consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – Folge #14 – 22.05.2025
consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast
mit Prof. Mathias Pletz
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Vom Furunkel zur Fasziitis – Haut- und Weichgewebeinfektionen
Zu Gast heute:
PD PROF. CHRISTIAN ECKMANN.
Prof. Mathias Pletz …
… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.
Mathias Pletz: Willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das ist eine neue Folge von consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast. Mein Name ist Mathias Pletz und heute geht es um ein ganz diffiziles und spannendes Thema, nämlich die Neugeborenensepsis. Und dazu begrüße ich unseren Gast Professor Christian Gille. Er ist Direktor der Klinik für Neonatologie am Universitätsklinikum Heidelberg, Pädiatrischer Infektiologe, und er ist Leitlinienbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie und arbeitet auch in der AG Neonatologie der KRINKO mit. Herzlich Willkommen, Christian.
Christian Gille: Hallo Mathias, ich freue mich, dass wir heute zusammen sprechen können.
Mathias Pletz: Ich hatte ja schon im Vorgespräch gesagt, unsere Berührungspunkte in Jena mit der Neonatologie ist vor allen Dingen Antibiotic Stewardship, aber wieso? Oft stellt man als Chef sozusagen die Strukturen her und dann verliert man so ein bisschen den Kontakt. Deswegen habe ich mich besonders auf unser Gespräch heute gefreut, weil ich dir all die Fragen stellen kann, die ich schon immer mal einem pädiatrischen Infektiologen stellen wollte und damit würde ich gleich beginnen. Was ist denn das Besondere, wie erkenne ich eine Neugeborenensepsis und wie unterscheidet die sich von der Sepsis beim Erwachsenen?
Sepsis bei Neugeborenen: Ein besonderer Fall
Christian Gille: Ganz spannende und wichtige Frage, die ich tatsächlich auch im Studentenunterricht als allererstes immer stelle. Und da ist es ja tatsächlich so, das Wort „septisch“, das ist ja so eine der schönen Worthülsen in der Medizin, die viele eben nicht richtig füllen. Von daher kann man die allgemeine Definition einer Sepsis vielleicht erst mal vorstellen, und tatsächlich gibt es dann da auch Unterschiede zwischen Erwachsenen und Neugeborenen. Also von der Sepsis beim Neugeborenen spricht man zunächst mal dann, wenn man Zeichen hat, dass das Immunsystem allgemein aktiviert ist. Viele kennen das auch als Systemic Inflammatory Response Syndrome oder SIRS. Und die Hauptcharakteristika sind eigentlich das, was ja auch jeder andere zunächst mal sagen würde, wenn wir ihn fragen würden, was ist denn charakteristisch, wenn jemand eine wirklich schwere Infektion hat? Das ist nämlich häufig dann die Antwort, dass die Körperkerntemperatur vom Normalen abweicht. Also man Fieber hat oder auch eine Untertemperatur ist. Das erste Kriterium für Sepsis, das zweite ist dann, wenn man vielleicht auch Medizinstudierende fragt: Ja, die Leukozyten, die gehen hoch oder runter. Das sind also die beiden ersten Kriterien, um eine Sepsis zu definieren und dann gibt es eigentlich das, was wir in der Neonatologie auch immer sagen: Es sind unspezifische typische klinische Zeichen und dazu gehört vor allem, dass die Kinder tachypnoeisch sind, dass sie vielleicht auch tachykard sind, dass eine Beatmungspflichtigkeit plötzlich wieder auftritt, weil die Kinder Apnoen machen. Auch das ist etwa ein ganz charakteristisches Zeichen, wenn Neugeborene eine Sepsis entwickeln und diese Zeichen zusammen definieren also zunächst mal einen SIRS. Ein SIRS kann beim Neugeborenen wie beim Erwachsenen auch durch unterschiedliche Ursachen hervorgerufen werden, und das ist praktisch die zweite Aufgabe, wenn man die Diagnose Sepsis stellen will, dass man herausfinden muss, ob ein SIRS dann auf eine Infektion zurückzuführen ist. Diese Infektion kann man entweder kulturell sichern oder mit modernen Nachweisverfahren für Bakterien, zum Beispiel PCR, letzten Endes dann sichern. Oder es gibt die klinische Sepsis, die einfach dann diagnostiziert wird, wenn man zum Beispiel ein typisches Röntgenbild hat oder Leukozyten und Bakterien in Flüssigkeiten wie Urin findet.
Mathias Pletz: Wir hatten ja beim Erwachsenen den SIRS-Begriff sozusagen verlassen in den letzten Jahren, weil sich eben herausgestellt hat, dass gerade wenn wir jetzt das andere Extrem des Alters nehmen, einen Achtzigjährigen, da findet man häufig gar kein Fieber mehr. Der reagiert gar nicht mehr inflammatorisch, aber wir hatten in einer eigenen Studie bei Pneumonie beispielsweise herausgefunden, dass insbesondere die Patienten, die ambulant erworben eine Pneumonie haben, eine positive Blutkultur haben und kein Fieber entwickeln. Diese haben die höchste Sterblichkeit und bei den Kindern scheint es jetzt so zu sein, dass man sich auf die inflammatorische Antwort sozusagen, dass die ausgeprägt ist, verlassen kann, weil beim Erwachsenen haben wir ja den SOFA oder auch den qSOFA Score, um über das Organversagen die Sepsis zu definieren. Und wie ist das bei den Kindern?
Christian Gille: Genau das ist eben der große Unterschied. Und da kommt zum Tragen, dass die Klinik bei Neonaten eben noch deutlich weniger facettenreich ist als beim Erwachsenen, wo man eben auch vor allem die mentale Orientiertheit und so weiter hinzunehmen kann und letzten Endes den sogenannten Allgemeinzustand, auch wieder eine schöne Worthülse, den Allgemeinzustand zu erfassen, haben wir da eben nicht wirklich gut zur Verfügung. Also ein Neugeborenes schläft 20 Stunden am Tag physiologisch, wenn wir da mit Scores anfangen, die im Erwachsenenbereich ja wirklich sehr, sehr hilfreich sind. Würden wir da nicht weit kommen. Deswegen haben wir bisher nichts Besseres, muss man fast sagen. Also es mangelt vielleicht
noch mehr als im Erwachsenenbereich eben letzten Endes an dem, was man eben klinisch festmachen kann, um rauszukriegen, ob das Kind eine Sepsis hat oder nicht.
Mathias Pletz: Das ist ja schon mal etwas, was für mich neu war, was ich mitgenommen habe. Es gibt nicht die klassischen Scoring-Systeme, vor allen Dingen, weil man das ZNS nicht gut beurteilen kann, was fehlt und auf der anderen Seite die Inflammation eben zuverlässig mit Fieber und mit Leukozytose reagiert. Welche Risikofaktoren müssen wir denn bei den Neugeborenen beachten? Was kann zur Sepsis führen und was sind die häufigsten Foki? Beim Erwachsenen wissen wir ja, das ist vor allen Dingen in erster Linie sind das die Atemwege, dann Bauchraum, und dann hängt es so ein bisschen von der Intensivstation ab, also bei der nosokomialen Sepsis kommen dann die katheterassoziierten Infektionen oder auch die Wundinfektion hinzu. Wie sieht es beim Neugeborenen aus?
Risikofaktoren und Haupterreger der Neugeborenensepsis
Christian Gille: Auch da müssen wir so ein bisschen wirklich unterscheiden: Neugeborene und Erwachsene, und das liegt daran, dass wir es eben mit einer, ich sag jetzt mal auch von der Physiologie her hochdynamischen Situation nach der Geburt zu tun haben. Die Kinder sind in der sogenannten Adaptationsphase, das heißt der Umstellungsphase von den Verhältnissen vor Geburt zu nach der Geburt, und darin liegt eigentlich schon einmal einer der Hauptrisikofaktoren, nämlich die, ja viele sagen Immununreife. Da sprechen wir Neonatologen ungern von, weil das Immunsystem wahrscheinlich genau den Anforderungen bestmöglich zumindest entspricht, die es gerade braucht, um diesen Übergang herzukriegen oder herzustellen. Und trotzdem ist es eben so, oder gerade deswegen ist es so, dass die Abwehrfunktionen des Immunsystems noch weniger stark ausgeprägt sind, sondern wie es eben im Mutterleib notwendig ist, Toleranzmechanismen dominieren. Die in der Schwangerschaft dazu führen, dass der Fetus von der Mutter nicht abgestoßen wird. Das fehlt dann eben nach der Geburt auf der Seite der Abwehr von Infektionen und das ist eben zunächst mal physiologisch gesehen einer der Hauptrisikofaktoren, und das dominiert eigentlich den Bereich, den wir als Early-onset Sepsis definieren, nämlich die Infektionen in den ersten 72 Lebensstunden nach der Geburt, und wenn wir dann die zweite Seite, die immer zu einer Infektion dazu kommen muss, angucken, nämlich die Erreger. Dann sind es da typische Erreger, die wir im Geburtskanal finden, nämlich Gruppe B Streptokokken und E. coli, und daraus definieren sich dann weitere Risikofaktoren, nämlich wenn die Mutter mit Gruppe B Streptokokken besiedelt ist. Dann ist das Risiko eben deutlich erhöht, dass es zu einer Early-onset Sepsis kommen kann. Wir können ja Risiko quantifizieren, und zwar in einer Form von Odds Ratio. Das ist ja der Faktor, der das Risiko über das basale Risiko erhöht und die Odds Ratio für die GBS-Besiedlung der Mutter, Gruppe B Streptokokken-Besiedlung der Mutter liegt bei fast 30, das heißt, das ist einer der wichtigsten Risikofaktoren.
GBS-Prophylaxe: Schutz vor der Geburt
Mathias Pletz: Bemüht man sich, wenn die GBS-Besiedlung vor der Geburt bei Untersuchungen auffällt, diese zu eradizieren?
Christian Gille: Ja, das ist eine der wichtigsten Maßnahmen, was die Prävention der früh neugeborenen Sepsis anbetrifft. Das ist ja schon Ende der 1990er Jahre eingeführt worden, zunächst in den USA, jetzt aber eben in allen westlichen oder entwickelten oder High-Income-Ländern eigentlich üblich. Dass man bei den Frauen, und das sind ungefähr 20% und das ist auch weltweit so, 20% der Schwangeren dann eine intrapartale Antibiotikaprophylaxe zukommen lässt. Das heißt, wenn die Geburt losgeht, dann wird Antibiotikum an die Mutter verabreicht, was über die Plazenta aufs Kind übergeht und im nachfolgenden dann einen Spiegel aufbaut, sodass das Kind für die aller allererste Zeit für eine invasive Infektion geschützt ist. Und das Ganze ist relativ erfolgreich, zumindest wenn man vor allem ja retrospektiven Erhebungen Glauben schenken will, dass ungefähr zwei Drittel aller frühen Neugeboreneninfektionen mit Gruppe B Streptokokken dadurch verhindert werden können.
Mathias Pletz: Könntest du vielleicht noch präzisieren, welche Antibiotika da empfohlen werden? Und gibt es auch Daten, ob in Abhängigkeit der gewählten Antibiotika im Nachgang? Wir sprechen ja heute viel über Mikrobiom und wir lernen ja auch, wie wichtig das Mikrobiom ist, auch für die Immunantwort oder generell für die Weiterentwicklung. Und man versucht sich ja immer nicht zu viel und auf der anderen Seite auch nicht zu wenig. Was wäre dann der optimale Weg bezüglich des Antibiotikums und gibt es auch Daten, dass die Kinder dadurch vielleicht einen Nachteil erleiden durch diese intrapartale Antibiotikaprophylaxe?
Christian Gille: Super Punkt, Mikrobiom müssen wir gleich unbedingt drüber sprechen. Also es wird ein Penicillin empfohlen, entweder Penicillin G oder Ampicillin. Die meisten Kliniken, die ich kenne, verwenden Ampicillin für diese intrapartale Antibiotikaprophylaxe. Tatsächlich gibt es bisher zu genau dieser Fragestellung relativ wenig Daten, was die Beeinflussung des ganz früh sich dann entwickelnden Mikrobioms anbetrifft. Was wir aber wohl wissen, ist, dass bei einer anderen Antibiotika-Applikation, die ebenfalls perinatal stattfindet, und zwar die perioperative Antibiotikaprophylaxe für die Mutter, Unterschiede zu sehen sind, wenn diese Prophylaxe vor Klemmen der Nabelschnur gegeben wird im Vergleich dazu, wenn man die Antibiotikaprophylaxe an die Mutter nach Klemmen der Nabelschnur gibt. Das sind erstmal rein deskriptive Daten und die sind auch relativ neu und zum Teil etwas kontrovers. Es gibt also auch welche, die zeigen, dass es wenig Beeinflussung des frühen Mikrobioms gibt. Schlussendlich ist es aber zumindest plausibel, dass irgendeine Art von Einfluss stattfindet, denn wir wollen ja tatsächlich, dass dieses Antibiotikum von der intrapartalen Antibiotikaprophylaxe auf das Kind übergeht und insofern ist anzunehmen, dass da zumindest ein kleiner Einfluss da ist.
Mathias Pletz: Also für die Mutter angenommen, es gibt keine GBS-Besiedlung. Für die Mutter würde es ausreichen, wenn ich die perioperative Prophylaxe gebe, nachdem die Nabelschnur abgeklemmt ist. Das ist die Rationale dahinter, um das Kindbettfieber zu verhindern, sozusagen.
Christian Gille: Ganz genau, also erstmal zwei unterschiedliche Situationen. Bei der Spontangeburt muss das natürlich nicht gegeben werden, da sprechen wir eben rein von der intrapartalen Antibiotikaprophylaxe bei Gruppe-B-Streptokokken. Bei einer Kaiserschnittgeburt braucht man eben eine Prophylaxe zur Vermeidung der Wundinfektion der Mutter und da wird eben gerade aktiv drüber diskutiert, was der optimale Zeitpunkt ist. Denn bisher sind die Leitlinien so, und da gibt es auch gute Daten dafür, dass die Wundinfektionen eben deutlich besser vermieden werden können, wenn man die vor Hautschnitt gibt, was irgendwie physiologisch auch einleuchtet. Und es gibt aber eben auch gleichzeitig die Daten, dass es für das Kind möglicherweise einen geringeren Einfluss gibt, wenn das Antibiotikum erst dann gegeben wird, wenn es eben nicht mehr über die Plazenta auf das Kind übertragen werden kann. [1].
Mathias Pletz: Ich fasse noch mal kurz zusammen: Wir haben die perioperative Prophylaxe beim Kaiserschnitt ganz klassisch. Der Unterschied zu einer OP beim Erwachsenen wäre, dass man, wenn man nach Abklemmen der Nabelschnur gibt, also nach dem Hautschnitt, es vielleicht für die Mutter nicht ganz so optimal ist, aber dafür hat das Kind weniger Nebenwirkungen in seinem Mikrobiom. Und dann gibt es die intrapartale Prophylaxe bei GBS-besiedelten Frauen, die zum einen das Risiko für das Neugeborene senkt, eine Early-onset Sepsis zu erleiden, aber wahrscheinlich auch gleichzeitig das Risiko für die Mutter senkt, ein Kindbettfieber zu bekommen. Also ganz wichtig, intrapartal von peripartal beim Kaiserschnitt zu unterscheiden. Dann hattest du bereits über Early-onset Sepsis gesprochen und Gruppe-B-Streptokokken. Da gibt es natürlich wahrscheinlich auch eine Late-onset Neugeborenen-Sepsis. Wann tritt die auf und mit welchen Erregern muss ich hier rechnen?
Late-onset Sepsis: Wenn die Umgebung zum Risiko wird
Christian Gille: Definitionsgemäß tritt die eben nach der 72. Lebensstunde auf und das ist kein willkürlich gewählter Unterschied. Sondern da unterscheidet sich eben das Keimspektrum möglicherweise zumindest deutlich von dem Keimspektrum bei der Early-onset Sepsis, was meistens eben aus dem Geburtskanal kommt. Bei der Late-onset Sepsis ist das deutlich diverser und hängt letzten Endes dann von der neuen Umgebung des Kindes ab. Wir haben ja die besondere Situation direkt nach der Geburt, dass wir es mit einem Organismus zu tun haben, mit einem menschlichen Körper zu tun haben, der eben genau das noch nicht hat, was wir alle dann haben und was Gesundheitserhaltung und Krankheitsentstehung doch wesentlich beeinflusst, wie wir heute wissen, nämlich das Mikrobiom. Und die erste Mikrobiom-Entwicklung findet eben rasend schnell in den ersten Stunden sogar schon statt. Ein erstes etabliertes Mikrobiom hat man mit ungefähr einer Woche schon an und in sich und deswegen ist die primäre Umgebung, in der dann das Neugeborene sich befindet, ganz entscheidend dafür, was für Keime es dann trägt. Und wenn es sich um zum Beispiel ein Frühgeborenes handelt oder ein krankes Neugeborenes, was dann bei uns auf die Neugeborenenstation aufgenommen wird, dann wird es präferentiell eben solche Keime akquirieren, die dort vorherrschen, eben leider dann auch Krankenhauskeime. Während das Physiologische eben ist, dass das Kind sich sehr nah bei Mutter und Vater aufhält, besonders bei der Mutter auf der Haut, dass viel Haut-zu-Haut-Kontakt da ist und dass dann vor allem eben eine grampositive Hautflora als erster Wegbereiter für das sich entwickelnde Mikrobiom, für diese Bakteriengesellschaft, die sich aufbauen muss, etabliert wird. Zusätzlich gibt es dann physiologischerweise die Bakterien aus der Muttermilch, Laktobazillen und Bifidobakterien, die ebenfalls als sehr gute Wegbereiter für ein sehr diverses Mikrobiom identifiziert werden konnten. Und um konkret jetzt noch mal auf die Frage zu antworten: Also das Keimspektrum von der Late-onset Sepsis hängt eben sehr von der Umgebung des Kindes ab und insbesondere wenn wir es eben mit kranken Neugeborenen zu tun haben, können das eben die Krankenhauserreger sein, die wir hoffentlich eben von unserer Station dann auch kennen.
Mathias Pletz: Beim Erwachsenen hat man ja eine ähnliche Einteilung, also Early- und Late-onset. Als Hauptkriterium hat man mittlerweile verlassen, da ist es auch sozusagen der dritte bis fünfte Tag und beim Erwachsenen spielt aber immer die Rolle. Wir haben die Leitlinie zum Beispiel für die nosokomiale Pneumonie untergliedert in Patienten ohne und mit Risikofaktoren für multiresistente Erreger und/oder Pseudomonas aeruginosa [2]. Also aus infektiologischer Sicht wird der Pseudomonas ja immer den Multiresistenten zugerechnet, auch wenn er nicht 3-
oder 4-MRGN Pseudomonas ist, weil es hier einfach um die Schwierigkeit der Behandlung geht und nicht um krankenhaushygienische Aspekte. Muss ich denn bei der Late-onset Sepsis des Neugeborenen bei meiner empirischen Antibiotikatherapie auch den Pseudomonas mit erfassen?
Christian Gille: Also ein ganz klares Nein kann ich da natürlich nicht aussprechen. Allerdings wenn man jetzt so in die Statistiken reinguckt, sind Pseudomonas-Infektionen, Late-onset Sepsis durch Pseudomonas beim Frühgeborenen relativ selten. Wenn man schaut, welche Keime bei der Late-onset Sepsis am allermeisten auftreten, oder nachgewiesen werden, sagen wir zunächst mal so, sind es natürlich die Koagulase-negativen Staphylokokken, wo wahrscheinlich wie im Erwachsenenbereich auch, häufig die Frage ist, ist das jetzt eine Kontamination, ja oder nein. Und dann kommt als nächstes Escherichia coli und als dritter Keim Staphylococcus aureus. Das sind, glaube ich, so die Hauptverdächtigen, sage ich jetzt mal, an die man bei einer Late-onset Sepsis denken muss. Und ich spreche jetzt hier vor allem eben von den Patienten, die wir am allerhäufigsten auf unserer Station haben, nämlich kleine Frühgeborene. Pseudomonas ist natürlich auch eben im Krankenhaussetting immer wieder vorhanden, aber wie gesagt, von der Statistik her beim Frühgeborenen sehr, sehr wenig zu finden.
Mathias Pletz: Hast du eine Erklärung dafür, warum Serratien auf Neonatologien so eine große Rolle spielen? Wir hatten ja auch mal einen Ausbruch publiziert, Serratia auf unserer Neonatologie, interessanterweise sogar mit einer Toleranz gegenüber Flächendesinfektionsmittel. Also wir mussten dann das Flächendesinfektionsmittel umstellen. Das fanden wir ganz spannend. Das waren zum Glück nur Kolonisationen, also es gab wohl eine oder zwei Infektionen, die gingen aber alle Gott sei Dank gut aus. Aber man hört ja des Öfteren immer, dass Serratien auf der Neonatologie ein Problem sind. Wie ist das einzuordnen und hast du Ideen, warum das so typisch für dieses Setting ist?
Christian Gille: Das ist ein super Beispiel, wo wir zwei weitere Begriffe kurz einführen können. Wenn man sich anschaut, welche Erreger eigentlich dazu führen, dass das Frühgeborene eine Late-onset Sepsis bekommt, dann ist es ganz interessant zu sehen, dass es in der überwiegenden Mehrzahl Erreger sind, die man zuvor, und zwar schon häufig lange zuvor, am oder im Kind hat nachweisen können. Wir haben ja seit 2013 das allgemeine mikrobiologische Screening von neonatologischen Intensivpatienten, wo einmal pro Woche rektal und oral Abstriche entnommen werden. Daher kennen wir mittlerweile relativ gut, die Besiedlungskinetiken von Kindern auf Frühgeborenen-Intensivstationen. Es gibt darüber hinaus Studien, die zeigen, wenn man zum Beispiel regelmäßig Stuhlkulturen nimmt, dann findet man auch pathogene Keime immer wieder routinemäßig in den Stuhlproben [3]. Zu irgendeinem bestimmten Zeitpunkt kann es dann sein, dass das Kind von einem dieser Keime eine invasive Infektion erleidet. Das ist der Begriff der endogenen Infektion, der für die Late-onset Sepsis beim Neugeborenen extrem wichtig ist. Die Frage ist dann immer noch, warum es dazu kommt, dass diese zunächst kommensale Besiedlung eines potentiell pathogenen Keims später in eine Infektion umschlägt. Um das ein bisschen zu quantifizieren, gibt es einen zweiten wichtigen Begriff, und zwar das Kolonisations-zu-Infektionsverhältnis. Um zwei Extreme dazu zu nennen, kann man sich zum Beispiel Citrobacter freundii anschauen. Das ist ein Keim, der sehr selten Infektionen macht, aber relativ häufig im Gastrointestinaltrakt siedelt. Da braucht man im Schnitt etwas über 120 Kinder, wovon eines dann statistisch gesehen eine endogene Infektion entwickelt. Bei Serratien ist es genau das Umgekehrte, da ist es ein Kolonisations-Infektionsverhältnis von 1 zu 7. Das heißt, man braucht 8 Kinder, damit eines davon statistisch gesehen dann eine Infektion entwickelt. Die Gründe, warum das so unterschiedlich ist, sind
natürlich in den Pathogenitätsfaktoren der Keime zu suchen, wobei für Serratien bisher nicht klar ist, welche Faktoren genau beim Neugeborenen so schwere Infektionen auslösen können. Es ist wahrscheinlich auch die Dynamik innerhalb des sich entwickelnden Mikrobioms, wo es wahrscheinlich notwendig ist, um eine invasive Infektion zu entwickeln, dass sich der dann pathogen werdende Keim aus dieser Masse sozusagen heraus selektioniert, um dann in genügend hoher Zahl vorhanden zu sein, um diese Infektion zu starten.
Mathias Pletz: Ich hatte mich auch gefragt: Serratien sind ja bekanntermaßen AmpC-Bildner, gehören ja zu dieser SPICE-Gruppe. Könnte es vielleicht damit zu tun haben, dass man zum Beispiel viel Penicillin einsetzt peripartal, dass dann die Serratien einen gewissen Vorteil haben und dann, wenn das Mikrobiom sich erst so sortiert hat, dass andere Spezies die Serratien vielleicht dann wieder in Schach halten, dass dann das Risiko wieder zurückgeht? Gibt es da Untersuchungen dazu?
Christian Gille: Spezielle Untersuchungen jetzt zu Serratien kenne ich nicht, will nicht ausschließen, dass es die vielleicht trotzdem gibt. Aber ich glaube, das ist genau das, was der allgemeinen Vorstellung entspricht, dass es eine Voraussetzung für die Ausbildung einer endogenen Infektion ist, dass gewisse Selektionskriterien oder Selektionsprozesse greifen, die dem invasiv werdenden Keim einen Vorteil verschaffen, sodass er sich zahlenmäßig durchsetzen kann und aus dieser Gemeinschaft sozusagen dann herausbricht.
Vorzeitiger Blasensprung: Antibiotika-Einsatz und Folgen
Mathias Pletz: Ich würde vielleicht noch mal einen Schritt zurückgehen. Wir waren jetzt ja bei der Late-onset Sepsis. Eine Ursache, vielleicht auch für die Early-onset Sepsis, ist ja der frühzeitige Blasensprung beim Kind und auch da wird ja zu einer Antibiotika-Prophylaxe geraten. Könntest du da vielleicht noch ein bisschen was dazu sagen, wann man beginnen soll, welche Substanzen man wählen soll, was man peripartal dann sozusagen beachten muss?
Christian Gille: Auch ein sehr spannendes Thema. Es geht natürlich eigentlich in den Expertisenbereich der Gynäkologen, will ich also direkt vorsichtshalber mal dazu sagen. Aber man arbeitet ja Hand in Hand, von daher ist das auch für Neonatologen spannend. Also vorzeitiger Blasensprung, um auch da die Zahlen erst mal zu nennen, hat ungefähr eine Odds Ratio von 8, die das Risiko über das basale Risiko erhöht, dass eine frühe Neugeboreneninfektion stattfindet. Das Spannende beim vorzeitigen Blasensprung ist, dass es nicht nur die fehlende Barriere ist, die letztendlich das Kind empfänglicher für eine Infektion macht. Wer einmal eine Fruchtblase angefasst hat, der weiß, wie stabil die eigentlich ist und wird sich dann schnell darüber wundern, warum die anfängt zu springen, also zu platzen oder zu reißen, obwohl keine Wehentätigkeit stattgefunden hat. Und das ist eigentlich die Antwort für den zweiten Pathomechanismus, nämlich, dass sie nur dann reißt, wenn schon Bakterien auf der Eihülle gewesen sind, die zum Beispiel wie viele Staphylokokken und Streptokokken Hyaluronidasen bilden und dann dazu führen, dass das Gewebe aufgeweicht wird. Beim vorzeitigen Blasensprung sind es dann natürlich auch wieder die Keime der Early-onset Sepsis, die als Haupterreger zustande kommen. Da versucht man präpartal schon entgegenzuwirken und es gab in den Nullerjahren, also den 2000er Jahren, zwei beziehungsweise drei sehr große Studien, die ORACLE Trials, die versucht haben herauszufinden, welche Antibiotikatherapien optimal sind und ob diese Auswirkungen auf den Fetus und dann das Neu- oder Frühgeborene haben [4,5]. Was man da zunächst mal herausgefunden hat, ist, dass es tatsächlich die
Schwangerschaftsdauer verlängern kann, wenn man Antibiotika gibt. Also man sollte diese geben, steht ja in der Leitlinie immer noch so drin [6]. Welche Antibiotikakombinationen man gibt, darüber wird heute immer noch viel gerungen. Was man aus den ORACLE Trials auf jeden Fall herauslesen konnte, ist, dass das, was ich glaube davor auch üblich war, nämlich zum Beispiel Erythromycin zu geben, ungünstig für das dann neugeborene Kind sein kann. Das NEC-Risiko wird dadurch erhöht und die Kohorte wurde jetzt also mehrfach nachuntersucht. Die letzte Nachuntersuchung, die ich kenne, ist, dass die Kinder dann 11 bis 12 Jahre alt waren. Neurokognitiv hat man da Gott sei Dank keine Auswirkungen gefunden, aber es ist auf jeden Fall klar, dass auch präpartale Antibiotikagaben, die auf den Feten übergehen können, eine Auswirkung haben können.
Mathias Pletz: Jetzt hast du einen Begriff genannt, den vielleicht einige Erwachsenenmediziner nicht so kennen: Die nekrotisierende Enterokolitis, die sozusagen immer eine gefürchtete Komplikation der Antibiotikagabe ist, weil das Mikrobiom eben gestört wird. Darüber können wir dann vielleicht auch noch mal sprechen, wenn wir über die verschiedenen Foki der Sepsis sprechen, weil von einer NEC ausgehend kann sich ja wahrscheinlich auch eine Sepsis entwickeln, weil die Barriere gestört ist.
Christian Gille: Absolut ein Krankheitsbild, was unbedingt mit der Sepsis zusammenhängt, ja.
Diagnostische Herausforderungen: Blutkulturen bei den Kleinsten
Mathias Pletz: Und bei den Foki, also sozusagen über die Haut: Die Early-onset Sepsis wahrscheinlich und die endogene Infektion bei der Late-onset Sepsis oft aus dem Gastrointestinaltrakt. Woran muss ich noch denken? Katheter sicherlich, wie sieht es aus mit dem Nabel?
Christian Gille: Also vielleicht auch da noch einen Schritt zurück, erst mal wieder auf die Epidemiologie geschaut. Die meisten Neugeboreneninfektionen finden in den ersten zwei bis drei Lebenswochen statt und da komme ich noch mal auf das zurück, was ich am Anfang sagte: Ein Hauptrisikofaktor ist wahrscheinlich die besondere Konstellation des sich adaptierenden Immunsystems und damit die erhöhte Anfälligkeit per se. Und dann sind es tatsächlich genau die Dinge, die auch beim Erwachsenen eine Rolle spielen: die Kontinuitäts- und Barriereunterbrechung der Haut durch unsere invasiven Maßnahmen, die natürlich am Anfang des Lebens auch besonders häufig vorkommen, also Katheter. Es ist der Tubus natürlich, und dann die Krankenhausumgebung, die das frühe Mikrobiom prägen.
Mathias Pletz: Welche mikrobiologische Diagnostik können wir machen? Hier gibt es ja wahrscheinlich auch Besonderheiten zwischen Erwachsenen und Kindern. Also in der Erwachsenenmedizin wollen wir immer möglichst viel Volumen für die Blutkulturen, um die Sensitivität zu erhöhen. Wir müssen auch mehrere Flaschen abnehmen, um die Kolonisation beziehungsweise die Kontamination von der Infektion zu unterscheiden. Hier gibt es ja Limitationen beim Neugeborenen, hier kann ich ja nicht sechs Blutkulturflaschen abnehmen. Das ist sicherlich auch diffizil, weil du sagtest ja vorhin, dass KNS auch ein häufiger Erreger sein können. Wie geht ihr praktisch vor, wie unterscheidet ihr also erst mal, wie nehmt ihr Blutkulturen ab und wie interpretiert ihr Blutkulturen, insbesondere wenn ihr koagulase-negative Staphylokokken nachweist?
Christian Gille: Tatsächlich ein spannendes Thema auch bei uns und ganz wichtig, da ein paar Dinge klarzustellen. Also ganz entscheidend für die Sensitivität der Blutkultur ist das Blutvolumen und da sind wir limitiert. 80 Milliliter pro Kilo Blut hat das Neugeborene. Wenn man da bei einem Kind von 500 Gramm drauf schaut, sind 40 Milliliter sozusagen im Rennen und davon will man nicht allzu viel dann rausnehmen. Von daher erste Regel: Wir nehmen nur eine Blutkulturflasche ab und zwar eine aerobe und wir sollten möglichst ein Milliliter Blut dort hineinbringen. Ansonsten wird die Sensitivität so schlecht, dass es keine richtig gute Aussage mehr gibt, wenn nichts in der Blutkultur wächst. Das sollte natürlich genau wie sonst auch unter den bestmöglichen aseptischen Kautelen stattfinden. Und in der Regel kann auf eine zweite Blutkulturflasche verzichtet werden. Ich glaube, das ist im Erwachsenenbereich ja häufig so, dass man dann mehrere Kulturen abnimmt, um diese Frage nach Kontamination besser beantworten zu können. Das sind also die Dinge, die man für die Blutkultur beim Neugeborenen und Frühgeborenen beachten muss.
Mathias Pletz: Und wie gehst du dann vor, wenn du einen Staphylococcus epidermidis bei einem Neugeborenen nachweist? Der jetzt eine Sepsis hat und vielleicht hast du auch schon vom Screening gesehen, es sind meinetwegen Serratien nachgewiesen. Wie würdest du dann deine empirische Antibiotikatherapie aufbauen? Würdest du beide Erreger erfassen oder setzt du dann zum Beispiel nur auf die Serratien?
Therapiestrategien: Zwischen Vorsicht und Notwendigkeit
Christian Gille: Wirklich schwierige Frage. Am Ende muss man es wahrscheinlich von der Klinik abhängig machen, wie schwer betroffen das Kind ist. Die Koagulase-negativen Staphylokokken sind Gott sei Dank jetzt auch ein bisschen untersucht worden, was die Therapie anbetrifft. Früher hat man da 7 Tage oder auch 10 Tage therapiert, da gibt es jetzt relativ schöne Daten, die sich immer weiter unterboten haben, was die notwendige Therapiedauer beim Neugeborenen anbetrifft. Wir sind jetzt da bei 3 Tagen, wo es eben gute Daten gibt, dass das vollkommen ausreichend ist und das ist wahrscheinlich auch so der Zeitraum, wo man Antibiotic Stewardship betreiben kann [7,8]. Das heißt, wir würden zunächst eben entsprechend der Tarragona-Prinzipien „hit hard and early“ anfangen. Und wenn das Kind sich dann sehr schnell wieder verbessert, ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass es sich um eine Serratien-Sepsis handelt und man kann dann entsprechend eben deeskalieren. Wenn das Kind eben sehr schwer erkrankt ist und die Dynamik der klinischen Besserung ausbleibt, dann ist die Wahrscheinlichkeit eben hoch, dass es sich doch um eine gramnegative Sepsis handelt und dass vielleicht eben auch die Serratien da eine Rolle spielen.
Mathias Pletz: Und welche Antibiotika würdet ihr konkret auswählen? Was sind eure Empfehlungen für die empirische Therapie?
Christian Gille: Eine Gretchenfrage, würde ich sagen. Wo sich alle Leitlinien und alle evidenzbasierten Empfehlungen inklusive der Cochrane-Analysen, die es dazu gibt, extrem zurückhalten. Selbst die Empfehlung der DGPI, der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, ist da wachsweich und sagt, dass man die empirische Antibiotikatherapie bei der Late-Onset-Sepsis letzten Endes entsprechend der Prinzipien, die für die Entwicklung einer empirischen Antibiotikatherapie aufgestellt worden sind, der Tarragona-Prinzipien, immer wieder neu definieren muss [9, 10]. Wir haben also verschiedene Faktoren, die wir da mit beachten müssen und insofern kenne ich auch aus den Kliniken, in denen ich selbst gearbeitet
habe und auch vielen Kliniken, die ich sonst so berate, sehr unterschiedliche Standardkombinationen von Antibiotikatherapien, die eben angewendet werden. Und vielleicht ist das wirklich auch gut so, weil es eben diesen Begriff endogene Infektion noch mal wiederholt. Es kommt wirklich sehr darauf an, wie die Umgebung ist, wie das Stationsmikrobiom ist und letzten Endes auch, welche Patienten man behandelt.
Mathias Pletz: Du würdest aber sicherlich bei einer Late-Onset-Sepsis dann die Kolonisationsbefunde berücksichtigen, die im Vorfeld bei dem Kind erhoben wurden.
Christian Gille: Ja, absolut. Das ist ja auch Sinn und Zweck der Empfehlung der KRINKO, dass die Kolonisationsergebnisse eben zu einer Verbesserung der Individualtherapie führen [11]. Der zweite große Wunsch oder das Ziel dieser Screeningmaßnahme ist, dass man Infektions-Keimausbreitungen schneller identifizieren kann. Aber das ist praktisch das eine erste Ziel, dass man kalkulierter antibiotisch therapieren kann, und da müssen wir ein bisschen aufpassen, weil wir natürlich ganz häufig vor allem im oralen Abstrich Keime haben, die vor allem auch der grampositiven Hautflora entsprechen und die häufig eben intrinsisch doch sehr resistent sind, während gleichzeitig eben das Pathogenitätspotenzial dieser Keime relativ gering ist. Und da gibt es auch schöne Untersuchungen dazu, dass der Verbrauch von Reserveantibiotika wie zum Beispiel Vancomycin zunächst mal angestiegen ist nach Empfehlung dieses Vorgehens, und deswegen sei hier noch mal drauf hingewiesen: Nicht jeder Staph. epi oder jeder Staph. capitis, der da nachgewiesen werden kann, muss zwingend in eine kalkulierte Antibiotikatherapie einberechnet werden, weil er eben relativ geringes Pathogenitätspotenzial hat.
Mathias Pletz: Was ich auch gelernt habe von unseren Neonatologen, dass man weniger Angst hat, beispielsweise auch vor Vancomycin und Aminoglykosiden, also als Erwachsenenmediziner. Ich wundere mich immer, dass es noch die Empfehlung für die Kunstklappenendokarditis gibt, wo da steht die Kombination von Vancomycin plus Aminoglykosid als Standard für 2 Wochen. Ich kenne keinen erwachsenen Patienten im fortgeschrittenen Alter, der das irgendwie länger als 3 Tage toleriert hätte. Aber die kindliche Niere, die kann die Aminoglykoside deutlich besser ertragen. Aber muss ich dann mit Ototoxizität rechnen oder was ist das Risiko?
Christian Gille: Tatsächlich, leider auch eine Frage, die nicht selten auch mal zu gerichtlichen Auseinandersetzungen führt, wenn es eben wirklich dann zu einer Diagnose einer wie auch immer gearteten angeborenen Hörstörung kommt und Aminoglykoside im Spiel waren. Deswegen ist von der Seite her, aber ganz besonders eben um erstmal gute Therapie zu machen, wichtig, dass man Medikamentenspiegel bestimmt. Auch sehr gute Untersuchungen zum Beispiel aus der Schweiz, die eben zeigen, wenn man sich da an die Grenzen dieser Spiegel hält, dass dann das Risiko, dass sich eine Hörstörung entwickelt, relativ gering ist [12,13]. Was deutlich weniger gut untersucht ist und tatsächlich macht mir das persönlich wahrscheinlich sogar mehr Bauchschmerzen als jetzt die Hörstörung, ist was mit der Nierenfunktion passiert. Und das gilt leider nicht nur für die genannten Antibiotika, sondern auch andere Medikamente, die eben in die Nephrogenese eingreifen, dass die ja bisher eben noch relativ großzügig verwendet werden von uns allen, von uns Neonatologen, und vielleicht müssen wir da ein bisschen ein Augenmerk drauf haben, aber da kenne ich zumindest bisher keine guten Antworten drauf.
Mathias Pletz: Also finde ich ganz spannend. Der erwachsene Mediziner sieht ja sofort die Konsequenz mit dem Kreatininanstieg, ja, bei Vancomycin oder Aminoglykosiden, das trifft den Neonatologen nicht, aber er muss halt mit verzögerten Schäden rechnen bezüglich Innenohr und vielleicht auch bezüglich Niere.
Christian Gille: Ganz genau. Das ist was ganz Prinzipielles, was in der Neonatologie immer mehr und mehr ankommt. Wir haben lange eben so therapiert, dass wir zunächst mal als primäres Outcome das Überleben des Patienten hatten. Und sind dann irgendwann dazu gekommen zu gucken, na ja, wir brauchen irgendwelche sogenannten Langzeit-Outcomes und haben dann zum Beispiel den Bayley-Test gewählt [14]. Und erst jetzt nach und nach kommt praktisch die Perspektive, dass wir wirklich auf ein längerfristiges Outcome ins Schulalter hinein, Jugendalter bis dann zum Erwachsenen gucken wollen und gucken müssen. Und das liegt sicherlich auch daran, dass vor 40 Jahren die neonatologische Intensivmedizin zunächst mal wirklich damit gekämpft hat, dass Kinder überleben konnten und dass die technischen Voraussetzungen dafür erst geschaffen werden mussten. Und jetzt sind genau diese Kinder eben dann 40 Jahre alt und älter und man kann erst jetzt sehen, mit was für Langzeiterscheinungen dann zu rechnen ist und auch vielleicht zu kämpfen sind.
Mathias Pletz: In dem Zusammenhang eine weitere Antibiotikaklasse: Wir bemühen uns ja beim Antibiotics Stewardship vor allen Dingen die Carbapeneme zu sparen. Das ist ja eine weit verbreitete und ganz wichtige Strategie und jetzt haben wir das Problem, dass ESBL bei Neonaten, wo wir beim Erwachsenen vielleicht noch ein Fluorchinolon geben könnten, das bei den Neonaten wegen Knorpelwachstumsstörung nicht gegeben werden sollte. Ist man tatsächlich immer gleich beim Carbapenem oder gibt es auch Situationen, wo man sagt, ich kann auch ein Fluorchinolon bei einem Neonaten geben?
Christian Gille: Das ist tatsächlich ja bis in die Klassifikation der KRINKO hineingekommen, dass man speziell bei den Neonaten eben eine andere Resistenzklassen-Gruppierung gemacht hat [11]. Die Fluorchinolone kann man eben nicht verwenden und das ist auch was, was bisher nicht getan wird. Das geht nicht, insofern sind wir dann häufig schon schnell eben bei den Carbapenemen und da ist wahrscheinlich das Entscheidendste, dass man da gutes Antibiotic Stewardship betreibt, indem man eben auch schnell wieder absetzt, wenn so ein Medikament nicht erforderlich ist. Das heißt, entweder kein Nachweis stattfindet oder das Kind sich eben so rasch wieder klinisch verbessert, dass die Antibiotikatherapie beendet werden kann.
Mathias Pletz: Ich glaube, das ist was ganz Wichtiges, was du gesagt hast. Also, dass das aus meiner Sicht eine Stellschraube ist, wo ich viel Verbrauch einsparen kann, ohne den Patienten zu gefährden, wenn ich die Therapiedauer verkürze.
Pilze und Viren: Selten, aber gefürchtete
Mathias Pletz: Bleiben wir mal bei der empirischen antiinfektiven Therapie. Neonaten gelten ja auch in gewisser Weise als immunsupprimiert. Beim Erwachsenen würden wir dann vor allen Dingen auch an Opportunisten denken, also an Herpesvirus-Reaktivierungen, an Pilze. Muss ich das beim Neonaten auch berücksichtigen? CMV spielt ja auch eine Rolle, also die CMV-Erstinfektion findet ja auch oft auf der Neonatologie statt. Ist es etwas, was ich auch therapeutisch berücksichtigen muss oder diagnostisch?
Christian Gille: Gott sei Dank sind wir da in einer etwas anderen Situation, auch wenn man Neugeborene und insbesondere Frühgeborene als immunsupprimiert betrachtet, was ich auch prinzipiell richtig finde. Der Grund für diese Immunsuppression, den wir ja besprochen hatten, ist ein ganz anderer als im Erwachsenenbereich. Pilzinfektionen, um mit denen anzufangen, sind Gott sei Dank relativ selten beim Neugeborenen und Frühgeborenen und interessanterweise auch nicht so stark assoziiert mit einer Antibiotikatherapie wie beim Erwachsenen. Da spielen andere Faktoren eine deutlich größere Rolle, die man relativ wenig beeinflussen kann, wie wir jetzt auch gelernt haben. Es hängt vor allem vom Zentrum ab, in dem sich das Kind befindet, ob Pilzinfektionen da häufiger vorkommen oder weniger häufig. Größere Untersuchungen aus den USA, aber auch aus England, haben die Risikofaktoren für Pilzinfektionen bei Frühgeborenen sehr gut aufgearbeitet. Sie haben als Hauptrisikofaktor tatsächlich den Ort des Zentrums herausgearbeitet. Auch dort konnte man jetzt nicht sagen, dass es alte Kliniken versus neue Kliniken sind, die da irgendwie mehr oder weniger ein Risiko bilden. Ich glaube, man muss das wirklich vor dem Hintergrund des Mikrobioms auf einer Intensivstation interpretieren, dass es da eben Konstellationen gibt, die eine Besiedlung durch Pilze einfach wahrscheinlicher oder eben unwahrscheinlicher machen.
Mathias Pletz: Bei Pilzen muss ich dann vor allem an die Hefepilze denken, weil pulmonale Schimmelpilzinfektionen wahrscheinlich ausgesprochen selten sind, oder?
Christian Gille: Das stimmt. Es sind hauptsächlich Candidosen, ja. Wobei auch Schimmelpilzinfektionen vorkommen können, und die haben auch klassische Risikofaktoren, wie zum Beispiel Bautätigkeit in der Nähe eines Krankenhauses. Wir hatten gerade kürzlich Fälle, wo es dann zum Beispiel über die Klimaanlagen oder den Eintrag in die Bereiche, wo Inkubatoren sauber gemacht werden, dazu kommen kann, dass dieser Schimmelpilz dann an die Kinder gelangt.
Mathias Pletz: Das haben wir in Jena jetzt auch gerade bei Bakterien gesehen. Also wenn man sequenziert, dann findet man ganz oft den Inkubator als Quelle auch für eine Besiedlung [15]. Ich glaube, da werden wir in den nächsten Jahren noch viel lernen. Und wahrscheinlich müssen wir auch die Aufbereitung der Inkubatoren entsprechend anpassen, um hier mehr Sicherheit für die Patienten zu gewährleisten.
Christian Gille: Sehr, sehr spannende Sache. Da sind wir also wieder bei der Wichtigkeit des umgebenden Mikrobioms des Kindes, und dazu gehört natürlich vor allem auch das Mikrobiom im Inkubator. Aber wir müssen darauf achten, dass wir dieses Mikrobiom möglichst physiologisieren, und das heißt möglichst viel Hautkontakt zur Mutter und eben Exposition zum Mikrobiom der Muttermilch.
Mathias Pletz: Und wie sieht es aus mit den Viren? Muss ich Viren berücksichtigen? Virusinfektionen beim Neonaten, also vielleicht auch Influenza? Wir haben ja in den Leitlinien zur nosokomialen Pneumonie explizit mit reingeschrieben, dass nach nosokomialer Influenza gesucht werden soll. Nosokomiales SARS-CoV-2 haben wir auch kennengelernt, das kommt während der Pandemie sehr häufig vor. Auch RSV, hier gibt es nosokomiale Infektionen auch mit Ausbruchscharakter, die beschrieben sind. Wie sieht es auf der Neonatologie aus? Also zum einen die Herpesviren spannend und die klassischen respiratorischen Viren.
Christian Gille: Ja, auf jeden Fall gefürchtet. Und wenn sie da sind, dann ist wirklich höchste Alarmstufe. Gott sei Dank sind sie sehr, sehr selten. Um mit dem häufigsten anzufangen: Die CMV-Viren, Cytomegalie, werden ja entweder pränatal schon übertragen, und dann haben wir es tatsächlich mit dem Problem der konnatalen Cytomegalie zu tun. Das ist aber noch mal ein spezielles Thema. Dann gibt es die postnatale CMV-Infektion, und die wird hauptsächlich über die Muttermilch übertragen. Fast alle Schwangeren oder dann Stillenden, die CMV-positiv sind – und das sind je nach Region mindestens 50% aller Mütter – reaktivieren CMV in ihrer Muttermilch und können dieses dann auf ihr Kind übertragen. Wir wissen, dass solche Infektionen insbesondere bei kleinen Frühgeborenen durchaus mal ein Problem werden können. Da wird seit vielen Jahren auch schon sehr stark darauf geachtet, dass diese Muttermilch dann behandelt wird. Mit unterschiedlichen Verfahren: vom Einfrieren, was wahrscheinlich weniger effizient ist, über verschiedene Pasteurisierungsverfahren. Das modernste ist wahrscheinlich die Ultrakurzzeitpasteurisierung, und damit können wir das CMV relativ gut inaktivieren und eine Infektion des Frühgeborenen damit vermeiden.
Mathias Pletz: Würdet ihr speziell bei dem Frühgeborenen, wenn die Mutter bekanntermaßen CMV-positiv ist, gezielt auch mit PCR auf CMV-Infektion beim Kind screenen oder nur anlassbezogen?
CMV-Management: Schutz durch pasteurisierte Muttermilch
Christian Gille: Es gibt da tatsächlich ganz gute Leitlinien. Wir Neonatologen erwarten mit Spannung eine hoffentlich bald erscheinende AWMF-Leitlinie zu genau diesem Thema. Das generelle Vorgehen in den meisten Neonatologien ist aber, dass zunächst mal bei den Schwangeren schon geschaut wird, wenn Frühgeburtsbestrebungen da sind, ob sie CMV-positiv sind oder nicht, falls das Ergebnis nicht sowieso schon vorliegt. Dann würde man beim Neugeborenen einmal nachschauen. Das ist relativ einfach gemacht über eine Kultur und eine PCR-Diagnostik im Urin, also gar nicht großinvasiv, sondern sehr einfach zu erhaltendes Material. Dann beginnt man die Milch zu pasteurisieren, wenn die Mutter CMV-positiv ist. Das macht man in der Regel so bis zur 32. bis 34. Schwangerschaftswoche korrigiert. Danach weiß man, dass die Immunlage des Kindes so weit ausgereift ist, dass das Kind dann auch mit der Übertragung durch die Muttermilch zurechtkommen kann.
Mathias Pletz: Das müssen wir mal kurz für mich zusammenfassen. Das heißt also, bis zur 32. bis 34. Woche würde man den CMV-Nachweis im Urin bei einem Frühgeborenen behandeln. Aber wenn es dann die 32. bis 34. Woche einer normalen Schwangerschaft erreicht hätte, könnte man darauf verzichten oder die Therapie dann beenden?
Christian Gille: Nein, das meine ich anders. Also ein CMV-Nachweis im Urin würde ja eine Infektion des Kindes bedeuten. Das heißt, da müsste man tatsächlich unter Umständen therapeutisch vorgehen. Von der Geburt an bis zur 32. beziehungsweise 34. Schwangerschaftswoche würde man die Muttermilch pasteurisieren, wenn man weiß, dass die Mutter CMV-positiv ist, um eben die laktogene CMV-Infektion des Frühgeborenen primär zu verhindern.
Mathias Pletz: Und was du vorhin auch schon betont hattest, dass das Stillen, wo die Muttermilch auch ganz wichtig ist für ein gesundes Mikrobiom. Also man würde das, was man früher ja manchmal getan hat, dann irgendwie auf Ersatzmuttermilch oder künstliche Muttermilch zu setzen, das ist mittlerweile vollkommen obsolet. Da würde man immer versuchen, natürliche Muttermilch von der eigenen Mutter zu verwenden. Oder gibt es auch die Möglichkeit, von anderen Müttern, die vielleicht CMV-negativ sind, die Muttermilch zu nutzen?
Muttermilch: Die personalisierte Medizin der Natur
Christian Gille: Das ist total im Trend. Also klar ist, die Muttermilch ist tatsächlich die beste Ernährung sowohl fürs Neugeborene als auch für das Frühgeborene. Ich sage häufig, das ist wirklich im wahrsten Sinne des Wortes personalisierte Medizin fürs Kind, also die Mutter als Person, die eben auch die Milch spenden kann. Man kann davon ausgehen, dass bis in das Mikrobiom hinein, aber auch zum Beispiel die Immunstoffe, insbesondere auch Immunzellen, die über die Muttermilch übertragen werden, natürlich perfekt auf das eigene Neugeborene abgestimmt sind. Ganz hoch im Kurs, wenn das nicht ausreicht oder überhaupt nicht zur Verfügung steht, ist Spenderinnenmilch. Auch da sind natürlich dann alle wichtigen Stoffe prinzipiell enthalten, die das Neugeborene oder Frühgeborene eben braucht, die der Darm auch braucht, um sich gut zu entwickeln und eben auch ein gutes Mikrobiom aufzubauen. Es gibt wenige, aber ganz interessante Daten, die zeigen, dass es tatsächlich einen kleinen Unterschied gibt, wenn man Spenderinnenmilch gibt versus die eigene Muttermilch [16]. Aber der Vorteil gegenüber einer Formula-Nahrung ist praktisch immer noch sehr, sehr groß. Deswegen wäre praktisch die zweitbeste und eben sehr, sehr gute Alternative zur Muttermilch dann die Spenderinnenmilch.
Mathias Pletz: Wir hatten auch jetzt mal ein Forschungsprojekt mit Kollegen aus Polen. Da haben wir uns die humanen Oligosaccharide in der Muttermilch angesehen, und da hatte man immer untersucht, ob das Einfluss auf die gramnegative Flora hat, weil das ja irgendwie nahelag, dass das Darmmikrobiom durch die Muttermilch mitgeformt wird. Da haben wir gar nicht so viele Effekte gesehen. Und dann kamen wir auf die Idee: Was ist der häufigste Killer sozusagen außerhalb der modernen Welt für junge Kinder? Das sind die Pneumokokken, die ein rein humanpathogener Erreger sind. Tatsache war es dann so, dass diese humanen Oligosaccharide eine enorme Anti-Pneumokokken-Wirksamkeit hatten. Also riesengroße Hemmhöfe haben wir jetzt gerade erst zusammengestellt. Da wollen wir mal weiter vorgehen, aber das unterstreicht natürlich, was du gerade gesagt hast, dass die Muttermilch für das Kind ganz wesentlich ist, sowohl fürs Mikrobiom als wahrscheinlich auch für die Formung des Immunsystems.
Christian Gille: Toll, toll. Also die Daten würde ich gerne sehen. Das ist ja auch ein spannender Inhaltsstoff, humane Milcholigosaccharide, ja, da werden wir bestimmt noch mehr von hören.
Mathias Pletz: Das mache ich. Wir stellen das auch in unsere Shownotes [17].
Bildgebung bei Sepsis: Auf der Suche nach dem Fokus
Mathias Pletz: Jetzt hatten wir über die Einteilung in Early-onset und Late-onset Sepsis gesprochen. Wir hatten über die Bedeutung von Bakterien gesprochen, Pilze eher seltener, wenn dann vor allem häufig respiratorische Viren, die ein großes Problem sein können und die man zu vermeiden versucht. Von den Herpesviren ist vor allem CMV problematisch, und das trifft die sehr Frühgeborenen stärker als die termingeborenen Kinder. Ein weiterer Punkt für die Sepsisdiagnostik ist ja auch immer die Fokussuche. Beim Erwachsenen spielt die Bildgebung
eine ganz große Rolle. Wie sieht das bei euch aus, welche Bildgebung ist der Standard für die optimale Fokussuche?
Christian Gille: Fokussuche – also tatsächlich ist der Begriff Sepsis beim Neugeborenen deswegen so spannend und findet man eben so häufig in den Diagnosen, weil das Immunsystem des Neugeborenen die Infektion sehr schlecht in einem Kompartiment halten kann. Deswegen ist es zwar wichtig, dass man einen Fokus erkennt, und der ist häufig bei der Early-onset Sepsis eher pulmonal zu finden. Bei der Late-onset Sepsis ist er noch schwieriger zu finden, manchmal in den ableitenden Harnwegen, manchmal sind auch die Meningen betroffen. Ob das der Fokus ist, sei dahingestellt, wahrscheinlich ja nicht. Aber es spielt keine so große Rolle. Natürlich würden wir, wenn ein Sepsis-Workup ansteht, ein Röntgenbild von der Lunge machen, wir schauen uns die Organe des Oberbauchs an, die ableitenden Harnwege kommen dazu, und ganz wichtig auch der Darm. Wir hatten vorhin schon von der nekrotisierenden Enterokolitis, von der NEC gesprochen. Da muss man zumindest ein Auge darauf haben, wenn man ein schwerkrankes Kind hat, ob sich eine NEC und eine Sepsis nicht miteinander abspielen.
Mathias Pletz: Wie schaut ihr den Darm an, um eine NEC zu bestätigen oder auszuschließen?
Christian Gille: Die klassische Diagnostik ist immer noch radiologisch. Da wird also eine Abdomenübersicht gemacht und man schaut erst mal auf frühe Zeichen einer NEC. Das sind kleine, feine Gasblasen in den Darmwänden. Etwas moderner geht das jetzt auch mit einer guten Ultraschalldiagnostik, wo man zum einen diese Bläschen, die letztendlich eine intestinale Schrankenstörung darstellen, also das Gas, was eigentlich intraluminal entsteht durch Bakterien, dann in die Mucosa und Submucosa eingedrungen ist, sehen kann. Das sammelt sich dann in der Pfortader im Pfortaderblut und kann man dort sonographisch sehr gut diagnostizieren, extrem sensitiv. Übrigens ist das nicht nur spezifisch für eine NEC, sondern kann auch bei einer CMV-Infektion auftreten, die dann subklinisch vielleicht sogar abläuft. Man merkt das beim Kind gar nicht, aber es kann dazu führen, dass transient eine Schrankenstörung entsteht und man dann Gasbläschen in der Pfortader sieht. Die kann man aber auch über ein gutes Ultraschallgerät in der Darmwand entdecken. Die Spätstadien wären dann, dass die Darmwand so weit angegriffen ist, dass es eine Permeabilitätsstörung für Flüssigkeit und auch für Luft in den Bauchraum gibt. Man sieht dann Luftsicheln oberhalb der Leber oder, wenn das Kind auf dem Rücken liegt, um den Nabel herum. Das sind die klassischen Zeichen einer NEC.
Mathias Pletz: Ich sehe schon, wir könnten die Dauer unseres Podcasts einfach verdoppeln. Es gibt so viele Aspekte, die sich zwischen Neonaten und Erwachsenen unterscheiden. Und das ist auch immer spannend, die pathophysiologischen Hintergründe zu verstehen, die sich ja auch aus der Evolution häufig ableiten. Aber wir sind in unserer Zeit limitiert, deswegen würde ich dich bitten: Habe ich irgendetwas Wesentliches vergessen, was aus deiner Sicht wichtig ist und was wir erwähnen müssten? Und dann vielleicht noch einmal zusammengefasst für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer drei wichtige Botschaften: Was sollte man tun, was sollte man unbedingt vermeiden?
Finale Botschaften: CRP-gesteuerte Therapie und rationale Antibiotikagabe
Christian Gille: Ich freue mich riesig über das Gespräch. Ein ganz wichtiger Punkt wäre vielleicht noch, dass man die Dauer der Antibiotikatherapie sehr rational begründen und entsprechend auch verkürzen sollte. Ein wichtiger Begriff ist die CRP-gesteuerte Antibiotikatherapie, wo es mittlerweile ganz gute Daten gibt, übrigens auch zum PCT, also zum Procalcitonin [18,19]. Diese zeigen, dass wenn ein CRP unter 10 Milligramm pro Liter oder ein Milligramm pro Deziliter ist und es dem Kind gut geht, die Wahrscheinlichkeit, dass es dann zu einem Rückfall kommt, wenn man die Antibiotikatherapie zu diesem Zeitpunkt beendet, extrem gering ist. Ganz platt mit den Zahlen gesprochen: Im Schnitt kann man also eine leicht verlaufende Neugeborenensepsis mit ungefähr 3 bis 4 Tagen Therapiedauer effizient behandeln, und länger ist nicht notwendig. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt. Ein letzter Punkt zum CRP noch: Das betrifft die Anfangsphase einer Antibiotikatherapie. Wenn man das Gefühl hat, das Kind ist krank, auch wenn es klinisch krank ist, das CRP aber vielleicht noch negativ ist – wir wissen alle, dass das in der Klinik nachhinkt – sollte man trotzdem mit einer Antibiotikatherapie beginnen. Wenn man nach 24 Stunden noch mal ein CRP macht und das weiterhin negativ ist, ist die Ausschlusswahrscheinlichkeit, dass es sich um eine bakterielle Infektion handelt und das Kind von Antibiotika profitiert, extrem hoch. Also ein sogenannter negativer prädiktiver Wert von ungefähr 97% ist, glaube ich, ein guter Grund, warum man dann auch zu einem ganz frühen Zeitpunkt Antibiotika schon beenden sollte.
Mathias Pletz: Das sind, glaube ich, noch einmal wichtige Botschaften. Also man kann auf die Inflammationsparameter beim Kind genau wie beim Erwachsenen schauen. Ihr Neonatologen seid ja viel mehr darauf angewiesen, vom klinischen Eindruck her zu therapieren. Das habe ich heute auch mitgenommen, aber die Grenzwerte sind ähnlich oder die gleichen wie beim Erwachsenen. Das ist auch noch einmal eine wichtige Botschaft. Vielen Dank, das war für mich hochspannend. Ich habe heute wirklich sehr viel gelernt. Sonst sage ich immer, wir haben das Thema ganz erschöpfend behandelt. Da bin ich mir heute gar nicht so sicher, weil es einfach so viele Aspekte sind. Aber ich glaube, wir haben die wesentlichen Dinge, gerade für Erwachsenen-Infektiologen, die vielleicht auf der Neonatologie Antibiotic Stewardship machen, ausführlich diskutiert, mit vielen praktischen Tipps. Wir haben auch über viele Studien gesprochen, die würden wir wieder in die Shownotes stellen. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank für Ihr Interesse. Lieber Christian, vielen Dank für diese hochspannende Diskussion und die guten Hinweise. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, Sie bekommen auch wieder CME-Punkte, wenn Sie die Fragen beantworten. Wenn Sie uns noch nicht abonniert haben, würde ich mich freuen, wenn Sie es tun. Wir freuen uns natürlich immer über Feedback und wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen Ihrer Patienten.
Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!
Ihr Team von InfectoPharm.
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