, haben gezeigt: Ja, die Rate an Candida-Infektionen, speziell Candidämien, die ist etwas geringer, aber die Sterblichkeit unverändert. Mit anderen Worten: Prophylaxe vom Tisch, kann man eigentlich nicht machen. Dann kommt die Zeit von Jean-François Timsit, der das mit dem Micafungin bei multifokaler Candida-Kolonisation, an verschiedenen Stellen, abdominelle Sepsis, Intensivstation, gemacht hat und: kein Effekt, also immer noch nicht die richtige Risikogruppe gefunden, auf die wir, das muss man deutlich sagen, bis zum heutigen Tage warten. Wer ist derjenige, der wirklich profitiert? Denn auf der anderen Seite wissen wir, wenn wir die antifungale Therapie nicht innerhalb der ersten 24 Stunden beginnen, bei Candidämie mit intraabdomineller Candidamykose, dann ist die Sterblichkeit wesentlich höher. Also, wir müssen eigentlich früh anfangen, aber wir wissen gar nicht, bei wem, oder nicht so genau, bei wem. Für mich sind diese Daten, die zum Teil enttäuschen, aber auch wenig erhellend, muss ich sagen. Wir müssen auch hinzufügen, das hatte ich auch letzte Woche bei der PEG-Tagung gesagt, dass vielleicht von außen, von industrieller Seite mit der Entwicklung neuer Medikamente eine vermeintlich höhere Rate an Candida-Infektionen in die medizinische Öffentlichkeit hineingeschwappt ist, müssen wir feststellen. Wir haben noch verschiedene Rest-Indikationen: 1. Positive Blutkultur beim Patienten mit Candidämie, mit intraabdomineller Infektion muss man behandeln, auch nur eine einzige. 2. Positiver Candida-Nachweis, histologisch oder eben mikrobiologisch aus den intraabdominellen Proben bei Patienten, die kreislaufinstabil sind, auf der Intensivstation liegen. Wichtiger Unterschied, wichtig, weil man auch mal eine Magenperforation haben kann, die laparoskopisch übernäht wird. Der Patient ist schon im Kostaufbau auf der Station, und da kommt die Nachricht: Candida-Nachweis. Er hat natürlich keine Candida-Peritonitis, sondern er hat nur eine Candida-Kolonisation. Aber der Patient auf der Intensivstation, bei dem nach der Anastomosen-Insuffizienz Candida nachgewiesen wurde, der hat eine Candidamykose. Die muss behandelt werden. Also der Nachweis, Blutkultur und kranker Patient plus Histologie / Mikrobio. Und die 3. Gruppe ist die, wo wir als Kliniker mit dem Rücken zur Wand stehen, das heißt: septischer Schock, nosokomiale Peritonitis, schwerstkranker Patient. Wir wissen nicht, ob er wirklich eine Candida-Infektion hat, aber wir wissen, wenn wir das nicht innerhalb von 24 Stunden beginnen, stirbt der Mann oder die Frau möglicherweise daran. Und das ist die 3. Gruppe, die letzte, die empirisch übrig geblieben ist: der superkranke Patient mit nosokomialer Peritonitis zum Zeitpunkt der Revision. Dann starten wir mit einem Caspofungin oder Micafungin oder Anidulafungin, die wirklich exzellente Medikamente mit einem geringen Toxizitätpotenzial sind, das muss man dazu sagen. Die kann man quasi so dosieren, wie man will, es spielt keine Rolle: keine Nephro-, keine Hepatotoxizität, stark fungizid. Das sind schon tolle Medikamente in der Gruppe, wobei man sagen muss, wenn der Nachweis nach drei, vier Tagen nicht erfolgt, wenn er nicht da ist, dann würde ich auch meinen, dass kein Candida da ist. Das sagte die Béatrice Grabein, die du ja letztes Mal hier hattest. Sie hat mir das immer gesagt: ‚Christian, die Candida, die sind leicht nachzuweisen. Das ist jetzt nicht Clostridioides difficile, wie der Name ja sagt, sondern ist es Candida, und wenn der Candida nicht nachgewiesen wird, dann ist er auch nicht da.‘
Mathias Pletz: Die IDSA-Guideline, das ist ja noch eine sehr alte Guideline von 2009, da gibt’s glaub ich, von der IDSA auch noch keine neuere Version, zumindest hatte ich letztens keine gesehen. Sie haben noch differenziert. Wenn du den schwerkranken Patienten auf der Intensivstation hast, wo vielleicht noch Drainagen liegen, und dann wird aus der Drainagenflüssigkeit immer eine Mikrobiologie gemacht. Da meinten sie, alles, was 24 Stunden nach Anlage der Drainage an Candida nachgewiesen wird, das kann man ignorieren. Sie würden tatsächlich nur das innerhalb von 24 Stunden – das setzen sie gleich mit intraoperativ Gewonnenem – das würden sie tatsächlich adressieren. Siehst du das auch so, oder bist du da liberaler?
Christian Eckmann: Also, wie gesagt, ich bleibe dabei: Auf Drainagenflüssigkeit und Nachweis von Erregern aus Drainagenflüssigkeit, darauf gebe ich gar nichts. Das machen wir auch überhaupt nicht. Davon halte ich nichts, weil sie auch in dem Moment, wo sie angebracht sind und täglich oder alle zwei Tage die Beutel gewechselt werden, nicht mehr steril sind. Da bin ich sehr skeptisch. Die Drainageflüssigkeit spielt für mich im Ansetzen oder Absetzen von antimikrobiellen Substanzen eine komplett untergeordnete Rolle. Ich brauche die Drainage, wenn überhaupt, dann erstens, damit überhaupt in der Anfangsphase der Peritonitis die irrsinnige Flüssigkeitsmenge auch abgeleitet wird und der Patient kein Kompartment bekommt, und vielleicht, wenn es eindeutig ist, auch als Indikator einer Revision. Aber für die Mikrobiologie? Nein.
ESBL nicht unbedingt mehr Sonderfall
Mathias Pletz: Eine weitere Frage, die wir oft am Krankenbett diskutieren: Wir machen ja zunehmend bei Patienten ein MRE-Screening, und wir hatten in Jena jetzt einmal eine Studie publiziert. Da haben wir gesehen, dass beim Aufnahme-Screening quasi jeder 10. Patient, der zu uns ins Klinikum kommt, rektal bereits mit ESBL kolonisiert ist. Wenn du jetzt einen älteren Patienten hast, bei dem im letzten Aufenthalt schon ESBL nachgewiesen wurde, der nun eine abdominelle Infektion entwickelt, was wäre denn da deine empirische Therapie?
Christian Eckmann: Ja, das passt insgesamt mit den Daten, finde ich, deutschlandweit war das einmal 1 % vor zehn, fünfzehn Jahren. Jetzt sind wir bei diesen 10 %, die das tatsächlich haben. Der Patient ist ein klassischer Risikopatient für resistente Erreger, kommt aus dem Heim, war vielleicht einmal kolonisiert oder hat Antibiotikatherapien in den letzten 6 Monaten gesehen. Ich habe letzte Woche in CMI eine Arbeit gesehen, die tatsächlich diese 180-Tage-Grenze immer noch findet. Was wir rein virtuell nach dem Kalender und dem, was Konstantin der Große irgendwann mal eingeführt hat, die Woche hat sieben Tage… Das scheint tatsächlich eine Rolle zu spielen für die Entwicklung einer Kolonisation mit gramnegativer Resistenz, dass es innerhalb von sechs Monaten nach Antibiotikatherapie ist. Und dann Patienten, die auch für mich Risikofaktoren sind, die aus Ländern oder Regionen kommen mit einer erhöhten Prävalenz resistenter gramnegativer Erreger, also derjenige aus Kreta, der hatte natürlich, du kannst es dir vorstellen, am Ende einen Carbapenem-resistenten E. coli, nein Entschuldigung, Klebsiella. Das ist dann logisch, dass, wenn solche Patienten zu uns rübergebracht werden, dass das Risiko für resistente Erreger größer ist. Einen Patienten, der vor Kurzem einen längeren Aufenthalt in Indien oder so hatte, den würde ich immer abstreichen. Neulich hatte mir ein Kollege von einem Patienten aus Zypern erzählt, den er operiert hat und wo dann eine Infektion auftrat. Ich habe gefragt: ‚Haben Sie gescreent?‘ ‚Nein.‘ Muss man natürlich. Zyprioten – Superrisikobereich.
Pip / Tazo und die MERINO-Studie
Mathias Pletz: Eine Frage, Christian, die immer wieder diskutiert wird, ist ja auch: ESBL, muss ich das, wenn der kolonisiert ist, empirisch miterfassen? Reicht da Pip / Taz oder müssen wir ein Carbapenem nehmen? Da gab es ja den MERINO-Trial [4], der viel diskutiert wurde, wo das Meropenem eine dreifach niedrigere Sterblichkeit hatte. Das waren dann allerdings ESBL-Bakteriämien. Und im Nachgang hat man ja auch, als nochmal ein Zentrallabor die Resistenzen getestet hat, gesehen, dass viele der Pip/Taz-Sensiblen dann eben doch Pip/Taz-resistent gewesen sind. Wie gehst du mit der Datenlage, von deiner klinischen Erfahrung her, damit um? Wie machst du das einfach pragmatisch für dich?
Christian Eckmann: Ja, also zu dem Zeitpunkt, wo wir darüber entscheiden, müssen wir es klinisch entscheiden. Das Screening machen wir dann zwar, aber bei diesen Patienten haben wir die Entscheidung bald, wegen der in Kürze durchzuführenden Operation, ja sofort zu treffen. Ich berücksichtige das natürlich. Das heißt, ich ignoriere den ESBL nicht. Aus den Daten der perioperativen Antibiotikaprophylaxe – wir kommen dann irgendwann vielleicht auch nochmal drauf, später in anderen Podcasts – wissen wir, dass, wenn Patienten mit resistenten Erregern kolonisiert sind, dass dann häufig diese resistenten Erreger auch die Wundinfektionen auslösen. Also gehe ich auch davon aus, dass ein Patienten, bei dem ESBL-E. coli im Darm ist, eine Möglichkeit hat, dass ESBL-E. coli die Infektion auch auslöst, und deswegen muss ich das berücksichtigen. Das heißt, ich würde nicht bei Cefuroxim / Metronidazol bleiben. Jetzt ist die Frage: Pip / Tazo, MERINO-Studie [4] oder Pip / Tazo, ja oder nein? Sagen wir so: Wenn wir einen kreislaufstabilen Patienten mit einer recht schweren Infektion haben und mit Pip / Tazo beginnen, dem geht es nach der Chirurgie gut und mit der Antibiotikatherapie ist es auch eigentlich okay, und dann kriegen wir heraus: ‚Oh, Pip / Tazo ist eigentlich resistent.‘ Dann stellen wir nicht mehr um. Dann ist die klinische Effektivität der Operation plus dem, was das Pip / Tazo ohnehin drauf hat, ob es nun gegen ESBL wirkt oder nicht, uns ausreichend. Dann würde ich das nicht umstellen. Aber wenn es dem Patienten nicht gut geht oder wir die Information schon vorher haben, würde ich Pip / Tazo nicht mehr geben. Warum? Die MERINO-Studie [4] hat einiges abbekommen. Stimmt, mir tut Patrick Harris immer leid. Ich finde ihn total nett, und er hat eine weltweite Studie gemacht, die nicht industriefinanziert war, und dann wurde sie ihm im Nachhinein zerlegt mit diesen vielen Pip/Tazo-resistenten Stämmen, von denen man ursprünglich dachte, sie wären sensibel, hast du ja gesagt. Genau das ist das Thema. Wahrscheinlich sind eben doch viel mehr E. coli-Stämme Pip/Tazo-resistent – auch in Deutschland – als dass es in einer primären Suszeptibilitätsanalyse herauskommt. Mit anderen Worten, ich gehe davon aus, auch in Deutschland, dass das Pip / Tazo gegen den ESBL nicht richtig wirkt, gerade bei den schweren Infektionen. Da gehe ich bei den schweren Infektionen mit Risiko primär eine Stufe höher, zum Beispiel mit einem Carbapenem. Zum Beispiel auch Fosfomycin + Kombination mit anderen Medikamenten wäre eine zu berücksichtigende Möglichkeit, wenn man die Carbapeneme schonen will, oder Tigecyclin beim kreislaufstabilen Patienten, aber beim Instabilen auf keinen Fall als Monotherapie. Da haben wir noch ein paar Alternativen. Also mit anderen Worten, ich berücksichtige das, ja, das mache ich in der primären Therapie, und wenn es dem Patienten unter Pip / Tazo hinterher gut geht, okay. Aber in den allermeisten Fällen, bei den ganz schweren Infektionen, würden wir das Carbapenem schon primär anwenden.
Mathias Pletz: Die Abdominalchirurgen lieben ja häufig das Imipenem, weil das noch den Enterococcus faecalis miterfasst. Die Pneumologen bevorzugen immer das Meropenem, weil es einfach besser Pseudomonas-wirksam ist. Nehmt ihr Meropenem oder Imipenem? Und wenn ihr Meropenem nehmt, schließt du dann noch die Enterococcus faecalis-Lücke mit Ampicillinen oder sagst du: ‚Ich geb dann Linezolid dazu‘?
Die Enterokokken-Lücke schließen
Christian Eckmann: Ja, Letzteres, ich gebe Linezolid dazu. Wir sind ja schon im Bereich der superschweren Infektionen. Dann würde ich auch gerne die Enterokokken-Lücke bezüglich der resistenten Enterokokken schließen, also nicht nur der Ampicillin- / Sulbactam-resistenten Enterokokken, sondern auch der Vancomycin-resistenten Enterokokken, die in Deutschland schon eine Rolle spielen, und dann primär das Linezolid geben. Wobei, wenn wir gerade von VRE sprechen: Es gibt nicht so viele Daten für den Bauchraum. Es gibt ganz ordentliche Daten fürs Linezolid aus dem Beginn. 2004 gab es eine Studie von Birmingham [5], in CID publiziert, 125 Patienten mit Peritonitis, mit Enterokokken/VRE-Nachweis: 80%ige Heilungsrate mit Linezolid. Das ist schon ganz okay, kann man nichts zu sagen. Dann gibt es immer die Frage, wenn wir jetzt eine VRE-Bakteriämie haben, ist dann das Linezolid noch das Richtige, weil es ja nur bakteriostatisch ist? Man weiß nicht, ob diese alte schöne Einteilung jetzt passt oder nicht. Einerseits haben wir, glaube ich, auch beim Linezolid mit Bakteriämien ganz ordentliche Daten bei VRE. Andererseits gebe ich zu, dass ich im Einzelfall, bei echten, echten VRE-Bakteriämien, was wirklich selten ist, dann auch gerne mal auf Daptomycin umstelle, weil das im Blutstrombereich meines Erachtens dann doch eine bessere Aktivität hat, es besser, länger, im Blutstrom bleibt und dann als Alternative da ist.
Mathias Pletz: Das sehe ich genauso, wobei wir, das muss ich ganz klar sagen, nicht einmal im Team immer Einigkeit haben. Also ich bevorzuge auch Daptomycin, wegen: „bakterizid“. Und vor allen Dingen haben wir bei den VREs mittlerweile ja auch 10 % Linezolid-Resistenz und man muss das Daptomycin ausreichend hoch dosieren, also mit mindestens 10 mg/kg.
Christian Eckmann: Ja, genau.
Wie lange Antibiotika?
Mathias Pletz: Damit hast du die zweite Frage, die ich dir noch stellen wollte, gleich mit beantwortet. Die letzte Frage, das hattest du auch schon angerissen: Wie lange muss ich denn bei so einer intraabdominellen Infektion therapieren? Du hattest vorhin gesagt, das fand ich beispielhaft, wenn sich der Patient nach der OP schnell verbessert, würdest du die Therapie nicht mehr an eine Resistenz anpassen, die dann vielleicht aus dem intraoperativ entnommenen Material noch nachgewiesen wird und es nicht mehr berücksichtigen, weil der Patient besser geworden ist nach der Operation.
Christian Eckmann: Ja, einerseits ist es bei dieser chirurgischen Infektion einfach so, dass die chirurgische Fokussanierung eine so prädominante Rolle spielt und die Antibiotikatherapie zur Beseitigung der Folgen, der Restbesiedlung und Restinfektion mit noch verbliebenen Bakterien da ist. Das ist ja völlig anders als bei Endokarditis oder bei respiratorischen Infektionen, wo das Antibiotikum das lebensrettende Medikament schlechthin ist, und alle stehen ums Bett herum und warten, dass es wirkt. Das ist anders bei intraabdominellen Infektionen, bei Peritonitiden, sekundären Peritonitiden. Insofern ist es ein Paradebeispiel dafür, dass bei chirurgischen Infektionen die Antibiotikadauer reduziert werden kann. Das ist in line – neudeutsch – mit der „shorter is better“-Bewegung, die ja auch für viele andere Infektionen gilt. Folgendermaßen: Wir haben zwei Fälle. Wir haben einerseits den Patienten mit der Sepsis, aber nicht mit septischem Schock. Er hat eine intraabdominelle Infektion und bekommt Antibiotika. Hier haben wir tatsächlich Daten, eine randomisierte klinische Studie, die im New England Journal of Medicine von Bob Sawyer veröffentlicht wurde [6]. Bei mittelschwerer Peritonitis mit erfolgreicher Fokussanierung 4 bis 5 Tage Antibiotika versus 8 bis 10 Tage: kein Unterschied. Kurz und gut können wir also eigentlich einen Haken dran machen: 4 bis 5 Tage reichen aus. Und bei den superschweren Infektionen gibt es auch eine tolle Arbeit von Philippe Montravers aus Paris [7], der auch am Tag 8 bei Patienten mit postoperativer, nosokomialer Peritonitis, superschwerkranke Leute, gesagt hat: ‚Wir beurteilen, ob die Fokussanierung abgeschlossen ist, und wenn wir das als positiv beurteilen, dann geben wir der einen Gruppe noch weitere 7 Tage Antibiotika und der anderen Gruppe nicht.‘ Und auch dort kein Unterschied in der Sterblichkeit auch bei den schwersten der schweren Infektionen, das weißt du besser als ich. Das ist ja auch schon seit Jean Chastre bei der nosokomialen Pneumonie bekannt. Auch bei den schwersten intraabdominellen Infektionen sind bei der antibakteriellen Antibiotikatherapie 7 Tage ausreichend. Das haben wir in den PEG-Empfehlungen [3] auch so angegeben. Dann ist der Tag gekommen, an dem man die Stopp-Strategie wählt. Also machen wir dann Antibiotika-Stopp, 7 Tage, Beurteilung am Bett: Was ist los? Geht es dem Patienten besser? Brauchen wir Diagnostik? Ist irgendetwas mit der Fokussanierung nicht in Ordnung? Aber eigentlich sind 7 bis 8 Tage ausreichend.
Mathias Pletz: Also antifungal sicherlich etwas länger. Bei Candidämie ist die Therapiedauer ja in den Leitlinien vorgegeben. Außerhalb der Candidämie ist es schwierig, glaube ich.
Christian Eckmann: Ich finde auch diese Leitlinien, also die PAPas-Leitlinien [8], bestimmt ganz toll, aber gerade was die Therapiedauer angeht, habe ich das nie so richtig verstanden. Also Ende der 90er hieß es noch 21 Tage nach der letzten Blutkultur, und dann 2009 hieß es 14 Tage nach der letzten Blutkultur. Ich suche bis heute die Studie, die 14 gegen 21 Tage vergleicht. Das ist expert-based. Da sitzen Leute zusammen, die sagen: ‚Vielleicht reicht auch 14.‘ Ich sage mal, intraabdominelle Candida-Peritonitis ist echt eine schwere Erkrankung, schlimme Erkrankung! Da würde ich jetzt nicht nach 5 Tagen die Antibiotika absetzen, sondern normalerweise haben wir einen 14-Tage-Zyklus. Wir können vielleicht, wenn es den Patienten besser geht und sie oral etwas aufnehmen können und sie auch einen Candida haben, der suszeptibel ist, step down auf Fluconazol machen, das geht auch. Aber 14 Tage finde ich gut, in Einzelfällen, bei exzellentem klinischen Verlauf, auch mal nach 10 Tagen.
Paradigmenwechsel zur evidenzbasierten Fokussanierung
Mathias Pletz: Hm [zustimmend]. Du hattest gerade die fehlende Fokussanierung erwähnt als Ursache für ein mögliches Therapieversagen. Ich kannte noch das Vorgehen, dass die Bäuche zum Teil offen gelassen wurden, das regelmäßig lavagiert wurde. Gibt es da eigentlich zu diesem Vorgehen irgendwelche Daten? Wann soll der Infektiologe, wenn er gefragt wird, weil der Intensivmediziner sagt, er wird nicht besser, und wann soll der Infektiologen den Chirurgen bitten, sich das Ganze noch einmal anzusehen und vielleicht nochmals zu lavagieren?
Christian Eckmann: Ja, danke für die Frage. Wir haben insgesamt in der chirurgischen Therapie der Peritonitis einen Paradigmenwechsel festzustellen, der von der traditionellen Therapie des 20. Jahrhunderts auf die evidenzbasierte des 21. Jahrhunderts umgeschwenkt ist. 1. Therapiezeitpunkt: chirurgische Therapie bei septischem Schock so früh wie möglich, hattest du auch schon adressiert. Früher haben wir gedacht, nein, sie müssen auf die Intensivstation, sie müssen stabilisiert werden. Heute wissen wir aus verschiedenen Arbeiten [9,10], auch aus eurer Gruppe in Jena, das Gegenteil ist der Fall. Je früher der Patient in den OP kommt, je früher die Fokussanierung durchgeführt wird, desto besser das Überleben. Dann in der Tat 80er-Jahre, Bäuche weit offen lassen, viel Spülen, repetitive Laparotomien. Das ist ersetzt worden durch Evidenz, die jetzt auch schon über 10 Jahre alt ist, von der holländischen, Dutch Peritonitis Trial Group [11], die diese Strategie einer einzigen Operation mit einem Relaparotomie on demand-Konzept gegen die programmierten Relaparotomie verglich und dabei keinen Unterschied in der Sterblichkeit, keinen Unterschied in der Morbidität feststellte, sogar Verbesserung, was die Anzahl der Tage auf Intensiv und Krankenhausaufenthalt betrifft. Mit anderen Worten, die Mehrzahl der Patienten profitiert evidenzbasiert von einer Operation, die alles löst, hoffentlich, und man dann gegebenenfalls nochmals lavagiert. Dann ist die minimalinvasive Chirurgie eingezogen, auch in die Behandlung lokaler Peritonitiden: Appendizitis, Cholezystitis, Magenperforation. Das kann man mittlerweile minimalinvasiv gut machen. Auf dem anderen Ende haben wir die damage control surgery, das heißt, der Patient ist so krank, dass wir nur das absolute Minimum im OP machen: Bauch auf, Dünndarmsegment, das perforiert ist, abstapeln, rausnehmen, Patient wieder auf Intensiv. Keine Anastomose, kein Stoma, einfach weg, stabilisieren und nach ein bis zwei Tagen die endgültige Fokussanierung, in Extremsituationen mit guten Ergebnissen. So ist die Range des chirurgischen Eingreifens insgesamt viel, viel größer geworden. Der Weg sollte immer dazu führen, dass wir so früh wie möglich, wenn wir können, das Abdomen verschließen, denn die Patienten, die einen Faszienverschluss haben, frühzeitig, haben ein deutlich verbessertes Überleben gegenüber denjenigen, bei denen das Abdomen lange offen bleibt.
Mathias Pletz: Ja, das war für mich jetzt auch nochmal neu in dieser Detailtreue. Vielen Dank. Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das war wirklich ein spannender Podcast, wo ich selber auch viel mitnehmen konnte. Christian, nochmal vielen Dank. Ich habe ja schon gesagt, ich könnte dir sehr, sehr lange zuhören, wir sind nur zeitlich etwas limitiert. Ich fasse nochmal ganz kurz zusammen. Wir sind den Weg gegangen von der Notaufnahme, wo wir festgestellt haben: Ganz wichtig, den Chirurgen so früh wie möglich dazu holen und hier keine Zeit verschwenden, auch wenn die klinische Diagnose sehr suggestiv ist, dann vielleicht nicht sehr lange warten mit zusätzlicher Bildgebung, sondern so schnell wie möglich in den OP-Saal. Wir haben gesprochen über die empirische Antibiotikatherapie entlang der drei Schweregrade der Peritonitis und noch mal ambulant, nosokomial erworben. Wir haben über die zwei weniger virulenten Erreger, nämlich Enterokokken und Candida gesprochen, die im Bauchraum eine Rolle spielen. Wann muss man sie adressieren, wann nicht? Wir haben über VRE gesprochen, und wir haben natürlich über die Therapiedauer und die chirurgischen Interventionen zur Fokuskontrolle gesprochen. Jetzt würde ich dir gerne nochmal die Möglichkeit geben. Haben wir irgendetwas nicht adressiert? Was sind aus deiner Sicht die drei bis fünf wichtigsten Punkte, die man sich unbedingt merken sollte, um keine Kardinalfehler zu machen und die Patienten optimal zu versorgen?
Die Dos und Don’ts von Prof. Dr. Christian Eckmann
Christian Eckmann: Ich würde einfach meine drei Dos und meine drei Don’ts zusammenfassen. Also Nr. 1: Man sollte den diagnostischen Prozess in Abhängigkeit vom klinischen Zustand des Patienten beschleunigen. Das heißt, je schlechter es dem Patienten geht, desto schneller muss die Diagnostik abgeschlossen, möglicherweise auch erst im OP abgeschlossen werden. Bei perakutem Abdomen muss es sofort in den OP gehen. Nr. 2 damit zusammenhängend: Bei abdomineller Infektion mit septischem Schock und sekundärer Peritonitis ist das Überleben in allererster Linie vom Zeitpunkt der operativen Intervention abhängig. So früh wie möglich in den OP. Es muss in jede OP-Agenda hinein, dass das den Status N0 hat, dass der Patient sofort in den OP kommt. Und Nr. 3: Bei stabilen Patienten kann man meistens mit Basismedikamenten – WHO würde sagen Access-Medikamenten – arbeiten, und je schwerer krank der Patient ist, desto eher müssen wir derzeit immer noch mit Breitspektrumtherapien initial beginnen, gerade bei instabilen Patienten, und können dann fokussieren. Das sind die drei Dos. Und bei den drei Don‘ts, da würde ich sagen: Man darf sich bei postoperativer Peritonitis in dieser unsicheren Phase entweder auf Intensiv oder auf der Station nicht mehr auf die klinischen Zeichen des Patienten verlassen. Die Patienten haben oft eine sehr starke Analgesie oder sind intubiert und beatmet. Das heißt, hier hilft nur erweiterte Diagnostik, PCT, CT-Untersuchung. Der klinische Eindruck führt einen nicht zur Diagnose. 2. In besonders instabilen Situationen sollte man die Chirurgie minimalisieren, auch gerne im Team mit den Kollegen darüber reden, dass nur das Nötigste gemacht wird und nicht stundenlang irgendwelche schönen neuen Anastomosen genäht werden, denn hier kann die damage control surgery auch lebensrettend sein. Und Nr. 3: Bitte nicht vergessen, primär, auch in Deutschland, resistente gramnegative Erreger und möglicherweise auch Pilze zu adressieren, bei nosokomialer, postoperativer oder tertiärer Peritonitis.
Mathias Pletz: Vielen Dank. Das war wirklich gut zusammengefasst. Wir haben fast eine Stunde gesprochen. Damit sind wir am Ende unserer Podcastfolge angelangt, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihr Interesse. Christian hatte viele wichtige Studien genannt, die werden Sie in den Shownotes sehen, und wenn Sie die Fragen beantworten, gibt es natürlich wie immer CME-Punkte. Dann möchte ich Sie auch gleich aufmerksam machen auf die nächste Podcastfolge. Da geht es um einen Fokus, der oft übersehen wird, nämlich die Spondylodiszitis. Es bleibt also spannend. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen Ihrer Patienten.
Christian Eckmann: Gleichfalls. Alles Gute!
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Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!
Ihr Team von InfectoPharm.
Referenzen
[1] Bloos, F., Rüddel, H., Thomas-Rüddel, D. et al. Effect of a multifaceted educational intervention for anti-infectious measures on sepsis mortality: a cluster randomized trial. Intensive Care Med 43, 1602–1612 (2017).
[2] Solomkin JS, Mazuski JE, Bradley JS et al. Diagnosis and management of complicated intra-abdominal infections in adults and children: guidelines by the Surgical Infection Society and the Infectious Diseases Society of America. Clin Inf Dis 2010;50:133-64.
[3] Eckmann C, Isenmann R, Kujath P, Pross A, Rodloff AC, Schmitz FJ. Calculated parenteral initial treatment of bacterial infections: Intra-abdominal infections. GMS Infect Dis. 2020 Mar 26;8-17.
[4] Harris PNA, Tambyah PA, Lye DC, et al. Effect of Piperacillin-Tazobactam vs Meropenem on 30-Day Mortality for Patients With E coli or Klebsiella pneumoniae Bloodstream Infection and Ceftriaxone Resistance: A Randomized Clinical Trial. JAMA. 2018;320(10):984–994.
[5] Birmingham MC, Rayner CR, Meagher AM et al. Linezolid in the treatment of multidrug-resistant, gram-positive infections: experience from a compassionate-use program. Clin Infect Dis 2003; 36: 159-168.
[6] Sawyer RG, Claridge JA, Nathens AB et al. Trial of short-course antimicrobial therapy for intraabdominal infection. N Eng J Med 2015;372:1996-2005.
[7] Montravers P, Tubach F, Lescot T et al. Short-course antibiotic therapy for critically ill patients treated for postoperative intra-abdominal infection: the DURAPOP randomised clinical trial. Intensive Care Med 2018; 44: 300-310.
[8] Pappas PG, Kauffman CA, Andes D et al. Clinical practise guidelines for the management of candidiasis: 2009 update by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2009; 48: 503-535.
[9] Azuhata T, Kinoshita K, Kawano D et al. Time from admission to initiation of surgery for source control is a critical determinant of survival in patients with gastrointestinal perforation with associated septic shock. Crit Care 2014;18:R87.
[10] Montravers P, Blot S, Dimopoulos G, Eckmann C et al. Therapeutic management of peritonitis: a comprehensive guide for intensivists. Intensive Care Med. 2016;42:1234-47.
[11] van Ruler O, Mahler CW et al. Comparison of on-demand vs planned relaparotomy strategy in patients with severe peritonitis: a randomized trial. JAMA