consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – Folge #15 – 08.09.2025
consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast
mit Prof. Mathias Pletz
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Vom Bock zum Gärtner – Borrelien richtig diagnostizieren und behandeln
Zu Gast heute:
PROF. DR. VOLKER FINGERLE.
Prof. Mathias Pletz …
… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Mathias Pletz.
Mathias Pletz: Willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, das ist eine neue Folge von Consilium Infectiorum, dem infektiologischen Klinik-Podcast. Mein Name ist Mathias Pletz und ich begrüße ganz herzlich unseren heutigen Gast Dr. Volker Fingerle. Er ist Facharzt für Mikrobiologie und leitet das Nationale Referenzzentrum für Borrelien. Und das ist das Thema unserer heutigen Folge. Ein Thema, das ja auch manchmal sehr kontrovers diskutiert wird, und ich bin sehr froh, dass wir mit ihm einen ausgewiesenen Experten finden konnten. Er hat sich an verschiedenen Leitlinien beteiligt, die deutsche Leitlinie zur kutanen Borreliose [1] und zur Neuroborreliose [2], aber auch die europäische Leitlinie für die Neuroborreliose [3]. Herzlich willkommen, lieber Volker.
Volker Fingerle: Ja, hallo Mathias, danke für die Einladung.
Mathias Pletz: Sehr gern. Danke, dass du Zeit für uns hast. Zu Beginn vielleicht einmal eine Frage: Wo kommt denn die Borreliose überall vor? Bei FSME sehen wir ja, dass sich das Gebiet von Süden nach Norden sozusagen mit jeder STIKO-Empfehlung um ein paar Kilometer, nicht um ein paar hundert Kilometer, aber um einige Kilometer immer weiter nördlich verschiebt. Wie ist das bei der Borreliose?
Globale Ausbreitung: Ein Blick auf verschiedene Spezies weltweit
Volker Fingerle: Also grundsätzlich gibt es die Borreliose so etwa zwischen 40 und 60 Grad nördlicher Breite, quasi gürtelförmig um die Welt. Um den ganzen Planeten, aber nur in der nördlichen Hemisphäre. Die Ausbreitung jetzt mit Klimawandel – man sagt ja, mildere Winter, überhaupt wärmere Temperaturen tun der Zecke gut – wir sehen tatsächlich Ausbreitungen, nämlich in Skandinavien, in Europa, also weiter nach Norden. Tatsächlich sehen wir eine Ausbreitung in höhere Höhen. Also früher hat man gesagt, so 1200 Meter ist die Grenze. Mittlerweile sagt man wahrscheinlich so etwa 1500 Meter. Wo man auch schön tatsächlich eine Ausbreitung sieht, ist in Amerika, und zwar von Amerika nach Kanada. Das ist tatsächlich eine klimawandelbedingte Ausbreitung im Sinne von: Da wird es für die Zecken angenehmer, die wandern jetzt in Kanada ein. Man hat da auch noch eine Ausbreitung von Ost nach West. Das ist allerdings mehr über menschliche Veränderungen der Umwelt bedingt. Ansonsten, wenn man Deutschland genauer anguckt, da gibt es eine Studie, die das Vorkommen von Borrelien und auch von Borrelien-infizierten Zecken über 15 Jahre betrachtet im Raum Hannover, und die findet eigentlich in den 15 Jahren keine relevanten Veränderungen. Das geht von Jahr zu Jahr mal hoch, mal runter, aber keine klare Zunahme. Eine Ausbreitung kann man für Deutschland sowieso nicht bestimmen, weil überall, wo es die Zecken gibt, gibt es auch die Borrelien. Das ist anders als bei der FSME, wo begrenzender Faktor irgendwelche Umwelt- oder Wirtstierfaktoren sind. Bei der Borreliose ist es so: Die Borrelie gibt es überall da, wo es den Gemeinen Holzbock gibt, bei uns der Überträger.
Mathias Pletz: Und sind das, wenn wir jetzt um den gesamten Globus gehen, der nördlichen Hemisphäre, wie du gesagt hattest, sind das überall die gleichen Borrelien-Spezies, die hier eine Rolle spielen?
Volker Fingerle: Also in Amerika haben wir ziemlich viele Borrelien-Spezies, allerdings nur zwei, die gesichert humanpathogen sind. Das ist eine Borrelia burgdorferi sensu stricto und eine Borrelia mayonii. Die mayonii gibt es in Europa nicht. Die sensu stricto gibt es auch bei uns und wir haben aber zusätzlich noch eine Borrelia afzelii, eine Borrelia garinii, eine Borrelia bavariensis und eine Borrelia spielmanii. Das heißt, wir haben eine größere, eine deutlich größere Heterogenität von Borrelia burgdorferi in Europa. In Asien kennt man sich nicht wirklich gut aus, aber man kann sagen, die Borrelia burgdorferi sensu stricto kommen da praktisch nicht vor. Ja, afzelii, garinii, bavariensis gibt es dort, spielmanii wahrscheinlich auch. Mayonii gibt es tatsächlich nur in den USA.
Die Zecke als Hauptdarsteller: Warum andere Vektoren keine Chance haben
Mathias Pletz:
Sind die Zecken eigentlich bei Borrelien der einzige Überträger oder gibt es hier auch andere Vektoren? Weil wir hatten beispielsweise bei Tularämie jetzt auch einen singulären Fall, wo die Übertragung wahrscheinlich durch eine Stechmücke oder durch eine Bremse erfolgt ist. Wie sieht es bei der Borreliose aus?
Volker Fingerle: Borrelien sind also, ganz ehrlich, man geht davon aus, dass die Zecke tatsächlich der einzige Vektor für die Borrelien ist. Der Grund? Der Übertragungszyklus ist sehr komplex. Es ist nicht einfach so, dass die Borrelie ausgespuckt wird und dann eine Infektion vorliegt. Stattdessen handelt es sich um eine komplexe Interaktion zwischen Borrelie und Zecke, die letztendlich zur Infektion führt. In der nüchternen, also ungesogenen Zecke sitzt die Borrelie im Mitteldarm. Sie hängt dort physiologisch inaktiv an einem Rezeptor für OspA. Dieser Zeckenrezeptor für OspA wird im Mitteldarm der Zecke exprimiert, und die Borrelie hängt mit ihrem Oberflächenprotein A daran wie an einem Kleiderbügel im Schrank. In diesem Zustand ist sie physiologisch inaktiv und kann längere Zeit in der Zecke überleben, ohne diese zu schädigen. Würde sie dort wachsen, würde sie die Zecke innerlich auffressen. Gleichzeitig ist das OspA ein sogenanntes Autoagglutinin, das heißt, Borrelie agglutiniert mit Borrelie. Das ist das, was Willi Burgdorfer, der Namensgeber von Borrelia burgdorferi, entdeckt hat, als er die Zecken untersuchte: ganze Klumpen von Borrelien im Mitteldarm der Zecke.
Was passiert nun, wenn die Zecke saugt und die Borrelie die Chance hat, auf einen Wirt übertragen zu werden? Jetzt kommt Blut hinein, alles ändert sich – Physiologie, osmotischer Druck, Temperatur. Das ist das Signal für die Borrelie, das OspA einzufahren. Sie fällt sozusagen von ihrem Kleiderbügel. Gleichzeitig wird ein anderes Protein, das OspC (Oberflächenprotein C), hochgefahren. Jetzt kann die Borrelie aktiv vom Darm in die Speicheldrüse wandern. In der Speicheldrüse wird sie dann mit Schutzstoffen beladen, die die Zecke zur Verfügung stellt. Erst dann geht es in den Wirt. Dort erwartet die Borrelie eine Umgebung, die voll ist mit immunsuppressiven Substanzen, die die Zecke hineinspuckt – immunsuppressiv, zellulär und humoral. Es werden gewebeauflösende Substanzen hineingespuckt, und das ist die optimale Situation für die Borrelie, eine ordentliche Infektionsdosis zu erreichen. Wahrscheinlich reicht eine Borrelie nicht aus. Das ist der Grund, warum diese Interaktion zwischen Zecke und Borrelie so wichtig ist und es einige Zeit dauert. Das erklärt auch, warum die frühe Entfernung der Zecke so wichtig ist: Die Übertragung dauert zumindest einige Stunden. Das ist auch der Grund, warum die Stechfliege es nicht kann. Die Stechfliege kommt schnell vorbeigeflogen, rammt ihren Rüssel hinein und fliegt wieder weiter. Das ist nicht ausreichend, um so einen komplexen Prozess aufrechtzuerhalten.
Mathias Pletz: Da habe ich gleich eine pathophysiologische Nachfrage. Wir werden ja im Laufe des Podcasts noch darauf zu sprechen kommen: Es gibt diese Post-Treatment Lyme Disease oder auf Deutsch die chronische Borreliose, und da gibt es verschiedene Hypothesen. Die eine ist Autoimmunität, die andere ist eine persistierende Infektion und die dritte Hypothese besagt, dass noch irgendwie Borrelien-Bruchstücke vorliegen, die das Immunsystem trotzdem unterhalten. Bei der Hypothese der chronischen Infektion wird immer wieder diskutiert, dass die Borrelien es schaffen, sich vor dem Immunsystem zu verstecken. Hängt das mit dem initialen Mikromilieu zusammen, wenn die Zecke immunsupprimierende Substanzen an die Bissstelle sezerniert, oder wandern die Borrelien dann woanders hin und können das auch von sich aus?
Volker Fingerle: Das ist sicherlich eine Situation, die von selbst entsteht. Die initiale Bereitstellung des „Wohnzimmers“ für die Borrelie, wo sie sich zunächst ordentlich vermehren kann, ist nur der Anfang. Wenn es in die chronische Situation übergeht, ist die Borrelie ja nicht mehr an der Zeckenstichstelle, sondern sitzt im Gelenk, im Gehirn oder irgendwo anders in der Haut. Dann werden pathogenetische Versteckmechanismen wirksam, die am besten beim VlsE untersucht sind. Dort kann sich die Borrelie ähnlich wie die Rückfallfieber-Borrelie vor der Erkennung durch das Immunsystem schützen. Das geschieht zum Beispiel durch Wechsel der Komplementaktivität, indem sie Wirtsfaktoren bindet, um das Komplement unwirksam zu machen, oder indem sie ihre Oberflächenstruktur laufend über dieses VlsE ändert. VlsE steht für „Variable Major Protein-like Sequence Expressed“. Das sind variabel exprimierte Proteine. Immer wenn die Borrelie durch spezifische Abwehrstrukturen erkannt wird, verändert sie ihre Oberfläche so, dass diese Abwehrstrukturen die Borrelie nicht mehr erkennen. Das ist wirklich sehr raffiniert. Beim VlsE gibt es, rein statistisch gesehen, Millionen Änderungsmöglichkeiten. Bei der Rückfallfieber-Borrelie, wo man das Ganze entdeckt hat, werden ganze Kassetten ausgetauscht. Da gibt es etwa 15 Stück, das heißt, die Borrelie kann sich 15 Mal dem Immunsystem entziehen, dann ist die Sache vorbei. Die Lyme-Borrelie hat nicht die Möglichkeit, Kassetten auszutauschen, sondern sie kann von einzelnen Kassetten Teile in die aktive Expressionskassette übernehmen und dann ein neues VlsE exprimieren. Und da gibt es Millionen Möglichkeiten.
Mathias Pletz: Vielleicht kannst du ganz kurz noch mal die Abkürzung erklären, VlsE.
Volker Fingerle: Variable Major Protein-like Sequence Expressed.
Klinische Stadien der Borreliose: Von der Haut bis ins Nervensystem
Mathias Pletz: Gut, kommen wir von der Molekularbiologie mal wieder ein bisschen zurück zur Klinik. Die Borreliose wird ja in verschiedene Stadien eingeteilt, und das Frühstadium, diese Hautborreliose, die kutane Borreliose, hat jeder bestimmt schon bei Patienten oder auch an sich selbst beobachtet. Wie häufig ist es dann, dass bei einer Übertragung es tatsächlich auch zur Erkrankung kommt?
Volker Fingerle: Schöne Frage, da können wir uns einfach mal eine kleine Risikoanalyse anschauen. Bei 100 Zeckenstichen können wir davon ausgehen, dass etwa 10 bis 20 der Zecken Borrelien in sich tragen. Von diesen 10 bis 20 wird ein Teil der Zecken gar nicht übertragen, weil sie zum Beispiel zu früh entfernt wird, zu wenig Borrelien vorhanden sind oder die Borrelien nicht so recht mögen. Ein Teil der Borrelien kommt auf die andere Seite, wird aber vom angeborenen Immunsystem, zum Beispiel dem Komplement, identifiziert. Das Komplement macht Löcher in die Borrelien und sie zerplatzen. Erst dann kommt die Infektion im Sinne von: Die Borrelien können sich in der Haut vermehren. Infektion heißt noch nicht krank, sondern bedeutet einfach, dass sich Borrelien unter der Haut vermehren. Jetzt kommt das erworbene Immunsystem ins Spiel, das wäre dann humoral und zellulär. Es erkennt, dass die Borrelie hier nicht hingehört, und fängt an, dagegen zu arbeiten. Also zellulär und eben humoral, also Antikörperproduktion. Die Antikörperproduktion sehen wir in etwa 5 von 100 Zeckengestochenen, und einer von diesen wird im Schnitt krank.
Mathias Pletz: Das ist ja wirklich eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit. Was hältst du in dem Zusammenhang eigentlich von der Postexpositionsprophylaxe mit Doxycyclin, die ja manchmal empfohlen wird?
Volker Fingerle: Also empfohlen wird sie definitiv in Amerika. In Amerika ist die Voraussetzung für eine Postexpositionsprophylaxe – das ist eine Dosis Doxycyclin dann- die Zecke muss innerhalb von 72 Stunden nach Beginn des Stiches entfernt worden sein, sie muss gestochen haben oder aus einem Gebiet stammen, von dem man weiß, dass eine hohe Infektionsrate vorliegt. Dann muss jemand die Zecke als Ixodes scapularis im Osten oder Ixodes pacificus im Westen identifiziert haben. Nur dann kommt die Doxycyclin-Prophylaxe in Betracht. Die Amerikaner haben Bereiche mit 60-70% Infektionsrate mit Borrelien. Das erreichen wir hier kaum, das ist eher die Ausnahmesituation. Für uns gibt es solche Studien, die zeigen, dass eine Dosis Prophylaxe etwas bringt, nicht. Man muss beachten, die Amerikaner haben eine relevante Borrelie, die Borrelia mayonii. Die gibt es nur in einem ganz kleinen Gebiet, der Rest ist alles Borrelia burgdorferi sensu stricto. Das ist bei uns eine von vielen. Wir haben einen anderen Vektor: Ixodes ricinus ist etwas anderes als Ixodes scapularis. Ixodes scapularis hat im Tierversuch mit Mäusen eine Übertragungswahrscheinlichkeit, die erst nach 24 Stunden beginnt und nach 72 Stunden eine ernstliche Übertragung zeigt. Bei uns gibt es eine schöne Studie, die verschiedene Borrelien bei Mäusen getestet hat. Der früheste Test war 16 Stunden nach Stichbeginn, da waren schon die ersten infiziert. Das gibt es in Amerika gar nicht. Also können wir nicht einfach Ergebnisse aus Amerika nehmen und auf die europäische Situation übertragen, sondern wir brauchen erst einmal ordentliche Studien, die zeigen, dass es auch bei uns etwas bringt.
Mathias Pletz: Und in dem Zusammenhang vielleicht mal eine etwas abweichende Frage: Die Zecken übertragen bei uns ja nicht nur Borrelien, es gibt ja auch Ehrlichia, Anaplasma, wahrscheinlich auch Francisella und Coxiella wurden auch schon mal untersucht. Wir haben gemeinsam mit dem Friedrich-Loeffler-Institut hier in Jena eine Studie dazu gemacht und haben gesehen, dass tatsächlich auch in unserer Region Anaplasma und Ehrlichia durchaus vorkommen, das sogar zugenommen hat [4]. Und ein Teil dieser Erreger wird ja auch durch Doxycyclin erreicht. Bekommt ihr solche Anfragen oder sucht ihr danach auch am Nationalen Referenzzentrum?
Volker Fingerle: Grundsätzlich ja. Ich war auch längere Zeit und bin es eigentlich indirekt immer noch das Konsiliarlabor für Ehrlichien, wobei man sagen muss, die für humanmedizinische Erkrankungen relevanten Ehrlichien gibt es bei uns gar nicht, die gibt es in ganz Europa nicht, die gibt es in Amerika, weil dort der Überträger, der Vektor ist. Die Lone Star-Zecke Amblyomma americanum. Die Ehrlichien-Situation kommt eigentlich aus der Zeit, bevor Anaplasma und Ehrlichia getrennt wurden. Die Hauptpublikation ist eine spanische, wo Ehrlichia im Patienten gefunden wurde, bevor man wusste, dass es Anaplasma gibt [5]. Bei uns ist Anaplasma – wir haben in ganz Deutschland noch keine Publikation zu einer in Deutschland erworbenen Anaplasmose. Wir haben Berichte von Anaplasmosen, die aber immer aus dem europäischen Ausland kommen oder aus Amerika. Vor Kurzem gab es einen Fall aus Amerika. Wobei man sagen muss, dass wir in Deutschland auch gar nicht gezielt danach suchen, in den Kliniken ist das immer das Problem. Zu Anaplasma habe ich drei Inzidenzstudien gemacht und wir haben eine relativ gesicherte Infektion gefunden, nämlich mit eindeutiger Serokonversion [6]. Der Patient war allerdings gesund. Anaplasma-Antikörper finden wir je nachdem, wo man sucht und welche Risikogruppe man untersucht, bei über 10% der Waldarbeiter. Also wir haben Anaplasma phagocytophilum in der Zecke eindeutig, ich weiß nur nicht, ob die – es gibt ja da unterschiedliche Typen, die unterschiedlich krank machen – ich bin da jetzt überfragt zu sagen, ob wir die humanpathogenen Anaplasmen bei uns in Deutschland in der Zecke haben.
Mathias Pletz: Und wie würde sich die Situation ändern mit dieser einen Zecke, die auch potenziell Krim-Kongo-Fieber übertragen kann, die jetzt punktuell in Deutschland gesichtet wurde? Vielleicht kannst du dazu noch etwas sagen.
Volker Fingerle: Ja, das ist diese Riesenzecke, die kleinen Kindern hinterherrennt und sie einfängt und aussaugt. Die findet man seit Mitte der 2000er Jahre in Deutschland, also publiziert in Deutschland [7]. Hyalomma marginatum ist insbesondere gemeint, das ist eine Zecke, die im Juvenilstadium Vögel parasitiert, unter anderem auch Zugvögel. Der Parasitismus dauert über mehrere Wochen, das heißt, die Zecke wohnt auf dem Vogel, während der von Afrika nach Europa fliegt. Dann springt sie, wenn der Zugvogel in Europa oder jetzt in Deutschland zum Beispiel angekommen ist, vom Vogel und entwickelt sich dann, wenn es eine Nymphe war, ins Adultstadium, wenn die Temperatur okay ist. Das war zum Beispiel 2018 so, wo man relativ viele von diesen Hyalomma-Zecken gefunden hat. Normalerweise springen die runter und dann ereilt sie hier der Kältetod. Das ist eine Zecke, die viel Wärme braucht. Die, die sich dann im Adultstadium tatsächlich entwickeln, parasitieren dann Großsäuger, typischerweise Pferde und Kühe. Man hat dann auch von Pferdebesitzern öfters gehört: „Ach, die haben wir früher auch schon gesehen, wir dachten immer, das wäre eine Spinne“, weil die sehr schnell ist. Die bewegt sich nicht so relativ langsam, wie man das von der Zecke kennt, sondern die ist richtig flott. Das ist eine Jagdzecke, die geht aktiv auf Jagd. Normalerweise sterben die Adultstadien bislang bei unserem Winter noch ab, aber das wird sich sicherlich im Rahmen des Klimawandels noch so weit ändern, dass die bei uns heimisch werden. Dann haben wir zunächst einmal ein Lästlingsproblem, also eine riesige Zecke, die schon beim Stich schmerzhaft ist und die dann wirklich unangenehme Erreger übertragen kann. Im Vordergrund steht natürlich das Krim-Kongo Hämorrhagische Fieber, das ist quasi eine hämorrhagische Fieberviruserkrankung, wie man sie von Ebola und solchen Sachen kennt. Daran sterben auch viele Menschen. Da stellt sich dann aber die Frage, wann die Klimasituation auch für den Erreger geeignet ist. Nur weil der Vektor da ist, heißt das noch nicht, dass der Erreger auch da ist. Das wird vielleicht einfacher für Rickettsien, die überträgt sie ja auch gern, wie Rickettsia conorii und so. Und sie hat sicherlich auch noch weitere Erreger im Gepäck, aber für Borrelien wäre mir jetzt nichts bekannt, dass sie in der Lage wäre, Borrelien zu übertragen.
Mathias Pletz: Das bleibt spannend mit dem Klimawandel.
Sprecher: Bevor es gleich spannend weiter geht, möchten wir Sie kurz auf unsere hochwertigen Patientenratgeber hinweisen. Geben Sie Ihren Patienten wertvolles Wissen mit nach Hause. Von A wie Abszesse bis Z wie Zöliakie; mit über 50 verschiedenen Patientenratgebern, teilweise auch in andere Sprachen übersetzt, unterstützen wir Sie in Ihrem Behandlungsalltag. Fordern Sie die Patientenratgeber kostenfrei unter kontakt@infectopharm.com an. Die E-Mail-Adresse und den Link zu den Patientenratgebern als Download finden Sie auch in den Shownotes. Jetzt wünschen wir Ihnen weiterhin viele interessante Minuten mit dem infektiologischen Klinik-Podcast des consilium infectiorum.
Diagnostische Herausforderungen: Die Tücken der Borrelien-Serologie
Mathias Pletz: Zurück zur Klinik: Wir haben ja gelernt, dass es eine sehr niedrige Wahrscheinlichkeit gibt, dass es tatsächlich zu einer Borreliose kommt, auch wenn, wie du sagtest, 10 bis 20% der Zecken Borrelien in sich tragen können. Wenn jetzt das typische Erythema migrans zu erkennen ist, reicht das eigentlich für die Diagnose oder braucht es da noch eine serologische Bestätigung?
Volker Fingerle: Also das Erythema migrans klassischer Art ist eine Blickdiagnose. Man sieht es, man therapiert es. Also da braucht man keine serologische Bestätigung. Letztlich ist die diagnostische Lücke, die Antikörper-diagnostische Lücke, wohl die maßgebliche Situation. Also moderne Tests haben so eine Sensitivität von um die 50%, das heißt 50% würden dann nicht erkannt und würden dann möglicherweise auch nicht therapiert.
Mathias Pletz: Und welche Antibiotika werden in den Leitlinien [1-3] empfohlen und was würdest du favorisieren? Es gibt ja mehrere zur Auswahl.
Volker Fingerle: Ja, also ich persönlich würde eindeutig das Doxycyclin favorisieren. Warum? Doxycyclin wirkt eigentlich auf so ziemlich alles, was auch sonst noch von der Zecke übertragen werden kann, also Neoehrlichia mikurensis, Anaplasma, Francisella, alles was da so drin ist. Ich glaube, selbst Babesien werden zumindest eingebremst, nicht sicher eliminiert. Doxycyclin hat den Vorteil: Einmalgabe, kleine Tablette, 10 Tage und fertig. Aufpassen muss man natürlich auf die Sonnenallergie, also es hat eine Phototoxizität, speziell bei Hellhäutigen, Blonden, Blauäugigen könnte es Schwierigkeiten geben. Ansonsten gilt es eigentlich als relativ gut verträgliches Antibiotikum. Problematisch ist es dann immer bei Kindern, man sagt erst ab vollendetem achten Lebensjahr. Wobei die Amerikaner zum Ergebnis gekommen sind, dass man Doxycyclin auch Kindern verabreichen kann. Die haben ja Infektionen wie gefährliche Rickettsiosen, Ehrlichiosen, die zum Teil letal verlaufen können. Dann haben sie auch die Kinder mangels Alternativen mit Doxycyclin therapiert und sehen keine Zahnverfärbungen und keine Schmelzprobleme oder so etwas.
Mathias Pletz: Dazu hatte ich mal eine Studie von den Spaniern gelesen. Die haben Amoxicillin mit Azithromycin verglichen bei Erythema migrans. Bei Kindern gibt es ja auch das Problem, dreimal am Tag eine große Tablette zu verabreichen, ist ja auch nicht so leicht. Und das Azithromycin ist dann auch von der Verabreichung, also sozusagen 5 Tabletten waren es – oder 5 Tabletten müsste ich in der Studie noch mal nachsehen – weil man ja…
Volker Fingerle: 5.
Mathias Pletz: …über 5 Tabletten genau einen längeren Zeitraum möchte. Wie haben die Leitlinien das klassifiziert? Das war ja immerhin eine randomisierte kontrollierte Studie, die das adressiert hat.
Therapie der Borreliose: Welches Antibiotikum für welches Stadium?
Volker Fingerle: Ja, also es gibt Studien aus den USA [8] und Studien aus Europa [9] zum Azithromycin, die nicht immer die Gleichwertigkeit im Vergleich zu Amoxicillin oder Doxycyclin oder so etwas definiert haben. Deswegen wird bei uns das Azithromycin als Reserveantibiotikum empfohlen, wenn alles andere nicht angewendet werden kann.
Mathias Pletz: Verstehe. Wie ist das eigentlich? Es gibt ja auch manchmal multiple Erythema migrans-Effloreszenzen bei einem Patienten, wobei man nur an einer Stelle einen Zeckenstich hat. Ist das eine Ausbreitung über die Haut oder waren das Zeckenstiche, von denen man nichts…
Volker Fingerle: …mitbekommen hat. Also theoretisch natürlich mehrere Zeckenstiche. Praktisch sieht man das häufiger in Amerika: Erythemata migrantia – das ist eine Primärläsion sozusagen, und dann einfach hämatogene Satelliten. Also das kann sich über den ganzen Körper ausbreiten. Das sind nicht nur Hautmigrationen, wo man dann zum Beispiel am Unterarm oder so dann zwei, drei rote Flecken sieht, wo man denkt: „Aha, da kann die Borrelia also in der Haut hinwandern“, sondern das sind tatsächlich vom Kopf bis zum Fuß rote Flecke. Das können 20, 30, 40 Stück sein.
Mathias Pletz: Ja, ich hatte das noch nie bei einem Patienten gesehen, aber ich habe das mal in einer Fortbildung gesehen, fand das sehr beeindruckend. Ich hatte mich damals gefragt, ob das ein immunologisches Phänomen ist, aber wie du sagst, sind das hämatogene Satelliten, die da auftauchen.
Volker Fingerle: Genau.
Mathias Pletz: Und von der kutanen Phase jetzt hin zum disseminierten Stadium bzw. Spätstadium – wie ist da der zeitliche Ablauf?
Volker Fingerle: Also man weiß ja immer noch nicht genau, ist das Erythema migrans immer da, also durchläuft das, sieht man das Erythema migrans immer. Es gibt die Situation, man passt nicht richtig auf, es ist in der Achselhöhle, es ist in der Rima ani, man sieht es einfach nicht. Das ist die eine Möglichkeit. Oder es ist so blass – es gibt ja sehr unterschiedliche Effloreszenzen, das kann nur ganz hell, leicht rötlich sein. Da hilft es als Praktiker, wenn man da, wo man denkt, da könnte vielleicht ein Erythema migrans sein, einen Schritt zurückgeht und das aus der Entfernung anguckt. Oder wenn man gut warmes Wasser darüber laufen lässt, also einen physikalischen Reiz ausübt. Man kann die Leute auch in die Sonne legen, ist aber zu aufwendig. Aber einfach heißes Wasser darüber laufen lassen, dann kommt das Erythema migrans oft schön raus. Und wie war die Frage noch?
Mathias Pletz: Wie es dann weitergeht, das gibt es ja dann. Früher sprach man von primär, sekundär, tertiär. Jetzt spricht man von früh disseminiert und…
Volker Fingerle: Frühe Phase und auch früh disseminiert sagt man Wochen bis Monate. Das Wichtigste oder das Häufigste in dieser Phase ist sicherlich die Neuroborreliose, also das beim Erwachsenen dominante Bannwarth-Syndrom oder Meningoradikulitis Bannwarth. Die imponiert mit nachts betonten Schmerzsyndromen. Hirnnervenlähmungen sind dabei oft seltener, es finden sich Gliedmaßen- und Rumpflähmungen und vielleicht auch Sensibilitätsstörungen. Wenn man sich das genauer in der Neurologie anschaut, ergibt ein charakteristischer Liquorbefund dann die Diagnose. Es kann auch einfach eine Meningitis sein, die ist allerdings häufiger bei Kindern. Da ist das die dominante Situation, eine Meningitis und Fazialisparese. Das sind so die wichtigsten Situationen bei der Neuroborreliose früher Art. Neben der Neuroborreliose kann noch ein Borrelia-Lymphozytom auftreten. Lymphadenosis cutis benigna, der Fachausdruck, ist typischerweise ein solitärer, selten multipler, blaurot-bläulicher, prall-elastischer Knoten, seltener Plaque. Am häufigsten sind Kinder betroffen und Prädilektionsstellen sind Ohrläppchen, Mamille und Skrotalhaut. Man sieht immer mit den Bildern die Nase, das gibt es auch. Lymphozytom da hat man dann so eine richtige leuchtende blau-rote Nase. Das ist allerdings nicht so sehr häufig. Als weitere Erkrankungsformen würde das Erythema migrans da auch dazu zählen. Früh disseminiert gibt es noch die Herzbeteiligung. Endo-, Myo-, Perikarditis gibt es da grundsätzlich alles. Die archetypische Situation wäre ein AV-Block wechselnden Grades, also nicht fix, sondern wechselnden Grades. Und selten gibt es auch eine Augenbeteiligung.
Mathias Pletz: Kurze Frage zur Pathophysiologie: All das, was du jetzt beschrieben hast, ist das vor allem der direkten Borrelienwirkung durch die Dissemination zuzuschreiben oder sind das schon immunologische Phänomene, die hier eine Rolle spielen?
Volker Fingerle: Also das sind Abwehrphänomene. Wenn man sich das Erythema migrans anschaut, die Borrelie ist nicht rot und wandert durch die Haut und alles wird rot, sondern das Abwehrsystem kommt dahin und macht die Reaktion. Was genau das ist… Also warum kommt es im Einzelfall zur Neuroborreliose? Warum kommt es im nächsten Fall zu multiplen Erythemen oder zum Lymphozytom? Es gibt wenig Daten dazu. Eine Situation, die man erwähnen kann, ist tatsächlich ein gewisser, also ein relativer Organotropismus der unterschiedlichen Spezies. Also Acrodermatitis zum Beispiel finden wir in 80 bis 90% aller Fälle eine Borrelia afzelii, selten eine andere Spezies. Bei der Neuroborreliose finden wir in etwa 20% Borrelia bavariensis. Borrelia bavariensis finden wir praktisch nie in der Zecke, also jetzt in Europa um die 1% oder weniger der Zecken sind mit Bavariensis infiziert. Und sehr viele finden sich trotzdem bei der Neuroborreliose. Bei der Lyme-Arthritis findet sich bei uns überzufällig häufig im Vergleich zur Zeckenprävalenz Borrelia burgdorferi sensu stricto. Also da scheinen pathogenspezifische Faktoren beteiligt zu sein, die die Borrelie in die Lage versetzen, an bestimmten Organen sich festzusetzen und da dann immunologische Reaktionen hervorzurufen.
Fazialisparese & Co: Wann steckt wirklich eine Borreliose dahinter?
Mathias Pletz: Wenn wir jetzt mal ein paar typische klinische Konstellationen durchsprechen, also die idiopathische Fazialisparese, da kennt ja sicherlich jeder Patienten, und da wird ja auch oftmals dann eine Borrelien-Serologie gemacht und da findet man ein positives IgG. Wie kann man sozusagen abschätzen, ob das tatsächlich kausal bedingt ist, oder ob das nur eine Koinzidenz ist und ob man daraus eine Behandlung ableitet?
Volker Fingerle: Also die Sicherung der Diagnose einer Neuroborreliose ist immer Liquorpunktion. Ja, auch bei einer Fazialisparese. Da sind dann immer die Geister am Diskutieren. War das jetzt eine borrelienbedingte Fazialisparese? Ich meine, Fazialisparese ist ja eine problematische Situation, die geht oft weg trotz antibiotischer Therapie. Also wenn gar keine Borrelie dahintersteckt, man entscheidet sich dann zur antibiotischen Therapie und dann geht sie weg, dann denkt man: „Ha, das war eine Borrelie!“ Nein, kann man so nicht sagen. Man kann nur sagen, okay, es ging in Assoziation weg. Da muss man, wenn man es sicher haben will – Fazialisparese durch eine Borrelie – dann muss man den Liquor punktieren und da möglicherweise muss man sich noch intensiver das CXCL13 anschauen.
Mathias Pletz: Kann man das eigentlich standardmäßig? Das CXCL13 gilt ja als typisch, nicht spezifisch, aber typisch für die Neuroborreliose. Können das eigentlich alle Labore mittlerweile bestimmen oder muss das irgendwie speziell versendet werden?
Volker Fingerle: Es muss nicht speziell versendet werden, es bestimmen nicht alle Labore. Das hat ja auch nur als Option in Leitlinien Eingang gefunden [2]. Es wird immer erwähnt als mögliche Option. Wir haben immer noch keine wirklich saubere Grenzwertdefinition. Wir wissen nur, es ist im Vergleich zu anderen Situationen sehr viel. Also wenn man andere Infektionen hat, ist der Grenzwert für das CXCL13 oder die CXCL13-Menge, die man misst, meistens deutlich niedriger. Eine Zeit lang hat man gesagt 250 Pikogramm pro Milliliter, mittlerweile geht man eher so Richtung 180-190, bei Kindern sogar eher auf 55. Also da gibt es noch Forschungsbedarf. Das CXCL13 wird ja zum Beispiel in der MS-Diagnostik mittlerweile zumindest teilweise verwendet. Das ist da ja auch häufig erhöht, wird zum Teil als Prognosefaktor diskutiert und ist auch bei anderen Infektionserkrankungen natürlich erhöht, nur eben quantitativ nicht so hoch wie bei der Lyme-Borreliose. Und das ist sozusagen ein unspezifischer Faktor, den man da halt einfach messen kann und den man als Puzzlebaustein in das Gesamtbild mit integrieren muss. Und das kann natürlich sehr schwierig sein, gerade wenn man sich MS anguckt, auch die haben eine lymphozytäre Pleozytose, die haben eine Schrankenstörung. Das kann also sehr ähnlich aussehen und das CXCL13 kann da auch erhöht sein und zwar richtig deftig.
Mathias Pletz: Und bei den anderen Manifestationen im disseminierten Stadium, wie invasiv sollte man da seine Diagnostik gestalten? Also muss ich sozusagen bei den Hautbeteiligungen im disseminierten Stadium eine Biopsie anstreben? Wie sieht es aus bei dem AV-Block, wie sichert man da die Diagnose?
Volker Fingerle: Also Herzbeteiligung ist natürlich immer eine diffizile Problematik. Ich denke, häufig läuft es auf eine Antikörperdiagnostik hinaus. Und ich meine, wer wird sich wegen dieser Frage eine Herzbiopsie machen lassen, wo man ja auch gar nicht weiß, wie sensitiv das wäre? Wenn man das tut, weitere Möglichkeiten hat man nicht. Da wird sicherlich häufig eine probatorische Therapie rauskommen. Also einfach, weil man die invasive Methode nicht ausreichend genug kennt, nicht weiß, tut man da eigentlich wirklich was Sinnvolles und die ja nicht auch ganz ungefährlich sind. Jetzt bei einem Verdacht auf Acrodermatitis, wenn man sich da nicht sicher ist, dann ist die Biopsie mit Nachweis von Borrelia burgdorferi per PCR und/oder Anzucht plus die histologische Untersuchung, denke ich, angezeigt. Also man hat jetzt Acrodermatitis, unklare Hautsituation, dann hat man mal die Antikörper gemacht, man findet immerhin ein ordentliches IgG wie bei Acrodermatitis, man findet viele verschiedene IgG-Banden und p83/100, p58, p39, vielleicht eine p43 und dann denkt man: „Hm, könnte schon was sein“, aber der eine denkt, nee das sieht man gar nicht danach aus, der andere sagt: „Hm, ich denke schon.“ Dann kann man natürlich jetzt eine probatorische Therapie machen oder man kann versuchen, die Diagnose noch extremer zu sichern und dann wird man die Biopsie machen. Genau das Gleiche bei der Lyme-Arthritis. Da geht man natürlich, Basisvoraussetzung, die entsprechende Klinik, also massive Schwellung eines oder weniger großer Gelenke, über 80% ein Kniegelenk. Dann macht man die Antikörper im Serum, sieht, es ist wie bei späten Erkrankungsformen: Hohes IgG, breites Spektrum erkannter IgG-Banden würde passen und dann wäre die weitere Diagnostik entweder Ausschluss aller anderen rheumatologischen Ursachen, da gibt es ja eine ganze Ladung, oder und Punktion des Kniegelenkes. Es ist ja normalerweise eine voluminöse Schwellung, das heißt, die Punktion sollte eigentlich gut gehen. Und Nachweis einer granulozytären Pleozytose. Also anders wie im Liquor, wo eine lymphozytäre da ist, ist bei der Lyme-Arthritis typischerweise eine granulozytäre Pleozytose da und man kann in etwa 70% der Fälle Borrelien-DNA nachweisen. Die Anzucht ist bei Lyme-Arthritis nicht sinnvoll, da gibt es nur eine Handvoll isolierte Stämme auf der ganzen Welt. Also da findet man normalerweise nur DNA.
Mathias Pletz: Eine kurze Zwischenfrage: Wir haben ja mittlerweile einen wachsenden Anteil an der Bevölkerung mit prothetischen Gelenken. Sind die eine Prädilektionsstelle für so eine Lyme-Arthritis, also wie wir das bei Staphylococcus aureus kennen, dass der diese künstlichen Gelenke mag und sich dann dorthin zurückzieht? Wie sieht es bei den Borrelien aus, gibt es da auch Häufungen?
Volker Fingerle: Kenne ich keine Daten dazu. Und ich denke bei Staphylokokken ist ja wahrscheinlich relativ häufig auch so, dass man die dann mit Einbau des Gelenks da reinbringt.
Mathias Pletz: Sowohl als auch. Also das gibt es bei Operationen, durch die hämatogene Aussaat gibt es das aber auch.
Volker Fingerle: Ja, okay.
Sprecher: Bevor es gleich spannend weiter geht, möchten wir Ihnen kurz unsere Lernplattform Wissen wirkt vorstellen. Hier finden Sie Publikationen wie hochwertige Themenhefte und Fragen- und Antwortenhefte, Videos, Podcastfolgen und Sie können die dazugehörigen CME-Module direkt bearbeiten. Laden Sie die App Wissen wirkt für Android und Apple auf Ihr Smartphone oder Tablett herunter oder besuchen Sie die Website www.wissenwirkt.com für weitere Informationen. Die Links finden Sie auch in den Shownotes. Jetzt wünschen wir Ihnen eine interessante Fortsetzung der Podcastfolge von consilium infectiorum – dem infektiologischen Klinik-Podcast.
Der Western Blot: Ein Puzzlespiel aus Antikörpern
Mathias Pletz: Du hattest jetzt auch schon den Western Blot angesprochen. Der Western Blot stellt ja Kliniker oftmals vor eine Herausforderung, weil da viele verschiedene Banden, viele verschiedene Proteine bewertet werden. Vielleicht kannst du ein paar Worte dazu verlieren. Wie sicher ist ein positiver Western Blot, wie beweisend oder wie ausschließend ist ein negativer Western Blot und was sind die Banden, auf die du als Mikrobiologe und Experte vor allem Gewicht legen würdest?
Volker Fingerle: Grundsätzlich zur Antikörper-Diagnostik, egal ob mit ELISA oder Blot: Was da rauskommt, bedeutet einfach, es sind Antikörper da. Mehr sagt uns das nicht. Das sagt uns nicht, der Patient hat eine Lyme-Arthritis, eine Neuroborreliose oder ein Erythema migrans. Durchseuchungstiter können wir aus der Einzeluntersuchung nicht ablesen. Es ist immer ein Puzzlebaustein im Gesamtbild der Diagnostik, das kann man nicht oft genug betonen. Der isolierte Nachweis von irgendeinem Antikörper, selbst hoch positives IgM, ist niemals für sich genommen eine Therapieindikation. Nur Antikörpernachweis ist niemals eine Therapieindikation. Deswegen wird auch davon abgeraten, das als prophylaktische Maßnahme einmal im Jahr machen zu lassen. „Ich lasse mir meine Borrelien-Antikörper bestimmen“ – nein, ist nicht sinnvoll. Die Schwiegertochter bekommt zum Geburtstag einen Borrelien-Antikörper-Kit geschenkt – nein, ist nicht sinnvoll. Damit können wir keine sinnvolle Prophylaxe betreiben.
Jetzt zum Blot: Was wäre der Erwartungshorizont grundsätzlich? Vielleicht erstmal: Was ist denn eigentlich so ein Blot? Jeder redet davon, aber die meisten wissen eigentlich nicht, was das ist. Nehmen wir als Beispiel einen Line Blot mit rekombinanten Antigenen. Da werden die verschiedenen Teile der Borrelie, die OspA, OspC, VlsE, DbpA usw. heißen, verwendet. Das sind Teile der Borrelie und die werden künstlich, sogenannt rekombinant hergestellt. Diese rekombinanten Antigene werden auf eine Membran als Linie aufgetragen. Untereinander schreibt man dazu OspC, DbpA usw. Man kann dann auch unterschiedliche DbpAs oder andere Proteine von unterschiedlichen Spezies darauf tun. Man kann quasi einen Designer-Blot herstellen. Dann fixiert man das auf der Folie und zur Diagnostik schneidet man die Folie in kleine Streifen. Die Streifen werden mit Serum vom Patienten inkubiert. Wenn Antikörper gegen OspC im Serum vorhanden sind, dann reagieren die mit diesem künstlich hergestellten OspC auf der Membran. Das macht man dann sichtbar, und dann kann man dem Einsender angeben, gegen welche Teile der Borrelie Antikörper gebildet werden.
Warum ist es sinnvoll, so etwas zu tun? Ein jungfräuliches Immunsystem vorausgesetzt, ist die Reaktion des Immunsystems erstmal gegen VlsE, OspC und p41 gerichtet, zunächst gegen das IgM. Das bildet sich innerhalb der ersten 3 Wochen aus, dann weitere 3-4 Wochen bildet sich IgG aus. Immunologisch muss man sich klar sein: Die Reaktion kann jederzeit unterbrochen werden. Die Borrelie ist da, die Teile der Borrelie fungieren praktisch wie ein Schlüssel, der das Schloss aufschließt. So aktivieren die OspC Teile der Borrelie OspC-produzierende B-Zellen, um zu Plasmazellen zu reifen und Antikörper zu produzieren. Je länger die Infektion dauert, desto mehr IgM-Antikörper entstehen zunächst. Das sind eigentlich eher schlechte Antikörper, sie sind groß, plump, nicht so effektiv bei der Infektionsabwehr, aber sie kommen schnell. Wenn die Borrelie länger da ist, switcht das Immunsystem von IgM- zu IgG-Produktion. Das sind die besseren Antikörper.
Die erkennen zunächst OspC, p41, VlsE als Initialreaktion. Je länger die Infektion dauert, umso „frustrierter“ ist das Immunsystem und umso mehr Teile der Borrelie werden adressiert, um die Borrelie zu bekämpfen. Dann kommen zu OspC, p41 und VlsE noch p58, p39, p83/100 dazu, und zwar alles nur relevant für IgG. Also nicht das IgM ist relevant für das Erythema migrans. Im weiteren Verlauf, selbst bei frühen disseminierten Formen, kann man das IgM noch mitverwenden, aber da ist schon primär das IgG relevant. Für späte Erkrankungsformen ist dann das IgG relevant. Viele verschiedene Teile der Borrelie werden erkannt. Die heißen typischerweise p83, p100, p58, p43, p41, p39, p17, p18. OspC zum Beispiel geht häufig sogar weg. Warum geht es weg? Die Borrelie braucht OspC, um von der Zecke in den Menschen zu kommen. Dann wird es noch etwa 2 Wochen lang produziert und dann einfach abgeschaltet. Dann ist es für das Immunsystem zum Ausreifen nicht mehr da. Die Anti-OspC produzierende Zelle stellt die Produktion einfach ein, deswegen hat man häufig für späte Erkrankungsformen kein OspC im Blot nachgewiesen.
Mathias Pletz: Du hattest aber vorhin auch gesagt, die Einmalaufnahme lässt natürlich keine Aussage zu. Gibt es denn Empfehlungen zu gepaarten Serumproben? Wenn ja, in welchen Abständen? Und wäre hier die Aussage dann sicherer, wenn man serologisch versucht, also zum Beispiel bei neu aufgetretenem AV-Block, hier eine Kausalität herzustellen?
Volker Fingerle: Das ist auf jeden Fall sinnvoll, wenn man sich mit Serologie auskennt. Und genau was du sagst, gepaarte Serien tatsächlich, wenn man zum Beispiel im Abstand von 2 Wochen so ein Serum-Pärchen am gleichen Tag mit der gleichen Methodik im gleichen Labor untersucht, dann fallen Inter-Test-Variabilitäten weg. Die unterschiedliche Tagestemperatur, Luftfeuchtigkeit und so weiter fällt weg. Da hat man die optimale Situation, um tatsächliche Titeränderungen und Anstiege zu definieren.
Mathias Pletz: Das wäre also sozusagen in der disseminierten Phase, wenn ich jetzt einige Manifestationen habe, wie zum Beispiel am Herzen, wo eine invasive Diagnostik aufgrund der Risikoabwägung, glaube ich, schwierig wäre. Wäre das ein weiterer Puzzlestein, um die Diagnose zu erhärten?
Volker Fingerle: Genau, und das ist eigentlich nur ausschließlich relevant für frühe und früh disseminierte Erkrankungen. Also man muss sich schon fragen, was soll bei einer Erkrankung, die chronisch ist, die also schon die maximale Antikörperausreifung aufweist, sich da in 2 Wochen ändern? Da tut sich nichts. Das ist genauso, wenn man Verdacht auf eine Acrodermatitis chronica atrophicans hat und die Serologie ist negativ, dann ist die Acrodermatitis mit hoher Sicherheit ausgeschlossen. Das muss man sich auch merken, nicht nur in der Serologie, grundsätzlich in der Diagnostik: Je unspezifischer die Symptome, umso höher die Wertigkeit eines negativen Befundes und umso kritischer muss ein positiver Befund angeschaut werden, weil der positive Vorhersagewert miserabel ist. Also man macht eine Serologie, das ist ja häufig so bei unspezifischen Symptomen, und dann kommt was Positives raus, dann freut man sich. Nein, würde ich dazu sagen, dann sollte man eher unglücklich sein, weil es normalerweise aufwändige Zusatzuntersuchungen nach sich zieht, um das zu verifizieren. Aber der negative Vorhersagewert ist einfach sehr sicher, weil in der Population, die man untersucht, der Erwartungswert negativ ist, weil es typischerweise keine Borreliose ist. Der negative Wert ist sehr, sehr sicher. Der positive Wert ist sehr, sehr unsicher.
Mathias Pletz: Und wenn man jetzt in der disseminierten Phase entscheidet, das könnte etwas Relevantes sein, wie würde die Therapie aussehen? Wäre die anders als in der Frühphase?
Volker Fingerle: Also grundsätzlich länger. Man empfiehlt mittlerweile bei Erythema migrans 10 Tage Doxycyclin. Manche sagen Amoxicillin, vielleicht eher 14 Tage. Da gibt es aber auch 10 Tage. Zum Beispiel sagt die DGPI für Kinder, alle Erythema migrans 10 Tage [10]. Grundsätzlich 10 bis 14 Tage und die disseminierte Form, je nachdem 14 bis 21 Tage.
Mathias Pletz: Oral oder i.v. ist dann auch die Frage.
Volker Fingerle: Grundsätzlich kann man alles mit Doxycyclin oral therapieren. Bei Augenmanifestationen weiß ich es jetzt nicht, ich glaube, da wird gern Ceftriaxon verabreicht, wenn man Verdacht auf eine Augenmanifestation hat. Ich weiß nicht, wie gut das Doxycyclin in die unterschiedlichen Bereiche vom Auge penetriert. Aber ansonsten Doxycyclin auch bei Neuroborreliose. Also Doxycyclin ist genauso wirksam wie Ceftriaxon bei Neuroborreliose. Die frühe Neuroborreliose wird von der DGN, also der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, in der S3-Leitlinie für 14 Tage empfohlen, frühe Neuroborreliose. Späte Neuroborreliose 14 bis 21 Tage [2].
Mathias Pletz: Und wenn hier jetzt keine Therapie erfolgt, geht es dann zwangsläufig in die Phase 3 über, in die chronische Phase?
Chronische Borreliose oder PTLDS: Zwei Seiten einer Medaille?
Volker Fingerle: Nein, man muss sich ja mal klar machen: Borrelien und Zecken gibt es zwischen 50 und 250 Millionen Jahre auf diesem Planeten. Das heißt, die ganze Evolution des Menschen war von Zecken und Borrelien begleitet. Könnte der Mensch nicht sinnvoll mit Borrelien umgehen, würde es uns in der vorantibiotischen Ära, die ja nicht allzu lange her ist, nicht geben. Wenn das tatsächlich so wäre, dass jedes Erythema migrans oder eine relevante Zahl der Erythema-migrans-Fälle tatsächlich in eine chronische Manifestation münden würde, dann wären Uroma und Uropa alle wegen einer chronischen Borreliose im Rollstuhl gesessen. Platt gesagt, und dem war ja glücklicherweise nicht so. Uroma und Uropa hatten alle Gärten, haben alle Gemüse angepflanzt, waren alle unterwegs, irgendwie draußen. Der Zeckenstich war keine Sensation, die im Kalender mit Kreuz markiert wurde, sondern die Zecke wurde rausgemacht und weggeschmissen. Es hat ein paar komische Vorstellungen dazu gegeben, aber insgesamt heilen ja Erythema migrans und, das muss man sagen, bis auf die Acrodermatitis und die chronische oder späte Neuroborreliose grundsätzlich alle Erkrankungsformen der Lyme-Borreliose auch ohne antibiotische Therapie aus. Warum machen wir antibiotische Therapie? Um die Erkrankungsdauer zu verkürzen, die Defektheilungen zu reduzieren, die im Einzelfall passierenden Übergänge in ein Folgestadium zu inhibieren und letztlich einfach, weil niemand mit einer akuten Bannwarth-Symptomatik mit entsetzlich grässlichen Schmerzen zwei Wochen rumsitzen und darauf warten will, bis es endlich weggeht. Wir geben dann Doxycyclin oder ein Ceftriaxon und haben innerhalb kürzester Zeit eine deutliche Schmerzbesserung.
Mathias Pletz: Die Borrelien sind ja den Treponemen relativ ähnlich und ich fand das auch als Student schon immer spannend, dass sie sich morphologisch ähnlich sind und auch die Erkrankung in drei Stadien verläuft, die man klassifizieren kann und die chronifizieren können. Und bei den Treponemen kennen wir ja auch diese Herxheimer-Reaktion, wenn man mit der Antibiotikatherapie beginnt. Muss man mit so etwas eigentlich auch bei den Borrelien rechnen?
Volker Fingerle: Also bei Rückfallfieber-Borrelien sind das die Klassiker. Bei den Lyme-Borrelien wird immer wieder von einer verzögerten Herxheimer-Reaktion berichtet. Die klassische Herxheimer-Reaktion tritt ja innerhalb von einer halben bis zwei Stunden nach Erstantibiotikagabe auf. Die Leute haben richtige Probleme, wenn man das mal gesehen hat. Bei einer Borrelia recurrentis-Infektion nimmt der Patient eine Tablette, spielt noch am Handy rum und fällt plötzlich erstarrt um, krampft also richtig eindrucksvoll. Bei der Lyme-Borreliose findet man immer wieder Verschlechterungen vom Krankheitsbild, die als verzögerte Herxheimer-Reaktion interpretiert werden. Das ist meistens nicht direkt nach der Antibiotikagabe, sondern am nächsten oder übernächsten Tag, dass man Beschwerden hat. Man muss jetzt einfach auch mal optisch dazu sagen: Wenn wir ins Blut eines Borrelia recurrentis-Infizierten reingucken, dann haben wir da bis zu 10^8 Borrelien pro Milliliter. Man sieht alles voll mit Borrelien. Wenn Sie ein Antibiotikum reingeben, zerbläst es die innerhalb kürzester Zeit und alle Substanzen werden frei. Borrelia burgdorferi findet man nirgends in so hoher Menge. Wenn Sie eine Hautbiopsie machen, dann sitzen Sie einen Tag lang dran, bis Sie eine Borrelie finden. Im Blut findet man die, wenn überhaupt, dann nur in einer kurzen Zeitspanne. Das sind zahlenmäßig sehr wenige Borrelia burgdorferi.
Mathias Pletz: Wir kommen jetzt sozusagen zu dem Part der Borreliose, wo die Gemüter häufig erhitzen. Wir hatten ja im Vorfeld schon darüber gesprochen und da gab es ja auch etwas, das ich so noch nie wahrgenommen hatte: dass Patientenverbände gegen Leitlinien geklagt haben. Das ging ja sogar bis in die Tagesschau. Die chronische Borreliose ist schwierig zu diagnostizieren, aber es gibt sie. Ich hatte mich im Vorfeld auf unsere Folge noch ein bisschen belesen. Johns Hopkins hat auch ein Borrelia Center, und die weisen auch darauf hin: Ja, es gibt die chronische Borreliose. Aber hier ist die Diagnosestellung sehr schwierig und die Diagnose wird wahrscheinlich manchmal zu schnell gestellt. Vielleicht kannst du unseren Zuhörerinnen und Zuhörern mal sagen, was aus deiner Sicht wirklich eine gesicherte chronische Borreliose ist, die therapiepflichtig ist.
Volker Fingerle: Das wäre die Acrodermatitis chronica atrophicans. Da können wir 20 oder 30 Jahre nach Beginn der Infektion dann noch lebende Borrelien nachweisen. Das ist also tatsächlich eine chronische Erkrankung, die ohne antibiotische Therapie nicht ausheilt, keine Selbstheilungstendenz hat. Und genau das Gleiche gilt für die chronische Neuroborreliose. Das sind die zwei tatsächlich chronischen Erkrankungen. Die Lyme-Arthritis gilt ja auch als chronische oder späte Erkrankungsform, wie wir mittlerweile sagen, die heilt aber im Normalfall auch von selber aus. Es dauert nur viel länger. Steere hat ja schon in den 90er Jahren eine Studiengruppe aufgestellt mit Leuten, die die antibiotische Therapie verweigert haben, versus Leute, die antibiotische Therapie zu sich genommen haben [11, 12]. Grob gesagt heilt von der nicht therapierten Gruppe jedes Jahr etwa 20% aus. Bei der Lyme-Arthritis, die antibiotisch therapiert wird, sind in Amerika ein Jahr nach Therapie 90% wieder völlig hergestellt. 10% haben eine postinfektiöse Problematik, die Antibiotic-Refractory Lyme Arthritis. Diese Situation erreicht unsere nicht therapierte Gruppe erst so etwa nach 8 Jahren. Wir haben jetzt zwei unterschiedliche Probleme: Die Antibiotic-Refractory Lyme Arthritis ist keine Lyme-Arthritis, wo die Borrelien resistent gegen Antibiotika sind, sondern wo die Symptomatik weitergeht, obwohl die Borrelien weg sind. Das ist also eine Sonderform, würde ich sagen, vom PTLDS, vom Post-Treatment Lyme Disease Syndrome. So könnte man das in etwa definieren.
Mathias Pletz: Haben bei dieser Patientengruppe dann immunmodulatorische Substanzen einen Stellenwert?
Volker Fingerle: Ja, ganz, ganz wichtig. Es gibt ja Treatment-Algorithmen, zum Beispiel von Morbach [13]. Oder Dirks hat vor kurzem eine schöne Studie zur Antibiotic-Refractory Lyme Arthritis-Pathogenese gemacht [14]. Was ist da alles möglicherweise beteiligt? Da gibt es unterschiedliche Faktoren. Schon vor 15-20 Jahren wurde in den Raum gestellt: Remnants, also Überreste von Borrelien im Bereich des Gelenks, die schwer verdaulich sind, schwer abräumbar sind, unterhalten noch über längere Zeit diese Arthritis-Symptomatik. Die neueste Situation dazu ist: Borrelien produzieren bestimmte Peptidoglykane, die schwer verdaulich sind. Normalerweise werden im Wachstumsprozess von Bakterien die Peptidoglykane einfach wiederverwertet. Man stößt sie ab und nimmt sie wieder auf und baut sie wieder ein. Die Borrelie hat kein solches System. Das heißt, sie schmeißt ihre Borrelien-Peptidoglykane einfach in die Umgebung, bei Lyme-Arthritis besonders relevant. Diese Peptidoglykane machen tatsächlich unappetitliche Entzündungen als Reaktionen, unterhalten sozusagen diese Entzündung. Gleichzeitig sieht man bei der Lyme-Arthritis zumindest so eine Art Molecular Mimicry als mögliche Ursache. Assoziiert damit sieht man noch Ausbildung von autoreaktiven T- und B-Lymphozytenpopulationen, die dann letztendlich in eine entzündliche Situation münden. Bei der Lyme-Arthritis ist die Therapievorstellung: Initial macht man eine orale Therapie, Doxy oder Amoxicillin. Wenn das nicht ausreichend hilft, macht man eine zweite Therapie, optimalerweise intravenös, also Ceftriaxon am besten, theoretisch natürlich auch Cefotaxim oder Penicillin. Wenn da keine ausreichende Response da ist, dann intraartikuläre Corticosteroide. Wenn das nicht ausreichend wirkt, dann gibt es die Disease-Modifying Antirheumatic Drugs (DMARDs), konventionelle und dann biologische DMARDs, und als Ultima Ratio die Synovektomie. Man sieht dann im Verlauf der Zeit einfach, dass die Leute von der Therapie wieder runterkommen, ohne dass sich die Arthritis wieder manifestiert. Das ist normalerweise eine Therapie, die nicht lebenslänglich ist wie in der Rheumatologie ja sehr häufig, sondern die nur eine bestimmte Zeit gemacht wird.
Mathias Pletz: Gibt es eigentlich da bestimmte Autoantikörper oder auch Lymphozytenpopulationen, die hier diagnostisch helfen können zu sagen, das ist jetzt eine chronische Borreliose?
Volker Fingerle: Das ist ja jetzt genau der Unterschied. Das ist keine Borreliose, sondern das ist eine postinfektiöse Problematik. Das ist also ganz, ganz wichtig. Das ist ja überhaupt eines der Zentralprobleme der chronischen Borreliose. Wir haben ja die ersten Studien, Klempner et al. und so, die haben ja eigentlichen PTLDS-Patienten untersucht, Post-Treatment Lyme Disease Syndrome-Patienten, also praktisch Long COVID, eine Postinfektionsproblematik. Schon in den 2000er Jahren, Anfang, Ende der 90er haben sie Studien auf die Beine gestellt, wo sie Leute eingeschlossen haben, die eine ordentliche Therapie gegen eine ziemlich gesicherte Manifestation der Lyme-Borreliose hatten und dann weiter bestehende Beschwerden. Der Duktus damals war chronische Borreliose [15-18]. Ja, jetzt wolltest du zusammenfassen.
Mathias Pletz: Genau. Ich wollte nicht zusammenfassen, sondern ich glaube, das ist eklatant wichtig. Also in diesem tertiären Stadium, wie die alte Einteilung war, oder in diesem chronischen Stadium, muss man pathophysiologisch zwei Dinge voneinander abtrennen: Die Patienten, die noch von Antibiotika profitieren, weil es tatsächlich eine Persistenz der Borrelien gibt, und diejenigen, wo die Borrelien schon längst vernichtet sind, wo Autoimmunphänomene eine Rolle spielen. Und diese Gruppe wird dann als Post-Treatment Lyme Disease bezeichnet, das ist korrekt.
Volker Fingerle: Ganz, ganz wichtig. Wobei ich noch vorsichtig sagen würde, wir können nicht sagen, dass die PTLDS-Gruppe von Autoimmunphänomenen beeinflusst wird, wir wissen es nicht. Das wissen wir nur bei der Lyme-Arthritis. Das ist, würde ich mal vorsichtig sagen, eine Sonderform eines Postinfektionssyndroms. Da haben wir bestimmte deskriptive Situationen, wo man sagen könnte, das hat damit zu tun und jenes hat damit zu tun. Und wie es genau funktioniert, weiß man auch da nicht. Aber da haben wir immerhin Erklärungsmöglichkeiten. Beim klassischen PTLDS mündet es ja nicht in ein dickes Knie, sondern in soziale Dysfunktion. Die Leute können zum Teil nicht mehr arbeiten, das sind zum Teil richtig schwer kranke Patienten. Die haben keine Gelenkprobleme, die rennen hier von Arzt zu Arzt, werden nicht ernst genommen und landen dann bei einer Selbsthilfegruppe, wo Menschen sind, die sie ernst nehmen, die die gleichen Probleme haben. Das ist also noch mal eine ganz andere Situation. Ich persönlich bin der zutiefst Ansicht, unser Hauptproblem ist immer sinnhafte Kommunikation von Anfang an. Da muss man ganz klar sagen, chronische Lyme-Borreliose muss reserviert sein für Fälle, wo noch lebende Borrelien das Problem sind. Deswegen heißt es chronische Infektion oder chronische Lyme-Borreliose. PTLDS bedeutet: Keine Borrelien mehr da, Remnants von mir aus bei der Lyme-Arthritis zum Beispiel. Und das ist ganz, ganz wichtig, dass man diesen Unterschied begreift. Wir haben genügend Studien, um zu sagen, bei Menschen, die an einem Post-Treatment Lyme Disease Syndrome leiden, macht verlängerte Antibiotikagabe zumindest im Bereich von 3 Monaten keinen Sinn. Da gibt es mindestens 5 größere Studien, die das inklusive Kontrollen nachgewiesen haben [16-20].
Mathias Pletz: Und wenn ich jetzt zum Beispiel einen Patienten habe, der mit so einem postinfektiösen Syndrom zu mir kommt, wo er vielleicht gar nicht weiß, was die zugrundeliegende Infektion war – viele denken ja nach wie vor, es sei COVID, weil jeder in den letzten Jahren mehrere COVID-Infektionen hatte – und ich kläre diesen Patienten ab und ich finde eine positive Borrelien-Serologie. Wie kann ich dann, wenn ich glaube, dass es hier einen Zusammenhang gibt, entscheiden? Es gibt vielleicht auch einen guten Plot, das ist in der chronischen Phase, deswegen werde ich hier auch nicht weiterkommen, wenn ich gepaarte Serumproben nehme, weil es die chronische Phase ist. Wie kann ich hier entscheiden, ob ich den Patienten probatorisch jetzt noch mal mit Antibiotika behandle, oder ob ich glaube, dass er eine Post-Treatment Lyme Disease hat?
Volker Fingerle: Ich denke, das ist immer eine individuelle Entscheidung. Viele von diesen Menschen kommen ja schon mit einer Tonne an antibiotischen Therapien an. Also was soll man denn noch tun, wenn jemand 3 Monate Ceftriaxon hatte, ein halbes Jahr Doxycyclin, 6 Monate oder 12 Monate Amoxicillin, Cefuroxim und alles Mögliche? Die haben ja dann Hydroxychloroquin, da gibt es alles Mögliche, auch Zeug, was nicht wirkt, was meiner Ansicht nach verwendet wird. Die kriegen das, was wir verabreichen, zum Teil in Kombination. Da ist eine Situation, wo man sagt: Okay, da braucht man eigentlich keine weitere antibiotische Therapie. Letztendlich ist meine persönliche Überzeugung, das Erste und Wichtigste ist, dass man diese Menschen ernst nimmt, wahrnimmt, dass man mit diesen Menschen kommuniziert und letztendlich eine multidisziplinäre Diagnostik und hoffentlich auch Therapie auf die Beine stellen kann. Auch Unwissen zugestehen. Wir wissen nicht, was Long COVID ist, wir wissen nicht, was PTLDS ist. Das ist einfach so. Wir machen Forschung in der Richtung und wir haben wenig Vorstellungen, immer mehr Vorstellungen, aber immer noch zu wenig Vorstellungen, um wirklich kausale Therapien auf die Beine zu stellen. Das ist ein Bereich der Medizin, wo wir sagen müssen: Wir wissen es nicht. Wenn man sich jetzt PTLDS-Prädiktoren anschaut zum Beispiel: Es ist eine schwierige Situation. Wir haben eine richtig große Studie, wo man sich das angeguckt hat, was prädisponiert jetzt eigentlich für ein Post-Lyme-Syndrom. Die haben fast 2000 Menschen aus der Normalpopulation, fast 2000 Patienten, die von einer Zecke gestochen worden sind, und über 1000 Lyme-Patienten, überwiegend Erythema migrans. Nach einem Jahr haben 27% der Erythema-migrans-Patienten ein PTLDS entwickelt, wie sie es definiert haben, aber blöderweise auch so um die 22% der Kontrollgruppe. Jetzt, was macht denn das PTLDS? Dann gucken die das genauer an und sehen: Okay, Prädiktoren sind vorbestehende Depressionen, schlechter körperlicher und sozialer Zustand, erhöhte Angstwerte, negative Krankheitswahrnehmung, Komorbiditäten, Fatigue, kognitive Beeinträchtigungen, vorbestehende Schmerzproblematik. Also das sind lauter, für uns nicht apparativ messbare Situationen. Das ist kein IL-5, IL-9, IL-16, das ist kein Interferon-Gamma. Man findet erhöhte CRP-Werte. Was fangen wir damit an? Da kommt einfach bislang nichts wirklich Verwendbares raus. PTLDS ist eine rein deskriptive Sache, wenn man sagt: Okay, diesem Menschen geht es schlechter. Und die sind noch ziemlich schwierig abzugrenzen von der in Anführungszeichen gesunden Normalpopulation.
Mathias Pletz: Ein ähnliches Problem tatsächlich wie bei Post-COVID. Da haben wir auch in Jena eine Studie publiziert [21]. Genau das Gleiche. Es gibt sicherlich einen Patientenphänotyp, der aus völliger Gesundheit heraus dann schwer gezeichnet ist, ohne dass man da im Labor was fassen kann. Es gibt aber auch einen noch größeren Teil, der Vorerkrankungen hat und im Vorfeld schon, sag ich mal, psychiatrische und neurologische Komorbiditäten aufweist und wo sich dann die schon niedrige Lebenszufriedenheit dadurch noch mal deutlich verschlechtert. Das scheinen pathophysiologisch zwei unterschiedliche Gruppen zu sein, finde ich. Ich finde es sehr spannend, dass diese Konzepte sich so wiederholen. Aber was können wir denn, wenn wir jetzt glauben, dass das ein PTLD ist? Was könnte man denn diesen Menschen anbieten?
Hilfe für Betroffene: Umgang mit dem Post-Treatment Lyme Disease Syndrome
Volker Fingerle: Also bislang rein symptomatische Therapie. Ich bin Mikrobiologe. Wenn Sie mich fragen, wie würde ich die Borrelie therapieren, kann ich es Ihnen sagen. Aber ich muss dazu gestehen, das ist nicht mein Kompetenzfeld. Ich weiß nicht, wie macht man eine sinnhafte Kommunikation, wie lenkt man den Patienten, wie gestaltet man dann die Therapie, wann schickt man die Leute in die Kältekammer, wie von mir aus bei Fibromyalgie oder so was. Wann behandelt man die mit irgendwelchen Psychopharmaka, was gibt’s da für Möglichkeiten? Das entzieht sich meiner Kenntnis, um da wirklich gute Aussagen machen zu können. Also da muss ich einfach sagen, das ist nicht mein Kompetenzfeld.
Mathias Pletz: Ja, es ist auch in der Leitlinie Post/Long-COVID [22]. Es gibt zunehmend Daten, die zeigen, dass man hier bestimmte Dinge machen kann, wenn wir da eine Analogie ziehen. Aber es gibt auch nicht das eine Wundermittel sozusagen, das diesen Menschen helfen würde. Was ich immer dem Patienten mitgebe, zumindest das geben die Daten bei Post- und Long-COVID her: Je mehr Zeit vergeht seit der Infektion, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass die Symptome dann auch wieder nachlassen.
Volker Fingerle: Ja, und das ist quasi auch so eine Analogie zu dieser postinfektiösen Arthritis, genau gleicher Verlauf. Man wartet und man sieht, dass diese Antibiotika-refraktäre Lyme-Arthritis jedes Jahr um 20% abnimmt.
Mathias Pletz: Genau, das sind so ähnliche Daten. Gibt es tatsächlich auch bei Post-Long-COVID und die kommuniziere ich dann auch immer.
Volker Fingerle: Ja, das ist eine Hoffnung und man kann den Patienten nur wünschen, dass sie zum Beispiel die Psychosomatik als Chance begreifen, nicht nur als „Um Gottes Willen, nachher habe ich eine Klatsche“. Nein, das ist eine Möglichkeit, und wenn da rauskommt, da ist nichts, umso besser. Wenn da rauskommt, da ist was, dann kann man danach gucken. Wenn man dann Psychopharmaka kriegt, kann man das ausprobieren. Man kann das jederzeit aufhören, das ist ja das Schöne an unserer Medizin. Es zwingt uns niemand, wir sind nicht im Gulag und wir werden nicht gezwungen. Ja, ich finde das wichtig.
Mathias Pletz: Das stimmt. Jetzt haben wir einen ganz langen Bogen geschlagen. Also ich fand das eine für mich sehr, sehr spannende Folge von molekularer Mikrobiologie bis zur Kommunikation von Patienten oder an Patienten mit postinfektiösem Syndrom infolge einer Borreliose aus meiner Sicht. Du kannst mich auch jederzeit gern korrigieren. Wichtig war noch mal: Erstens, nicht jeder Zeckenstich überträgt eine Borreliose und diese Postexpositionsprophylaxe, die in den USA studiert und propagiert wird, die lässt sich nicht einfach so auf die deutschen Verhältnisse übertragen und da sollte man eher sehr restriktiv sein.
Volker Fingerle: Ja.
Mathias Pletz: Dann hatten wir besprochen, dass das Erythema migrans eine Blickdiagnose ist. Wir brauchen hier keine weiteren serologischen Tests, sondern wir können gleich therapieren. Dann hatten wir über die disseminierte Phase gesprochen, also wenn Erythemata auftreten, dann sind die wahrscheinlich hämatogen gestreut. Aber hier gibt es eben auch AV-Blocks, hier gibt es die Neuroborreliose und hier muss nicht zwangsläufig im Vorfeld ein Erythema migrans vorgelegen haben. Hier brauche ich entweder eine invasive Diagnostik, also bei der Arthritis kann man das sicherlich machen. Bei der Neuroborreliose sollte man es machen und da hattest du auch über den Marker CXCL13 gesprochen, der zwar nicht spezifisch ist, aber hier sehr stark erhöht ist. Wir haben auch über die Herzbeteiligung gesprochen, da war aus klinischer Sicht nicht ein fixierter, sondern wechselnder AV-Block ein mögliches Zeichen. Diese Diagnose, wenn wir sie nicht invasiv bestätigen können, können wir über Serologien zumindest ein weiteres Puzzlestück hinzufügen und hier in der disseminierten Phase würden sich auch gepaarte Serumproben lohnen. Und dann hatten wir noch über die chronische Phase gesprochen und da war für mich die wichtigste Take-Home-Message, dass es hier pathophysiologisch zwei vollkommen unterschiedliche Gruppen gibt, die man klinisch nicht klar voneinander trennen kann. Das eine ist die chronische Borreliose, wo noch Borrelien da sind, wo ich mit Antibiotika etwas erreichen kann, vielleicht auch mit i.v. Antibiotika über eine längere Zeit. Aber es gibt auch eine Gruppe, Post-Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS), die quasi ähnlich wie Long COVID oder ME/CFS ist, und hier helfen Antibiotika nicht, weil die Borrelien schon längst weg sind. Vielleicht liegen irgendwo noch Borrelien-Bruchstücke, die das Immunsystem unterhalten. Die Menschen können schwer gezeichnet sein, teilweise verlieren sie ihre Arbeitsfähigkeit. Aber wir können ihnen kausal derzeit nichts anbieten, wir können sie quasi nur symptomatisch therapieren. Aber wichtig war die Kommunikation: Es wird wahrscheinlich besser, wie wir es auch von Long COVID kennen. Also von Jahr zu Jahr nimmt die Anzahl der Patienten, die noch hochsymptomatisch sind, ab. Habe ich das richtig wiedergegeben?
Volker Fingerle: Vielleicht noch ein Punkt, der mir persönlich immer ganz wichtig ist: Das Ernstnehmen dieser Menschen.
Mathias Pletz: Ja, ich glaube, das ist ein sehr gutes ärztliches Schlusswort. Ich finde auch immer wichtig, man muss dem Patienten zuhören und man sollte dem Patienten auch immer einen Vertrauensvorschuss geben. Es kommt ja keiner einfach so zum Arzt und die haben einen leidenden Weg, das finde ich ganz wichtig. Das war, fand ich, ein gutes Schlusswort, das du hier gesprochen hast. Gibt es noch andere Dinge? Ich frage traditionell am Ende immer noch nach sogenannten Do’s und Don’ts. Gibt es irgendwelche Dinge, wo du sagst, das soll man auf keinen Fall machen?
Volker Fingerle: Ohne entsprechende kompetente serologische Hintergrundsituation einfach Serologie nach Therapie, Serologie bei Gesunden, Serologie bei Zeckenstich oder so etwas – nein. Was mir jetzt gerade noch einfällt, was vielleicht noch vorsichtig gefehlt hat, ist die zukünftige Impfung, die wahrscheinlich bald kommt.
Zukunftsmusik: Eine Impfung gegen Borreliose am Horizont?
Mathias Pletz: Das wäre tatsächlich ein großer Hoffnungsschimmer, finde ich. In welcher Phase ist diese Impfung?
Volker Fingerle: Also die Phase 3, die wird bald aufgedeckt, die wird dieses Jahr noch ausgewertet und hoffentlich zumindest in Amerika 2026 zugelassen.
Mathias Pletz: Die können wir auch noch verlinken, zumindest den Eintrag bei ClinicalTrials.gov [23].
Volker Fingerle: Also das ist an sich eine triviale Situation. Solch eine Impfung hat man in ähnlicher Form ja schon 1998 bis 2001/2002 gehabt. Eine OspA-Impfung, und ich habe ja vorher kurz mal angesprochen, wie die Borrelie im Mitteldarm der Zecke ist, nämlich OspA-positiv. Diese Impfung basiert auf dem OspA von den sechs wichtigsten humanpathogenen Borrelien und dieses OspA wird rekombinant in der Impfung eingesetzt, also eine ganz klassische Impfung. Die induziert Anti-OspA-Antikörper und wenn die Zecke anfängt zu saugen, kommen die in den Mitteldarm und inaktivieren die Borrelien im Mitteldarm. Das heißt, es ist eine transmissionsblockierende Impfung, also die hilft nichts gegen eine Erkrankung. Also wenn man jetzt eine Lyme-Arthritis hat, hilft die Impfung nicht gegen die Borrelien, die hilft nur dagegen, dass die Borrelien von der Zecke auf den Menschen übertragen werden.
Mathias Pletz: Ganz spannender neuer Ansatz. Jetzt haben wir aber, ich glaube, das ist eine der längsten Folgen, die wir bislang aufgenommen haben, absolut gerechtfertigt, weil das so ein kontroverses Thema ist, was pathophysiologisch so wahnsinnig spannend ist. Deswegen haben wir heute auch einen großen Ausflug in die Pathophysiologie gemacht. Vielen herzlichen Dank. Ich glaube, wir haben das Thema jetzt nicht wirklich erschöpfend behandelt, aber wir haben zumindest die ganz wesentlichen Aspekte, die auch klinisch relevant sind, gut diskutiert. Du hast viele Studien genannt, auch eigene Arbeiten, die würden wir wie immer in die Show Notes stellen, auch wie gesagt den Eintrag bei ClinicalTrials.gov zu der mittlerweile wahrscheinlich sogar schon abgeschlossenen Phase-3-Studie zur neuen Borreliose-Vakzine.
Volker Fingerle: Ja.
Mathias Pletz: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank für Ihr Interesse. Bleiben Sie uns treu. Sie bekommen auch CME-Punkte, wenn Sie die Fragen beantworten und wenn Sie uns noch nicht abonniert haben, würde ich mich freuen, wenn Sie es tun. Wir freuen uns natürlich immer über Feedback, auch über Vorschläge und wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen und, wie wir auch gelernt haben, beim Kommunizieren mit Ihren Patienten.
Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!
Ihr Team von InfectoPharm.
Referenzen
1. AWMF, S2k-Leitlinie Kutane Lyme Borreliose; Registernummer 013-044.
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