consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – Folge #08 – 15.06.2024
consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast
mit Prof. Mathias Pletz
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Ausgebrannt – Therapie von Harnwegsinfektionen
Zu Gast heute:
PD PROF. DR. FLORIAN WAGENLEHNER.
Prof. Mathias Pletz …
… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Mathias Pletz.
Mathias Pletz: Willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das ist eine neue Folge von consilium infectiorum, dem infektiologischen Klinik-Podcast. Mein Name ist Mathias Pletz, und ich begrüße unseren heutigen Gast, Herrn Professor Florian Wagenlehner. Er ist Facharzt für Urologie und Direktor der Klinik für Urologie und Kinderurologie des Uniklinikums Gießen. Er ist aber auch Erstautor der S3-Leitlinie Harnwegsinfektionen [[1]], er verantwortet das Kapitel Harnwegsinfektionen unserer S2k-PEG-Leitlinie [[2]]. Er ist Sprecher einer DFG-Forschungsgruppe zu Pyelonephritis, und viele von Ihnen kennen wahrscheinlich seine hochrangig publizierten Studien zu neuen Antibiotika, denn aus infektiologischer Sicht ist die Urologie nicht nur interessant, weil es ein häufiger Fokus ist, sondern es ist auch häufig der Fokus, bei dem zuerst neue Antibiotika in Phase-III-Studien getestet werden. Und darüber wollen wir uns heute unterhalten. Herzlich willkommen, Herr Wagenlehner!
Florian Wagenlehner: Ja, lieber Herr Pletz, herzlichen Dank für die Einladung zu diesem Podcast.
Mathias Pletz: Schön, dass wir zusammengekommen sind. Es war gar nicht so leicht mit der Terminfindung. Ich werde gleich mal starten mit einer Einteilung der Harnwegsinfektion. Da besteht ja viel Unsicherheit. Wie teilt man aus urologischer Sicht die Harnwegsinfektionen ein, und wie kann man das vor allen Dingen auch klinisch voneinander differenzieren? Denn das Management unterscheidet sich ja nach dem, ob es eine komplizierte oder nicht-komplizierte Harnwegsinfektion ist.
Unkomplizierte, komplizierte Infektion? Definition im Umbruch
Florian Wagenlehner: Ja, das ist ganz korrekt. Die Harnweginfektionen, das ist auch das Interessante daran, dass sie eine ganz weite Bandbreite haben. Das heißt, es rangiert von einfachen Infektionen, die man landläufig eben unkomplizierte Infektionen nennt, bis zu den schweren und schwersten Infektionen, der Urosepsis. Und dann gibt es vielleicht noch eine Eigenheit, die sogenannte asymptomatische Bakteriurie. Das heißt, wir haben dort Bakterien, durchaus Leukozyten, aber keine Symptome. Nun, die Klassifikation hat sich über die Jahre und auch je nachdem, wo man ist und in welcher Gesellschaft man arbeitet, etwas verändert. Nach wie vor gibt es diese Einteilung eben in die „unkomplizierten Infektionen“ und die „komplizierten Infektionen“. Damit ist gemeint, letzten Endes, dass die unkomplizierten Infektionen zum einen natürlich keine komplizierenden Faktoren haben, aber auch ein sehr, sehr niedriges Risiko haben, in schwere Infektionen zu münden. Damit ist dann gemeint, als schwerste Infektionen, zum Beispiel die Urosepsis. Man hat aber auch gelernt über die letzten Jahre, dass, wenn man es zu eng fasst, dass dann natürlich alles, was nicht in die „unkomplizierten Infektionen“ hineinpasst, dann „komplizierte Infektionen“ ist, und dann ist das ein riesiger „Sack“, wenn man so will, an unterschiedlichen, sehr heterogenen Entitäten. Das ist auch nicht zweckdienlich, sodass – und das hatten wir früh in der S3-Leitlinie, die Sie angesprochen haben, schon gemacht – dass wir die „unkomplizierten Infektionen“ auch ein bisschen breiter gefasst haben. Das heißt, es waren eben nicht nur die jungen Patientinnen, sondern auch postmenopausale Patientinnen gehörten da hinein. Es gibt auch eine kleine Gruppe an jüngeren Männern, die eben keine Mitbeteiligung der Prostata haben bei der Harnweginfektion, dass die auch dort hineingehören. Auch gut eingestellte Diabetikerinnen zum Beispiel haben wir dort zusammengefasst, sodass diese Definition jetzt so ein bisschen im Umbruch ist.
Mathias Pletz: Vielleicht aus klinischer Sicht, wenn man in der Notaufnahme vor einem Patienten steht: Wie kann man denn zum Beispiel eine Pyelonephritis von einer nicht-komplizierten Harnwegsinfektion abgrenzen?
Florian Wagenlehner: Ja gut, klinisch ist meistens immer noch, sag ich mal, die Symptomatik führend. Das trifft nicht für alle Patientengruppen zu. Sie hatten die Pyelonephritis angemerkt. Manchmal ist es gar nicht so einfach und trivial, diese Infektionen tatsächlich dann auch so zu diagnostizieren, dass man weiß, wohin es gehört. Zum Beispiel, wenn Sie sich erinnern an Patienten auf der Intensivstation, wo ja Symptome gänzlich fehlen, oder Kinder, das ist auch ein problematisches Patientenklientel oder Patienten mit neurogenen Blasenentleerungsstörungen. Auch dort ist es relativ schwierig, die Symptomatik zuzuordnen. Ansonsten ist momentan straight forward natürlich so, dass die Pyelonephritis eher einen Flankenklopfschmerz und Schmerzen in der Lendengegend hervorruft. Wenn Patienten das äußern können, dann ist das schon etwas, was – ich will nicht sagen pathognomonisch ist, aber – durchaus hinweisend ist. Aber es ist nicht so ganz einfach, insbesondere wenn man ältere Patienten nimmt. Dort ist es manchmal weniger symptomatisch, sodass wir durchaus froh wären, wenn wir noch einige Biomarker hätten, die uns weiterbringen, dass wir da ein bisschen mehr an der Hand hätten als nur diese klinische Untersuchung. Trotzdem, wenn man wirklich weiterkommen will, hilft die Bildgebung heute natürlich. Sehr, sehr wichtig gerade, ich sage mal, bei Patienten auf der Intensivstation. Dort ist wirklich die Schnittbildgebung eine sehr, sehr gute, führende Diagnostik. Ansonsten Biomarker, die wir natürlich bei allen Infektionen haben, gerade bei gramnegativen Infektionen, ist das Procalcitonin, das eben bei Harnweginfektionen, bei der Urosepsis, sehr, sehr stark erhöht ist, und wenn man es richtig therapiert, sehr schnell wieder abfällt.
Bakteriurie?
Mathias Pletz: Sie haben gleich ein Thema angerissen, das wollte ich Sie unbedingt fragen. Denn wenn wir vor dem Intensivpatienten stehen und nach dem Fokus suchen bei erhöhten Entzündungswerten, dann denkt man in der Regel an die Atemwege, man denkt an die Katheter-Eintrittsstellen, also die Gefäßkatheter, und dann kommt natürlich als dritter Fokus immer noch die Harnwegsinfektion hinzu. Und Sie hatten auch gesagt, asymptomatische Bakteriurie. Das hat man ja erst in den letzten Jahren verstanden, dass man eigentlich nur behandeln muss, wenn Symptome da sind, die beim Intensivpatienten fehlen. Gibt es da eine Möglichkeit? Wenn ich eine relevante Bakteriurie beim Intensivpatienten habe und ich finde keinen anderen Fokus, kann ich dann davon ausgehen, dass das der Fokus ist? Oder würden Sie noch weitere Biomarkerkriterien fordern, um diese Diagnose zu erhärten?
Florian Wagenlehner: Ganz schwierige Frage! Sie haben es wirklich angedeutet. Wir wissen ja aus Obduktionsstudien, auch bei Intensivpatienten, dass sehr, sehr häufig dort auch eine Pyelonephritis zumindest zu finden ist. Ob das dann ursächlich ist oder nicht, bleibt mal dahingestellt. Aber ich denke, in solchen Fällen, klar: Sie haben alle Katheter, sie haben alle irgendwann eine asymptomatische Bakteriurie nach dem fünften Tag. Ob das dann der Infektfokus ist, bleibt sehr, sehr häufig offen. Und in solchen Fällen ist Schnittbildgebung, wenn es nicht die Problematik des Transports ist, dass man dafür natürlich den Patienten transportieren muss und so weiter, ich denke, dass hier eine Schnittbildgebung durchaus häufiger auch erfolgen sollte. Ansonsten bleibt momentan nicht viel übrig – es geht ja um die systemische Infektion, als sich die systemischen Infektparameter eben dort auch zu eigen zu machen. Ich denke schon, dass Procalcitonin hier ein richtungsweisender Marker ist. Wir haben das auch einmal untersucht und Pneumonie und intraabdominelle Infektionen und Harnweginfektionen gegenübergestellt. Da war es tatsächlich so, dass die Harnweginfektionen extrem hohe Procalcitonin-Level erreicht haben, was bei den anderen Infektionen gar nicht so war, sodass, wenn man einen Patienten hat mit einem hohen Procalcitonin-Wert, man schon auch immer an die Harnweginfektion denken sollte, einfach weil das durch die LPS der Bakterien ja auch im Gen getriggert wird.
Katheterwechsel und Art der Erreger
Mathias Pletz: Wir bleiben mal auf der Intensivstation. Würden Sie eigentlich dazu raten, wenn man in der Urinkultur bei den Patienten Erreger findet, dann den Katheter zu wechseln, regelmäßig zu wechseln? Das wäre eine Frage und die zweite Frage, die sich hier anschließt: Nehmen Sie bestimmte Erreger ernster als andere? Also, bei Enterokokken wird ja immer wieder diskutiert, dass es eigentlich gar nicht relevant ist. Bei Candida neigen wir auch dazu, das eher als Kolonisation abzutun. Ist das richtig? Wie gehen Sie da vor?
Florian Wagenlehner: Ja, vielleicht mal zum ersten Teil der Frage. An sich empfehlen wir: ja, dass man den Katheter wechselt, wenn es einfach zu wechseln ist. Wir haben ja unterschiedliche Urinkatheter. Die einen sind natürlich einfach zu wechseln, die nach außen hängen, sag ich mal. Aber die inneren Schienen, Ureterschienen und so weiter, das ist schon manchmal tricky. Der Patient muss dann oft in den Operationsraum. Also das muss man von Situation zu Situation, glaube ich, ein bisschen flexibel gestalten. Man muss das, glaube ich, auch nicht apodiktisch sehen, dass man immer sofort, gleich zu Anfang, den Katheter gewechselt haben muss. Aber im Verlauf macht es doch Sinn, weil man den Biofilm sonst natürlich nicht wegbekommt. Das heißt, normale Blasenkatheter würde ich schon empfehlen, im Verlauf zu wechseln.
Leading uropathogen, das ist so ein offenes Thema, in der Tat. Prinzipiell neige ich schon dazu, dass man bestimmte Erreger wichtiger nimmt als andere, also Gramnegative wichtiger als Enterokokken. Vielleicht werden wir das in Zukunft auch mit ein bisschen mehr Verständnis im Mikrobiom ein bisschen anders sehen, dass vielleicht die anderen zwar selbst nicht unbedingt die treibende Kraft sind, aber im Zusammenspiel vielleicht doch dann ihre Bedeutung haben. Momentan weiß ich nicht, ob man das so jetzt schon beantworten kann. Candida würde ich tatsächlich eher hintanstellen. Also dass wir Patienten mit invasiver Candidiasis haben, das ist extrem selten. Ansonsten sehe ich die Candida eher als Kontamination. Enterokokken, die werden häufiger, vielleicht, weil man sie auch besser nachweist durch die besseren Selektivnährböden, die ja auch in der Routine mittlerweile verwendet werden. Ob man sie ganz außer Acht lassen sollte in der Therapie, weiß ich derzeit tatsächlich auch noch nicht. Wir behandeln sie durchaus, zumindest bei schweren Infektionen, immer noch mit.
Mathias Pletz: Also, wir haben uns auf das Vorgehen geeinigt: Wir behandeln sie, wenn sie über der Kass-Zahl liegen, wenn wir eine Symptomatik haben und wenn es eine Monokultur ist. Das sind so die Kriterien, die wir für uns intern festgelegt haben.
Florian Wagenlehner: Ja, ich meine, insgesamt, wenn sie sensibel sind und Ampicillin alleine geht, dann ist das auch nicht so das Problem. Wo ich das Problem sehe: Man hat so mittelgradig resistente gramnegative Erreger, dann ist noch irgendwie der Enterococcus dabei. Ich würde, das erkläre ich zumindest meinen Assistenzärzten immer, lieber dann zwei Engspektrum-Antibiotika nehmen, also Ampicillin für den Enterococcus, und vielleicht geht ja für den E. coli auch irgendetwas, das ein bisschen enger ist, sodass man eben wirklich auch hier versuchen muss, möglichst Antibiotic Stewardship zu leben.
Spezialfall Candidämie und gleiche Candida-Spezies im Urin
Mathias Pletz: Und jetzt ein Spezialfall: Angenommen, Sie haben einen Patienten mit einer Candidämie und die gleiche Candida-Spezies ist auch im Urin, sodass man hier zumindest sanieren möchte. Man würde den Katheter wechseln. Aber kann man da mit einem Echinocandin behandeln? Ist das ausreichend? Ich hab ja de facto eigentlich keine richtige Penetration in die Blase. Oder muss ich dann immer zwangsläufig ein Azol mit dazunehmen?
Florian Wagenlehner: Also prinzipiell nehmen wir lieber das Azol, wenn man dort tatsächlich auch eine Sensibilität hat. Einfach auch wegen der Pharmakokinetik, man denkt zumindest, dass es besser wirkt. Gute, ganz gute klinische Studien dazu gibt es gar nicht, und wir sehen ja die Candida-Infektionen in den letzten Monaten, Jahren deswegen vermehrt, weil es die neuen Antidiabetika, die SGLT2-Inhibitoren gibt, die tatsächlich – zumindest haben wir den Eindruck – ein bisschen mehr Candida-Infektionen oder -Kontaminationen zumindest machen.
SGLT2-Inhibitoren, Nitroxolin und Glukosurie
Mathias Pletz: Das wollte ich Sie auch fragen. Das ist tatsächlich, glaube ich, eine Entwicklung im Bereich der Kardiologie, die lebensrettend ist, aber die man sich erkauft mit vielen Patienten, die Harnwegsinfektionen oder überhaupt auch Hautinfektionen im genitoanalen Bereich haben, wahrscheinlich erklärt durch den hohen Zuckergehalt des Urins, der dann einen guten Nährboden bildet für die Erreger. An der Stelle vielleicht eine Frage: Wenn Candida hier eine häufige Rolle spielt und man nicht mit Azol therapieren möchte, dann gibt es ja noch das Nitroxolin, also ein ganz altes, deutsches Harnwegsantiseptikum – zugelassen aufgrund von ganz wenigen Daten, muss man sagen – ist aber in der roten Liste aufgeführt, ist zugelassen und hat einen noch nicht ganz verstandenen, aber sehr breiten Wirkmechanismus. Was ist Ihre Meinung dazu? Gerade Candida ist manchmal ein bisschen schwierig zu behandeln, oder wenn man über rezidivierende Harnwegsinfektionen spricht und spricht über eine Prophylaxe, dann wird es auch schwer, aber das Nitroxolin bietet sich da quasi an. Haben Sie Erfahrung damit, oder was halten Sie davon?
Florian Wagenlehner: Ja, durchaus. Wir nehmen Nitroxolin auch zur Prophylaxe. Das ist ja durchaus auch ein in Jena sehr, sehr gut beforschtes Antibiotikum, und es ist eben eine eigene Klasse. Das heißt, es induziert auch keine – zumindest, was wir wissen, keine Kreuzresistenzen. Es hat auch die Zulassung in der Therapie der unkomplizierten Zystitis. Dafür haben wir es auch in den Leitlinien empfohlen. Und es hat eben zusätzlich auch eine Wirkung gegenüber Candida, bestimmten Candida-Spezies, sowohl in der Therapie als auch in der Prophylaxe. Das ist ein wirklich wichtiges Antibiotikum, das man unter bestimmten Voraussetzungen durchaus auch nehmen soll und nehmen kann. Nun, für die schwere Infektion glaube ich nicht. Da ist es sicherlich nicht bakterizid genug, aber ich sage mal, für rezidivierende Candida-Zystitiden zum Beispiel und auch für die Prophylaxe ist es sicherlich ein sinnvolles Antibiotikum. Meine persönliche Erfahrung ist eigentlich in dieser Indikation gut, das heißt, man kann es durchaus verwenden. Vielleicht nochmal ein Sprung zurück zu den SGLT2-Inhibitoren. Man hat ja immer gedacht, dass die Glucosurie dann auch die Harnwegsinfektionen begünstigt. Die Evidenz dazu ist eigentlich nicht vorhanden. Alle Studien in diesem Bereich, und das ist ja in vielen Indikationen mittlerweile, nicht nur beim Diabetes, sondern auch der Herzinsuffizienz usw., haben gezeigt, dass die Harnweginfektionen tatsächlich nicht erhöht sind, aber dass die Candida-Infektionen erhöht sind. Wir haben immer mal wieder Patienten, die wirklich dann zwar keine invasiven Candida-Infektionen haben, aber doch durchaus hartnäckig zu therapierende Harnweginfektionen. Dann bilden sich eben Candida-Bälle, so richtige größere Candida-Formationen, die man teilweise operativ ausräumen muss. Dort ist es wirklich ratsam, dass man sich nochmal das Antidiabetikum anguckt. Wenn, so machen wir es derzeit, ein SGLT2-Inhibitor in der Medikamentenliste ist, dass wir den absetzen und durch ein anderes Antidiabetikum ersetzen oder ersetzen lassen.
Mathias Pletz: Sie hatten schon über die Pathophysiologie kurz gesprochen. Die Glucosurie erhöht nicht unbedingt die Harnwegsinfektionen, aber Harnwegsinfektionen durch Candida.
Florian Wagenlehner: Ja, korrekt. Das ist in den vielen Studien gezeigt, es gibt ja hochrangige Studien auch mit vielen Patientenzahlen. Es ist so, dass die Harnweginfektionen generell gegenüber den anderen Armen nicht erhöht sind, aber die Candida-Infektionen im Genitalbereich und auch in der Blase offensichtlich. So sehen wir das auch immer mal wieder. Es gibt sicherlich begünstigende Faktoren. Patienten, die Dauerkatheter haben, zum Beispiel, sind solche Risikopatienten. Also, das findet man doch immer mal wieder.
Mathias Pletz: Danke auch für den Hinweis. Nitroxolin, das haben wir tatsächlich auch in unserer geriatrischen Studienpopulation gesehen, kann nicht immer tatsächlich den Progress zu einer Pyelonephritis aufhalten. Das ist wirklich nur für leichte Harnwegsinfektionen geeignet. Ja, das war schon sehr, sehr spannend. Ich habe auch viele Fragen, die ich persönlich mit mir herumgetragen habe, gerade hier und jetzt gut loswerden können.
Beteiligung der Prostata
Mathias Pletz: Wir verlassen mal die Intensivstation und gehen zu einem anderen Spezialfall. Generell wollen wir bei Harnwegsinfektionen sehr kurz behandeln, außer wenn bei Männern die Prostata betroffen ist. Dann muss länger behandelt werden, und dann muss unter Umständen auch ein anderes Antibiotikum gewählt werden. Wie kann ich denn klinisch auf die Idee kommen, dass hier vielleicht eine Prostatitis vorliegt?
Florian Wagenlehner: Das ist auch nicht ganz einfach. Natürlich gibt es die schwergradige Prostatitis, die dann wirklich in Symptomatik mündet. Das ist nochmal ganz etwas anderes, die akute Prostatitis, vielleicht sogar einhergehend mit einem Harnverhalt. Das ist aber so bei den normalen Harnweginfektionen nicht unbedingt immer zu sehen. Das heißt, das ist relativ selten. Die Mitreaktion der Prostata äußert sich dann, wenn man den PSA-Wert bestimmt, das prostataspezifische Antigen. Das macht aber nur Sinn, wenn man Vorwerte kennt, man weiß ja meist den individuellen, spezifischen PSA-Wert des Patienten gar nicht. Bei der akuten Prostatitis ist er dann extrem hoch. Er geht dann in die 20, 30, 50, 70 ng/ml. Aber wenn er leichtgradig erhöht ist, dann kann man das tatsächlich nur vergleichen mit einem Vorwert. Viele Patienten wissen das mittlerweile. Ansonsten gibt’s da auch keinen eindeutigen spezifischen Marker, um die Mitreaktion der Prostata zu beurteilen. Wenn es eine akute Prostatitis ist, ja, wie gesagt, dann ist die Symptomatik dahingehend auch führend. Und wenn Patienten eben Schmerzen im Beckenbereich hier angeben, im Dammbereich hier angeben, dann muss man auch daran denken.
Mathias Pletz: Und würden Sie dann die Diagnose aufgrund der Klinik stellen? PSA-Wert kann man sich ansehen. Woran machen Sie dann fest, ob Sie den Patienten entsprechend länger behandeln? Bei der Prostatitis ist es ja deutlich länger als eine Woche, die man da behandeln muss. Am Verlauf, an der Dynamik der Symptome oder woran machen Sie es fest?
Florian Wagenlehner: Ja, wir machen es schon an den Symptomen fest, letzten Endes, wenn er diese typischen Symptome, das sind eben diese Schmerzen im Dammbereich, wenn er vielleicht sogar einen Harnverhalt hatte, wenn er das erhöhte PSA hatte. Und das ist wirklich nicht immer einfach, die müssen ja dann – man weiß nicht, ob drei Wochen oder vier Wochen, aber in dieser Region – sollten sie dann eben verlängert behandelt werden, damit es nicht in eine chronisch bakterielle Prostatitis mündet. Da gibt’s auch gute Daten, dass man dadurch das dann auch verhindern könnte. Also, man hat da schon eine Verantwortung. Das eine sind 5–7 Tage und das andere sind eben dann gleich 3 Wochen, wobei es tatsächlich letztes Jahr eine ganz schöne Studie gab aus Frankreich, die fieberhafte Harnweginfektionen verglichen hat bei Männern, eine Woche gegen zwei Wochen, und da war zwei Wochen tatsächlich auch überlegen. Das heißt, hier ist man jetzt doch wieder bei Männern so ein bisschen vorsichtiger. Wahrscheinlich hat doch ein Großteil dieser Männer eine begleitende Prostatitis, die dann durch eine längere Therapie besser läuft, als wenn man sie zu kurz therapiert.
Mathias Pletz: Gibt es typische Risikofaktoren, wenn ein Mann sich mit einer Harnwegsinfektionen vorstellt? Anamnestisch oder aufgrund der Komorbiditäten, wo ich an eine Prostatitis denken muss?
Florian Wagenlehner: Ja, so richtig herausgearbeitet nicht, aber eine größere Prostata, Miktionsbeschwerden vorher schon, das ist etwas, was es begünstigt, weil allein der hohe Druck beim Wasserlassen schon zu einem Influx von Urin in die Prostata führt. Und wenn der dann noch infiziert ist, dann ist das durchaus etwas, was dem wahrscheinlich Vorschub leistet. Das sind so pathophysiologische Eigenheiten, die wir kennen, und so ein hoher Druck kann natürlich durch die hohe Prostata entstehen. Es kann auch mal durch eine Koordinationsstörung im Beckenboden bei jüngeren Patienten entstehen. Das führt dann durchaus dazu, dass sich so ein Organ wahrscheinlich eher infiziert.
Diagnostische Basics
Mathias Pletz: Kommen wir als Nächstes einmal zur hauptdiagnostischen Methode, zu den Urinstix. Da gibt es ja auch immer viele Mythen und Unsicherheiten. Wie muss ich diesen Urinstix lesen? Also, welchen Stellenwert hat das Nitrat? Welchen Stellenwert haben die Bakterien im Urin? Was mache ich, wenn ich Bakterien nachweise, aber kein Nitrat finde? Und die Leukozyten? Wie gehen Sie damit um? Also einfach mal so die Basics sozusagen, nachdem wir die ganz komplexen Situation gleich zu Beginn besprochen haben.
Florian Wagenlehner: Ja, gut, Urinstix ist ein altes Diagnostikum, sage ich mal. So ganz schlecht ist er nicht. Man könnte ihn sicherlich heutzutage ein bisschen besser machen. Ich hoffe, da gibt’s in der Zukunft auch ein paar Verbesserungen. Letzten Endes fordern wir mittlerweile ja schon, dass wir für die Diagnostik einer Harnweginfektion neben der reinen Mikrobiologie auch irgendeine Wirtsantwort feststellen wollen. Ob das Leukozyten sind, ob das – wenn man mehr sophisticated gehen will, ob das – Zytokine sind, aber irgendeine Wirtsantwort wollen wir. Mittlerweile geht es durchaus auch dahin, dass man sieht, dass die alten Grenzen von Leukozyten, 10/µl, dass das vielleicht ein bisschen zu kurz gegriffen ist. Eine Forschungsgruppe aus den Niederlanden hat sich damit ein bisschen mehr befasst und sie zeigen jetzt doch, dass höhere Leukozytenzahlen, die man exakt mit der Flowcytometrie, die ja in den Kliniken durchaus überall verfügbar ist, sehr exakt messen kann, dass hier Grenzwerte von 100 oder 200 Leukozyten/µl wahrscheinlich eher zielführend sind [[3]]. Aber generell fordern wir natürlich neben den Bakterien auch die Leukozyten und die Symptome, lokale Symptome. Und, wenn es eine schwerere Infektion ist, eben auch systemische Symptome. In diese Richtung sollte sich mittlerweile auch die Definition und Diagnostik der Harnweginfektionen richten. Dass es eben ein Konglomerat von Zeichen ist – klinischen Zeichen und Laborzeichen – das dann zur Diagnostik der Harnweginfektion führen sollte. Nitrit, ja, gut, das ist durchaus ein wertvoller Marker. Nicht alle Bakterien produzieren es, das wissen wir, nicht in allen Situationen. Auch bei der Zystitis, wenn die Verweildauer zu kurz ist, kann es auch falsch-negativ sein. Wenn es positiv ist, kann man es gut verwerten. Wenn es negativ ist, ist es eben nicht gut verwertbar. So glaube ich, kann man damit umgehen. Die Leukozytenesterase ist im Vergleich zur Flowcytometrie ein bisschen schlechter, aber nicht ganz schlecht. Also, das kann man durchaus verwenden, sodass es nach wie vor seinen Stellenwert hat, denke ich, der Status und der Stix.
Diagnostic Stewardship
Mathias Pletz: Würde eigentlich ein positiver Urinstix mit Bakterien, mit Nitrit und mit Leukozyten in Abwesenheit von Symptomen – zum Beispiel bei einem geriatrischen Patienten, wo sich das Problem häufig stellt – würde das schon eine Therapie rechtfertigen oder würden Sie weitere Symptome fordern?
Florian Wagenlehner: Nee, das rechtfertigt keine Therapie. Das ist auch so ein typisches Zeichen einer asymptomatischen Bakteriurie. Bei einem geriatrischen Patienten ist es manchmal schwierig die Symptome einzuschätzen. Aber wie gesagt, auch in der asymptomatischen Bakteriurie haben wir eben, zumindest niedrigschwellig, Zeichen der Immunantwort, wenn man so will. Da sind wir mit den normalen Leukozyten noch nicht so weit, ob man das auch unterscheiden kann. Aber solange, sag ich mal, keine deutlichen Symptome zu sehen sind, würde man eher abraten von einer antibiotischen Therapie. Das wurde auch kürzlich erst in einer größeren amerikanischen Studie, die in JAMA publiziert wurde [[4]], gezeigt. Das geht eben in die Richtung Diagnostic Stewardship. Man hat dort die Urine dann gar nicht weiter untersucht, und es eben den Behandlern gar nicht widergespiegelt, was da herauskam. Das alleine nur hat geholfen, die Antibiotikatherapien zu reduzieren. Wenn man nur immer wieder geschult hat, hat man trotzdem 80 % dieser Patienten mit der asymptomatischen Bakteriurie unnötig antibiotisch therapiert. So haben wir es auch in der Leitlinie empfohlen und auch beschrieben, dass man alleine nur, weil der Urin komisch aussieht, komisch riecht, man am besten gar keine Untersuchung anstoßen sollte, weil es dann unweigerlich irgendwie zur Therapie führt. Häufig sind sie multiresistent. Die Patienten kommen dann ins Krankenhaus oder werden gesendet und sollten dann i.v.-therapeutisch, am besten noch mit einem Carbapenem therapiert werden. Also, das ist eben immer diese Kaskade, die man am besten schon möglichst ganz zu Anfang unterbricht.
Mathias Pletz: Das ist eine sehr wichtige Studie. Vielen Dank für den Hinweis. Die hatten wir auch schon identifiziert für unsere Zeitschrift für Infektionstherapie und eigentlich ein Paradebeispiel dafür, dass man mit Diagnostic Stewardship bei bestimmten Indikationen genauso viel erreichen kann wie mit Antibiotic Stewardship, weil man noch früher einsetzt. Also, wir werden diese Studie in den Shownotes verlinken. Die ist absolut lesenswert.
Kalkulierte Therapie und die neue Leitlinie
Mathias Pletz: Als Nächstes würde ich mit Ihnen gerne über die kalkulierte Therapie sprechen. Wenn wir jetzt in der Hausarztpraxis beginnen – die neue Leitlinie, die Sie schon fertiggestellt haben, liegt gerade noch bei der AWMF. Vielleicht können Sie uns trotzdem ein Sneak-Preview geben und sagen, was jetzt in der neuen Leitlinienversion für die ambulant therapierte Harnwegsinfektion die erste Wahl ist.
Florian Wagenlehner: Ja, die Leitlinie hat, wie Sie sagen, die ambulant erworbenen oder zu therapierenden Harnwegsinfektionen zugrunde. Dazu gehört zum Beispiel die Therapie der unkomplizierten Zystitis, auch die Prävention der rezidivierenden unteren Harnweginfektion und die sogenannte unkomplizierte Pyelonephritis. Das trifft nicht überall auf Wohlwollen, dass es auch unkomplizierte Pyelonephritiden gibt. Damit ist die Aszendierende bei der normalen Frau gemeint, die keine Risikofaktoren hat, die aszendierende Pyelonephritis und wir hatten ein zusätzliches Kapitel hineingenommen: die geriatrischen Patienten, also die ambulant zu therapierenden geriatrischen Patienten. Nun, wenn wir bei der unkomplizierten Zystitis bleiben, was hat sich so geändert? Man muss sagen, relativ wenig in der Antibiotikatherapie. Gottseidank sind dort wirklich die Resistenzraten über die letzten Jahre fast komplett konstant geblieben. Es gibt ja nicht immer gute Daten dazu, auch wenn sie so häufig ist, die unkomplizierte Zystitis, aber zum Beispiel gab es eine große Studie, die REDARES-Studie [[5]], die eben ganz speziell diese Entität untersucht hat. Wir hatten auch einige Untersuchungen dazu gemacht. Da hat sich wirklich gezeigt, dass die typischen 4 Antibiotika, die in erster Linie zur Therapie der unkomplizierten Zystitis empfohlen werden – also Fosfomycin/Trometamol, Nitrofurantoin, Nitroxolin, Pivmecillinam – komplett sensibel geblieben sind, also sehr, sehr niedrige Resistenzraten hatten. Wir haben da als Grenze, sag ich mal, 20 %. Diese 4, die liegen deutlich unter 10 %, sodass sie als erste Linie auf alle Fälle empfohlen werden. Das Trimethoprim hat so ein bisschen höhere Resistenzrate, liegt aber auch noch unter 20 %. Das ist regional etwas unterschiedlich, sodass das auch gewissermaßen in die First-line-Therapie fallen kann, mit Ausnahme der Patientinnen, die rezidivierende Zystitiden haben. Dort ist die Resistenzlage in dem Bereich tatsächlich höher. Alle anderen Antibiotika sollten eigentlich nicht verwendet werden. Dazu zählen die Cephalosporine und die Fluorchinolone, bei den Fluorchinolonen auch noch wegen der Nebenwirkungen, aber eben auch wegen des Kollateralschadens, den diese beiden Antibiotika dann bringen. Also, das ist, glaube ich, für die Antibiotika-Primärtherapie eine ganz gute Zusammenfassung.
Mathias Pletz: Eine kurze Zwischenfrage: Fosfomycin, diese Einmalgabe. Da gibt’s ja auch Studien, die legen nahe, dass man vielleicht am 3. Tag nochmal gibt. Einige sagen auch, man muss doch über 3 Tage therapieren. Hat sich die Leitlinie dazu geäußert?
Florian Wagenlehner: Ja, wir haben das tatsächlich im Detail untersucht, und es gibt mehrere Metaanalysen, die sich tatsächlich damit befasst haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass doch die einmalige Gabe ausreicht. Ich bekomme auch immer wieder Rückmeldungen, insbesondere von niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, dass dort häufiger Therapieversager sind. Das ist in der Literaturevidenz nicht herauszufinden. Wir haben das wirklich im Detail angeguckt und sind bei der Einmalgabe geblieben, weil die Evidenz, hochrangige Evidenz, das einfach so nahelegt. Evidenz ist auch ein gutes Stichwort, weil mittlerweile die Strategie mehr und mehr Eingang findet, ob man die unkomplizierte Zystitis überhaupt antibiotisch therapieren muss. Da gab es auch schon bei der letzten Fassung der Leitlinie erste Studien, die nicht in Frage gestellt haben, aber die Evidenz gezeigt haben, dass doch ein großer Anteil von Patientinnen auch mit Nicht-Antibiotikapräparaten, dazu gehören, zum Beispiel nicht-steroidale Antirheumatika, zum Beispiel Diclofenac, Ibuprofen, aber auch bestimmte phytotherapeutische Substanzen. BNO 1045 zum Beispiel ist so etwas. Da hat sich die Evidenz wirklich deutlich verstärkt. Es gibt eine Reihe von randomisierten Studien, es gibt sogar einen, wo wir auch beteiligt waren, einen individual patient metaanalysis report [[6]]. Das ist ja leitlinientechnisch die höchste Evidenzstufe, die auch wirklich zeigt, dass, wenn man alles zusammennimmt, ungefähr zwei Drittel der Patientinnen in der akuten Phase ohne Antibiotikum therapiert werden können. Es gibt natürlich Therapieversager in bis zu einem Drittel der Fälle, aber trotzdem könnte man dort in zwei Drittel der Fälle auch ohne Antibiotika therapieren, und das ist schon ein guter Weg. Das muss man mit den Patientinnen besprechen, sie dazu beraten. Viele sind bereit, das zu gehen. Man muss auch besprechen, dass die Pyelonephritisrate leicht erhöht ist. Normalerweise ist sie bei 0,5 %. In den Nicht-Antibiotikabereichen ist es dann ungefähr 2 %. Also sie ist schon erhöht, aber trotzdem noch in einem unserer Meinung nach niedrigen Bereich. Da ist die Evidenz einfach deutlich besser geworden, sodass man das auch mehr empfehlen kann. Dann für die unkomplizierte Pyelonephritis ist es so: Da hat sich in der oralen Therapie leider nicht viel verändert, einfach weil wir wenig orale Therapeutika haben. Das ist einfach das Problem. Da gibt es wenig oral wirksame Medikamente. Was bleibt, sind die Fluorchinolone, die nach wie vor dort ihren Einsatz haben, bei der unkomplizierten Pyelonephritis, und als orales Cephalosporin leider nur das Cefpodoximproxetil. Das ist natürlich im Vergleich zu intravenösen Cephalosporinen deutlich niedriger dosiert. Das ist deutlich niedriger dosiert. Hier brauchen wir wirklich neue Medikamente, die man auch in resistenten Fällen oral vielleicht besser einsetzen kann. Ob jetzt die oralen Carbapeneme, die ja durchaus auch in Studien getestet wurden, da das richtungsweisende Medikament sind, weiß ich aus Antimicrobial Stewardship-Aspekt nicht unbedingt. Trotzdem braucht man hier einfach etwas, das es uns so ein bisschen oral erleichtert, denn die meisten dieser Patientinnen werden natürlich auf Outpatient-Basis noch behandelt.
Behandlung ohne Antibiotika
Mathias Pletz: Ganz kurz eine Zwischenfrage. Sie hatten schon darauf hingewiesen, die Studien mit Ibuprofen, zum Beispiel, versus Antibiotikum, dass zwei Drittel der Patientinnen damit auch gut behandelt werden können, aber dass die Rate für Pyelonephritis etwas erhöht ist im Ibuprofen-Arm. Das hatte ich mal mit Jutta Bleidorn diskutiert, die ja auch die Ordinaria bei uns in Jena am Institut für Allgemeinmedizin ist und einige dieser Studien geleitet hat, und sie meinte: ‚Mittlerweile suchen wir danach, einen Patientenphänotyp sozusagen herauszuarbeiten, von dem wir wissen, der schreitet definitiv nicht vor zur Pyelonephritis oder der hat ein erhöhtes Risiko‘, um eben diese Ibuprofentherapie, die ja bislang draußen, glaube ich, kaum gemacht wird, oder sehr wenig umgesetzt wird, noch sicherer zu machen. Gibt es da neue Erkenntnisse?
Florian Wagenlehner: Ja, wir hatten eben in dieser individual patient data metaanalysis versucht, Phänotypen rauszuarbeiten, auch mit Frau Bleidorn und Frau Gágyor, die insgesamt diese Studien mit durchgeführt haben. Auch wir hatten in einer Studie mit BNO 1045, also dem Canephron, versucht es herauszubekommen. So ganz straight forward gibt es noch keine phänotypischen Kriterien. Was vielleicht ein Kriterium ist, das hat sich immer wieder gezeigt, ist Hämaturie. Also Patientinnen, die ein hämorrhagische Zystitis haben, die würden wahrscheinlich doch eher von einer Antibiotikatherapie profitieren. Aber bisher hatten wir das nicht eindeutig festlegen können. Da war auch diese Metaanalyse offen geblieben. Was wahrscheinlich pragmatisch ist, das ist ja auch gezeigt worden, dass die Patienten dann eine delayed prescription haben, also dass sie das Antibiotikum erst dann nehmen würden, wenn sie wirklich Therapieversager sind oder weitere Beschwerden haben. Wird eine Aufgabe sein für die Zukunft. Das wäre natürlich sehr, sehr schön, wenn man gleich zu Beginn sagen könnte, du bekommst das Antibiotikum und du brauchst es nicht, du kannst letzten Endes mit einem Nicht-Antibiotikum therapiert werden. Da bleibt noch ein bisschen Weg vor uns. Ganz so einfach ist es noch nicht gewesen, aber vielleicht findet man tatsächlich etwas in der Zukunft. Vielleicht gibt’s zusätzliche Biomarker, die man hierfür im Urin irgendwann einmal herausfindet.
Mathias Pletz: Das wäre schön, das dann als Point-of-care-Test natürlich!
Florian Wagenlehner: Korrekt. Ja, korrekt, das muss alles point of care sein. Ansonsten hilft es für die Versorgung dieser häufigen Infektionen relativ wenig.
Sprecher: Bevor es gleich spannend weiter geht, möchten wir Ihnen kurz unsere Lernplattform Wissen wirkt vorstellen. Hier finden Sie Publikationen wie hochwertige Themenhefte und Fragen- und Antwortenhefte, Videos, Podcastfolgen und Sie können die dazugehörigen CME-Module direkt bearbeiten. Laden Sie die App Wissen wirkt für Android und Apple auf Ihr Smartphone oder Tablett herunter oder besuchen Sie die Website www.wissenwirkt.com für weitere Informationen. Die Links finden Sie auch in den Shownotes. Jetzt wünschen wir Ihnen eine interessante Fortsetzung der Podcastfolge von consilium infectiorum – dem infektiologischen Klinik-Podcast.
Kalkulierte i.v.-Therapie
Mathias Pletz: Ich hatte Sie allerdings unterbrochen. Sie wollten über die kalkulierte i.v.-Therapie bei der Pyelonephritis sprechen, was wir da für Therapieoptionen haben. Vielleicht können Sie dabei auch gleich darauf eingehen, ob man die Kolonisationsbefunde – einige Patienten sind ja Patienten, die vorher hospitalisiert waren, heutzutage wird ja auch sehr viel gescreent und man hat zum Teil dann schon Einsicht in die Akten des vorhergehenden Krankenhausaufenthaltes. Was muss man da berücksichtigen bei der Therapie?
Florian Wagenlehner: Wenn man Vorbefunde hat, mikrobiologische Vorbefunde hat, dann hilft es einem natürlich schon. Das passt jetzt nicht so unbedingt in die Entität der unkomplizierten Pyelonephritis, weil die natürlich eher spontan auftreten. Das sind dann eher die Patienten, die rezidivierende Pyelonephritiden haben. Die haben dann üblicherweise komplizierende Faktoren, entweder Steine oder Ureterschienen oder andere Katheter. Dann weiß man zumindest, hier ist zum Beispiel ein Pseudomonas, der ja ganz anders therapiert werden muss, oder ein sensibler E. coli oder ein E. coli mit dem einem ESBL. Ich denke, auch wenn die Datenlage nicht so gut ist, dass man diese Vorbefunde durchaus in das Kalkül der kalkulierten oder empirischen Therapie hineinnehmen muss und ansonsten, wenn solche Risikofaktoren nicht vorliegen, man auch durchaus enger therapieren kann. Für die unkomplizierte Pyelonephritis spielen in erster Linie neben den Fluorchinolonen i.v., die man da vielleicht nicht unbedingt immer gleich an erster Stelle geben muss, zum Beispiel Cephalosporine i.v. eine Rolle, und durchaus auch, und da gibt’s ja auch eine schöne Studie, auch das Temocillin [[7]]. Wenn man hier zum Beispiel Antimicrobial-Stewardship-Aspekte in den Vordergrund stellen will und eine Entwicklung resistenter Erreger oder Clostridium difficile im Darm verhindern will und zum Beispiel auch ESBL-Bildende, also Schmalspektrum-, ich sage jetzt mal ESBL-bildende Bakterien auch im Kalkül hat. Also das sind letzten Endes die Antibiotika, die man dort verwenden kann, bevor man wirklich auf die ganz breiten Antibiotika wie Carbapeneme oder die Reserveantibiotika, die geschützten Cephalosporine oder die neuen Cephalosporine gehen muss. Hier, glaube ich, gibt es durchaus verschiedene Ebenen, und ja, wo steige ich ein? Da spielen natürlich die Patienten-Begleitfaktoren durchaus eine große Rolle. Wie man die einsetzt, ist nach wie vor nicht so ganz klar. Aber ich habe so ein bisschen erwähnt, man kann durchaus an den Phänotypen, also Katheter und anderen Phänotypen, vielleicht sich so ein bisschen entlanghangeln. Auch hier spielt sicherlich die Point-of-care-Diagnostik in der Zukunft eine große, große Rolle, einfach weil diese Patienten so häufig sind.
Mathias Pletz: Sie haben auch über die neuen, geschützten Beta-Laktam-Antibiotika gesprochen, also die mit Carbapenemase-Inhibitoren zum Beispiel, und dazu hatten Sie ja auch sehr hochrangige Studien publiziert [[8]]. Momentan würden wir die aber wahrscheinlich nur einsetzen, wenn wir tatsächlich einen Erreger mit Carbapenemresistenz nachweisen, so wie es der gemeinsame Bundesausschuss der qualitätsgesicherten Anwendung dieser neuen Reserveantibiotika auch vorsieht. An der Stelle vielleicht noch eine Frage. Es gibt ja jetzt auch bald das neue Cefepim/Enmetazobactam, das nicht alle Carbapenemasen hemmt. Wie würden Sie das einschätzen? Wo hat das für Sie den Stellenwert?
Florian Wagenlehner: Ja, Cefepim/Enmetazobactam hat ja in der Studie besser „performt“, sag ich mal, als Piperacillin/Tazobactam. Es wurde ja eben nicht mit einem Carbapenem verglichen, sondern mit Piperacillin/Tazobactam. Das ist ja durchaus wichtig. Ich persönlich würde es dort einsetzen, vor dem Carbapenem. Wahrscheinlich wird’s, weil die Regularien für die Reserveantibiotika so ein bisschen anders sind, am Ende vielleicht doch nicht dort seinen Einsatz finden. Aber generell, da es besser als Piperacillin/Tazobactam ist, bevor man vielleicht das Carbapenem einsetzt, wär es durchaus dort meiner Ansicht nach ein ganz guter Einsatz. Es hat offensichtlich eine bessere Bindung als das Tazobactam an den Beta-Laktamasen und könnte durchaus hier diese Brücke machen. Ich würde es nicht nach den Carbapenemen sehen, muss ich sagen. Aber gut, das wird die Zukunft zeigen. Es sind ja durchaus regulatorische Parameter, wo es dann wirklich hingeschoben wird.
Aminoglykosid-Monotherapie, Fosfomycin-Monotherapie, Alternative?
Mathias Pletz: Wir hatten in einer unserer Podcastfolgen auch die ESCMID-Guidelines zur Therapie von multiresistenten Gramnegativen, die ja sehr, sehr umstritten ist auch, weil sie sehr viel auf alte Substanzen setzt. Aber etwas, was einem bei einem Carbapenem-resistenten Gramnegativen mit einem Fokus Harnwegsinfektion sofort einfällt, ist natürlich das Aminoglykosid. Da haben wir nach wie vor recht gute Resistenzraten. Wir wissen, die Aminoglykoside penetrieren sehr schlecht, aber nun gerade die Harnwege penetrieren sie ziemlich gut. Was halten Sie davon? Also, die ESCMID hält es für eine Möglichkeit. Würden Sie bei einer Pyelonephritis mit Verdacht auf einen Carbapenem-resistenten Gramnegativen eine Aminoglykosid-Monotherapie machen?
Florian Wagenlehner: Ja, da muss ich tief Luft holen aus folgendem Grund: Weil die Aminoglykosid-Monotherapie eigentlich in klinischen Studien nicht gut gezeigt wurde. Die ganzen alten Studien mit den alten Aminoglykosiden waren alle so aufgebaut, dass zumindest eine Cephalosporin-Antherapie stattgefunden hat, und dann wurde mit dem Aminoglykosid weitertherapiert. Nun haben wir ja vor einigen Jahren auch eine Studie mit einem neuen Aminoglykosid gemacht, dem Plazomicin, was eben auch gegen Carbapenem-resistente Erreger und auch Aminoglykosidasen-bildende Erreger aktiv war, und das war ja tatsächlich in der Monotherapie und hat wirklich gute Ergebnisse gezeigt [[9]]. Und die große Angst vor den Nebenwirkungen, Niereninsuffizienz und Taubheit usw., das war alles unbegründet. Das konnte man eigentlich wirklich ausräumen, sodass man die Aminoglykoside wirklich noch mal auch vor dem Hintergrund vielleicht ein bisschen weniger ängstlich beäugen sollte. Die sind ja eigentlich hauptsächlich wegen der Nebenwirkungen hintausgefallen, und ich weiß gar nicht, ob das wirklich so begründet war. Denn ich bin mir nicht sicher, ob das so evidenzbasiert ist, dass tatsächlich auch die Nebenwirkungen… Ich glaube, es war damals einfach so: Es gab andere Präparate, und dann hat man gesagt, dann nehme ich lieber die anderen Präparate. Das ist eher historisch begründet.
Mathias Pletz: Gut also, da kann man noch mal genauer hinsehen, gerade für das Plazomicin, ob es nicht doch dort einen Stellenwert hat. Es gibt eine zweite Substanz, die im Einsatz als Monotherapie etwas umstritten ist, das Fosfomycin. Also bei der Einmalgabe bei ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen, die ambulant therapiert werden, ist es sicherlich nachvollziehbar, dass man da eine Monotherapie macht mit einer Einmalgabe, weil eine Resistenz ja nicht so schnell selektiert wird. Aber wie sieht es aus bei der Pyelonephritis? Die Amerikaner testen ja das Fosfomycin auch in der Monotherapie. Die Europäer haben da immer Sorge, dass man relativ schnell hier Resistenzen selektiert. In vitro ist es tatsächlich so, dass es über Punktmutationen Resistenzen geben kann, aber in der Klinik scheint es doch nicht so eklatant zu sein. Wie ist Ihre Meinung dazu? Kann ich Fosfomycin als Monotherapie i.v. bei einer Pyelonephritis geben?
Florian Wagenlehner: Ja gut, es gibt durchaus Daten dazu. Es gibt eine relativ große Studie von Keith Kaye [[10]], der das in hoher Dosierung verwendet hat und auch gegen Piperacillin/Tazobactam getestet hat, und da war es durchaus nicht unterlegen. Das war jetzt nicht nur Pyelonephritis, also die gesamten komplizierten Harnweginfektionen, aber in der Regel sind ja auch immer 30, 35 % Pyelonephritiden dabei, und auch die Subgruppenanalyse hat dort bei den Pyelonephritiden kein Signal gezeigt, dass das nicht möglich wäre, sodass ich schon denke, dass das auch als Monosubstanz für die Pyelonephritis zum Einsatz ist – i.v., also nicht oral, sondern intravenös, muss man schon unterscheiden. Die Dosis war hoch, aber trotz alledem waren Nebenwirkungen meines Wissens dort nicht stark aufgefallen.
Mathias Pletz: Und es gab auch keinen Hinweis auf eine verstärkte Selektion von Resistenzen.
Florian Wagenlehner: Nicht, dass ich wüsste. Es ist natürlich immer die Frage, wo man sucht. Die Resistenzentwicklung im Harntrakt ist bei vielen Studien, auch über die langen Prophylaxestudien, relativ schwer herauszuarbeiten, weil wahrscheinlich die Resistenz ganz woanders entsteht. Aber in der Studie war meines Wissens keine deutliche Resistenzentwicklung zu sehen. Das war ja auch immer für die orale Therapie der unkomplizierten Zystitis ein Kritikpunkt, dass man gesagt hat, es wird zu häufig eingesetzt, es entstehen Resistenzen, und dann haben die Patienten, wenn sie dann auf der Intensivstation sind, auf einmal resistente Erreger. Bisher war das zumindest in weiten Ländern nicht der Fall, außer vielleicht in Spanien. Da ist das so ein bisschen angestiegen, die Resistenz, aber ansonsten war das bisher nicht sichtbar.
Mathias Pletz: Also auch eine Option, die man im Hinterkopf behalten kann.
Florian Wagenlehner: Denke ich schon.
Dauer der Medikation
Mathias Pletz: Kommen wir von der Auswahl der Medikation zur Therapiedauer. Die Harnwegsinfektionen waren ja schon immer ein Fokus, wo Antibiotic Stewardship gut gegriffen hat, wo man gut Therapiedauer sparen konnte. Und eigentlich jede Studie, die versucht hat, noch kürzer zu therapieren, vielleicht jetzt mit Ausnahme der Prostatitis, hat gezeigt, dass das möglich ist. Wie lange soll man therapieren bei den ambulant therapierten Harnwegsinfektionen, bei der Pyelonephritis und vielleicht – Sie sind ja auch Direktor der Klinik für Kinderurologie, da gibt es ja auch immer Sorge – so habe ich es zum Teil auch gelernt von Pädiatern, dass man bei Kindern länger behandelt, weil man Sorge hat, dass durch die Harnwegsinfektion Nierenschäden entstehen können. Ist das noch so, oder ist das mittlerweile widerlegt? Wie lange würden Sie therapieren?
Florian Wagenlehner: Also bleiben wir mal zunächst bei den Erwachsenen. Ich denke, es gab einige Studien, die 5 gegen 7 Tage untersucht haben, und haben keinen Unterschied gezeigt. Das heißt, man wird, denke ich, schon die meisten Pyelonephritiden auch mit 5-tägiger Therapie gut therapieren können. Klar gibt es immer auch individuelle Besonderheiten. Das muss man einfach auch so ein bisschen im Kalkül haben. Wenn es der Patientin – ich nehme jetzt hauptsächlich die Patientinnen hier hinein bei der unkomplizierten Pyelonephritis – wenn es der Patientin allerdings gut geht, keine großen, komplizierenden Faktoren vorhanden sind, dann ist meine Erfahrung, reicht in aller Regel eine 5-tägige Therapie. Das wurde insbesondere bei den Fluorchinolonen eben gezeigt. Dosis hoch, aber 5 Tage ausreichend. Wenn es dort immer noch so ein bisschen Beschwerden gibt, dann muss man vielleicht 7 Tage therapieren, aber das ist in aller Regel auch das absolute – ich will nicht sagen – Maximum, aber ich sage so: der Mittelwert, mit dem man eigentlich arbeiten kann. Deswegen haben wir das auch immer so als „5 bis 7 Tage“ bezeichnet. Die neueren Antibiotika wurden alle mit 7 Tagen getestet. Da hat man sich wahrscheinlich nicht getraut, einfach eine kürzere Therapie anzugehen. Aber ich glaube, mit einem guten klinischen Verstand kann man mit 5 Tagen in aller Regel ganz gut therapieren. Kinder wurden insbesondere ja dort untersucht, wenn Reflux vorliegt. Das ist, sage ich mal so, die Hauptentität, wo Kinder mit Pyelonephritiden untersucht wurden. Da hat man zwar gesehen – da geht es eher um die Prophylaxe – durch die Antibiotikaprophylaxe, weil viele Kinder eben maturieren, das heißt, wenn sie größer werden, dann hört irgendwann der Reflux auf, zumindest wenn er niedriggradiger ist. Und dann kann man, so ist die, ich will nicht sagen, Lehrmeinung, aber so ist die Ansicht, dass man, wenn man diese Jahre überbrückt mit einer Antibiotika-Dauerprophylaxe, dass man fieberhafte Infektionen und vielleicht auch Nierennarben vermeiden kann. Das mit den fieberhaften Infektionen, da hat sich gezeigt in der Tat, dass man die fieberhaften Infektionen tatsächlich durch die Antibiotika-Dauerprophylaxe verhindern kann, die Nierennarben nicht! Da gibt es unterschiedliche Ideen dahinter. Die eine Idee war, dass man gesagt hat, na ja, man hat in diese Studien ja solche Kinder eingeschlossen, die bereits eine oder zwei Pyelonephritiden hatten. Das heißt, da hat man gesagt, sie hatten einfach, durch vorhergehende Infektionsvorgänge oder was auch immer, Entzündungsvorgänge in der Niere, bereits die Anlage zu diesen Nierennarben bekommen. Deswegen hat es jetzt auch ganz kürzlich, erst letztes Jahr, im New England Journal eine Studie gegeben aus Italien [[11]], die eben diese Kinder ganz früh eingeschlossen haben, mit wenigen Wochen bereits, bevor die erste Infektion überhaupt da war. Das heißt, Kinder, die einen höhergradigen Reflux hatten, hatten eben eine Prophylaxe bekommen. Trotzdem war die Anzahl der Kinder, die Nierennarben entwickelt haben, nicht unterschiedlich. Das hängt doch wahrscheinlich einfach mit der Störung, sag ich mal, in der Entwicklung der Niere selbst zusammen. Das heißt bei Kindern, die einen Reflux haben, dort ist ja am Ureter diese Ureterknospe etwas später ausgesproßt. Das Ostium liegt lateral, und da trifft es eben nicht zum optimalen Zeitpunkt auf dieses sogenannte metanephrogene Blastem, und dadurch gibt’s einfach embryologisch wahrscheinlich auch Probleme in der Nierenentwicklung, sodass das meiner Ansicht nach sicherlich mehrschichtig ist. Nun zur Therapiedauer bei Pyelonephritis und Kindern. Ich glaube nicht, dass da viel Unterschied ist, muss ich sagen, in der Dauer der Therapie. Es ist nur so, dass die Studien diesbezüglich einfach nicht vorhanden sind. Ich würde nicht denken, dass man da viel länger – wenn es dem Kind gut geht – viel länger therapieren muss, um Nierennarben zu verhindern. Es wird vielleicht in der Zukunft noch etwas mehr Studien geben. Es gab eine Pilotstudie, die ich mal gesehen habe, aus dem Iran, die ein ganz interessantes Ergebnis hatte. Man hat ja versucht, das auch zum Beispiel mit Steroiden zu kombinieren, um eben diese Nierennarben zu verhindern. Das war alles nicht erfolgreich. Sie hatten verschiedene nicht-saturierte Fettsäuren hinzugegeben und hatten da ein ganz gutes Auskommen gehabt. Also, vielleicht gibt’s jenseits der reinen Bakterientherapie, sag ich mal, noch etwas, was wir nicht verstanden haben, wo man in die Immuntherapie einsteigen muss, um vielleicht tatsächlich ein bisschen Benefit zu haben, weil wahrscheinlich doch die Leukozyten hier unter Umständen Schaden setzen könnten. Aber das ist bisher noch rein experimentell, und wir wissen auch gar nicht, wo wir da momentan ansetzen sollen.
Rezidivierende Harnwegsinfektionen: Prophylaxis-Strategien
Mathias Pletz: Sie haben auch eine schöne Brücke geschlagen zum letzten Punkt, den ich mit Ihnen diskutieren wollte, nämlich: Was machen wir mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen? Zum einen vielleicht ganz kurz, was ist eine Definition, was überhaupt eine rezidivierende Harnwegsinfektion ist? Und dann gibt’s ja zwei wesentliche Konzepte, meines Wissens, oder drei wesentliche Konzepte. Es gibt Impfungen, die aus Bakterienlysaten bestehen, wo es aber keine Stiko-Empfehlungen gibt. Es gibt meines Wissens auch relativ wenig Evidenz, aber die sind verfügbar und gelistet. Dann wird natürlich immer wieder in Metaanalysen der Cranberrysaft diskutiert. Wir hatten letztens in der Zeitschrift für Infektionstherapie gesehen, dass man mit einer Verdopplung der Trinkmenge bei jungen Frauen auch die Harnwegsinfektionsrate halbieren kann. Einfach so ab 2–3 Liter wird es deutlich besser. Und dann gibt es natürlich noch die Möglichkeit, das hatten wir zu Beginn des Podcasts kurz angerissen, der Antibiotikaprophylaxe, also eine Dauereinnahme. Also, wenn Sie diese drei Strategien vielleicht einmal einordnen würden, was sind die Pros und Cons? Wie machen Sie es?
Florian Wagenlehner: Ja, Sie hatten mit der Definition angefangen. Das sollte man tatsächlich auch immer beherzigen. Definition ist eigentlich: 2 pro Halbjahr mikrobiologisch nachgewiesene Infektionen oder 3 im Jahr. Darauf hatten wir weiterhin durchaus Wert gelegt, dass man zumindest einen Nachweis führt. Das ist ja immer das Problem, dass sehr häufig die Harnweginfektionen einfach, ich will mal ein bisschen überspitzt sagen, „liederlich“ diagnostiziert werden. Das heißt, man macht sich keine Mühe mit der Diagnostik, sondern gibt gleich das Antibiotikum. Häufig sind es gar nicht Harnweginfektionen, was die Patientinnen hatten, sondern es sind vielleicht ganz andere Ursachen, also überaktive Harnblase oder andere Ursachen, vielleicht auch gynäkologische Veränderungen, Infektionen, die Ursache der Beschwerden sind. Zumindest sollte es irgendwie nachgewiesen sein. Vielleicht in einem Nebensatz hier: Wir hatten einen Fragebogen entwickelt [[12]], der durchaus sehr akkurat ist, den Acute Cystitis Symptoms Score, den jede Frau selbst ausfüllen kann. Wenn sie einen Score hat von 6 oder höher, dann ist Sensitivität und Spezifität, dass es sich um eine bakterielle Harnweginfektion handelt, fast 90 %, ohne dass man zusätzliche Analysen machen muss. Also, jedenfalls sollte es irgendwie nachgewiesen sein, dass es sich wirklich um eine Harnwegsinfektion handelt. Das zur Definition. Dann ist es so, dass durchaus, ja, fast fünf Strategien zur Verfügung stehen, eine nicht-antibiotische Prophylaxe durchzuführen. Die erste Strategie, die sollte man auf alle Fälle immer mit den Patientinnen besprechen, sind Verhaltensmaßnahmen. Hatten Sie angeführt. Zur Trinkmenge gibt’s eine schöne Studie von Hooton [[13]], der gezeigt hat, dass die Patientinnen, die wirklich ganz wenig trinken, also unter 1,5 Liter, dass es, wenn sie mehr trinken, einen deutlichen Benefit hat und sie dadurch allein schon die Rezidivraten reduzieren können. Eine andere Verhaltensmaßnahme ist zum Beispiel, wenn zur Empfängnisverhütung bestimmte Spermizide oder Diaphragmen verwendet werden. Sie können das vaginale Milieu, das vaginale Mikrobiom schädigen. Da kann man, wenn man eine andere Form der Verhütung nimmt, durchaus etwas erreichen. Zu anderen Verhaltensmaßnahmen: kalte Füße usw., kalte Bank, da gibt’s weniger Evidenz, aber auch das kann man natürlich beratend ein bisschen ansprechen. Das ist das eine. Das Zweite ist dann diese Richtung Cranberry, D-Mannose usw., also alles was, sag ich mal, die Fimbrien blockiert. Durchaus eine interessante Strategie. Cranberry mit dem Proanthocyanidin hat ja so eine Substanz, die eben auch diese Typ-1-Fimbrien blockiert. Alle fünf Jahre, ändert sich da im Cochrane Review so ein bisschen die Empfehlung. Der aktuellste Cochrane Review hat wieder einen leichten Vorteil für Cranberry gezeigt. Das Problem ist einfach, dass es so viele unterschiedliche Darreichungsformen von Cranberry gibt. Das gibt es vom Saft zur Tablette, dann gibt’s unterschiedliche Dosierungen und Konzentrationen dieses Proanthocyanidins. Wir haben diesen Cochrane Review intensiv durchgeguckt. So richtig weiß man wirklich nicht, welche Cranberry-Präparation man da eigentlich empfehlen soll. Dann ist auch noch die Population sehr unterschiedlich, die dort untersucht wurde. Also, es bleibt nach wie vor offen. In meiner Erfahrung hatte es wirklich nicht allzu viel Erfolg, dieses Cranberry. D-Mannose geht in die gleiche Richtung. Dort gibt es zumindest eine klinische Studie, die das gezeigt hat. Hier gibt’s auch Fortentwicklungen, die allerdings noch nicht erhältlich sind, Verbesserungen der Mannose, die vielleicht in der Zukunft besser an die Typ-1-Fimbrien binden, sogenannte Mannoside. Also, auch in den Leitlinienempfehlungen wird Mannose durchaus empfohlen und vielleicht werden in der Zukunft, ich sag mal, optimierte Präparate zur Verfügung stehen. Das Dritte ist, darf man überhaupt nicht vergessen, das sind postmenopausale Patientinnen. Dort sollte unbedingt auch eine Östrogenisierung durchgeführt werden. Also, das ist eindeutig so gezeigt, dass bei den postmenopausalen Patientinnen die lokale, also die vaginale Östrogenisierung, einen deutlichen Benefit erreicht. Das sollte man immer machen, wenn keine Gegenanzeigen sind. Es wird manchmal Mammakarzinom in der Anamnese so ein bisschen als Gegenanzeige aufgeführt. Dann muss man vielleicht mit dem Gynäkologen rücksprechen. Dann gibt’s noch eine Strategie, altes Präparat, das eine neue Evidenz erreicht hat, Methenaminhippurat. Das Hiprex steht in Deutschland noch nicht zur Verfügung, ist schon sehr, sehr alt, wird in der Blase in niedrigen Mengen verstoffwechselt in Formaldehyd und „sterilisiert“, sag ich mal landläufig, wenn man so will, die Harnblase und eradiziert dadurch die Erreger.
Mathias Pletz: Darf ich kurz unterbrechen an der Stelle? Wenn Sie sagen, es wird zu Formaldehyd, gibt’s denn da Daten, dass es sicher ist bezüglich Blasenkrebs?
Florian Wagenlehner: Ja, ist sicher. Das war damals das Argument, dass es ein bisschen aus dem Fokus geraten ist: ‚Das macht doch Blasenkrebs!‘ Man hat aber dann diese Daten alle aufgearbeitet. Das waren alles Urothelkarzinome bei Arbeitern, die mit Formaldehyd in Kontakt gekommen sind. In dieser niedrigen Dosierung von Methenaminhippurat und Formaldehyd gibt es kein Signal, dass es tatsächlich Urothelkarzinom machen könnte. Die Evidenz: Es gab vor zwei Jahren eine neue Studie, der ALTAR-Trial aus dem Vereinigten Königreich [[14]], die das gegenüber Antibiotika untersucht hat und dort eine Nicht-Unterlegenheit gezeigt hat. Also, das sind die ersten vier Strategien.
Immunstimulation – teilweise vielversprechend
Florian Wagenlehner: Die letzte Strategie ist die Gruppe der Immunstimulation-Impfungen. Dort gibt’s eine Reihe von Präparaten, die zur Verfügung stehen. Das muss man vielleicht nochmal so ein bisschen immunologisch aufbereiten und aufarbeiten. Eine Impfung im herkömmlichen Sinne, so wie wir es kennen, mit den Impfungen, die wir zur Verfügung haben, also etwas, was eine Antikörperantwort stimuliert, gibt’s bisher nicht. Der Grund dahinter ist, dass normalerweise in der Immunität der Harnblase keine adaptive Immunität zu sehen ist. Das heißt, eine Antikörperbildung existiert nicht. Das ist ein Selbstschutz der Harnblase, die immer eine gewisse Form der Immunsuppression sich selbst auferlegt, damit die Schleimhaut nicht abgeschilfert wird. Also, auf vielen Ebenen wird dort eine Art der Immunsuppression erfolgen, sodass dort eben auch keine antigenpräsentierenden Zellen ausreifen können, die dann in Folge die Antikörperantwort nach sich zieht. Es gibt Strategien, die dahingehen, dass man das vielleicht irgendwie umdrehen kann, aber momentan gibt es eine Impfung, die Antikörper bildet, nicht.
Mathias Pletz: Aber da kann ich kurz beitragen. Es gibt tatsächlich eine Konjugat-Vakzine gegen E. coli. Da läuft gerade eine Phase-III-Studie, und da geht es natürlich zum einen um die Verhinderung von invasive E. coli disease, also der positiven Blutkultur, der Blutstrominfektion, aber es geht auch um die Verhinderung rezidivierender Harnwegsinfektionen. Aber was ich meinte, ist, ich weiß nicht, ob wir Präparate nennen dürfen, aber das Uro-Vaxom, dieses Bakterienlysat, das verfügbar ist, wozu es keinerlei Empfehlungen gibt, und ich kenne auch keine wirklichen Phase-III-Studien dazu. Wie schätzen Sie das ein?
Florian Wagenlehner: Ja, das sind eben Immunstimulationsagentien – das hat jetzt nichts mit ExPEC-Impfungen zu tun – die vielleicht tatsächlich als Konjugat dazu führen, dass wir doch eine ausreichende Antikörperantwort bekommen. Dieses Uro-Vaxom und auch andere, es gibt mittlerweile noch zwei andere Präparat. Das andere, da können wir auch nur den Handelsnamen nennen, das ist das StroVac. Es gibt eine neuere Vakzine, die in Deutschland noch nicht verfügbar ist, MV140 nenne ich es mal. Diese drei haben unterschiedliche klinische Evidenzen. Für das Uro-Vaxom gibt es schon Studien, und zwar fünf Studien, die das klinisch untersucht haben, und die allesamt zu dem Ergebnis gekommen sind, dass es zu einer Reduktion der rezidivierenden Infektionen kommt, also in allen Studien. Ungefähr kann man davon ausgehen, dass es dann 30 bis vielleicht 40 % der Rezidive weniger sind. Die meisten Studien haben es allerdings nur sechs Monate verfolgt. Eine Studie hat es ein Jahr lang nachverfolgt. Wahrscheinlich ist es dann tatsächlich so, dass man es wieder boostern muss. Da gibt es aber keine klinische Studie, die das je gezeigt hat, weil offensichtlich die Wirksamkeit dann nachlässt. Aber es ist durchaus so, dass hier auch in randomisierter Hinsicht eine Studienevidenz vorherrscht. Für das StroVac ist das anders. Da gab es letzten Jahres eine Publikation einer randomisierten Studien, die gegenüber dem Placebo keine besseren Ergebnisse gesehen hat [[15]]. Insgesamt waren zwar die Rezidive weniger, aber nicht weniger als bei dem Placebo-Arm. Also, das war total kongruent. Und dieses MV140 ist auch etwas, das auf die angeborene Immunität hin arbeitet. Es ist ähnlich wie das Uro-Vaxom, wird allerdings sublingual gegeben. Da ist man so ein bisschen am überlegen, ob es wegen Schleimhaut und Schleimhaut vielleicht besser interagiert. Das hat tatsächlich einen ganz eindrucksvollen Erfolg gezeigt. Es wurde in drei Armen getestet, also Placebo, dann das MV140 drei Monate und sechs Monate. Drei Monate war so gut wie sechs Monate und war deutlich besser als das Placebo. Es ist allerdings in Deutschland nicht verfügbar. Es ist, glaube ich, in Spanien und Italien verfügbar. In der internationale Apotheke kann man es schon bekommen, wenn man will. Aber die Evidenz ist durchaus bei bestimmten Präparaten vorhanden.
Mathias Pletz: Machen Sie das? Verordnen Sie diese, ich würden mal sagen, Stimulantien vom innate immune system?
Florian Wagenlehner: Ja, also ich persönlich mach das schon. Man muss allerdings aufpassen. Es wird nicht von der Krankenkasse gezahlt. Also sollten die Patienten selbst zahlen, sonst kriegt man Regress. Ich mache das auch, so viele Patientinnen – ich sehe sie ja häufig sehr, sehr spät – hatten das natürlich alles durch. Wenn sie es versucht haben, es hat keinen Erfolg gehabt, da macht es auch keinen Sinn es weiter zu verordnen. Viel ist einfach trial and error. Wenn sie es aber in der Vergangenheit hatten, und das ist gar nicht so selten, und sagten, sie hatten anfänglich durchaus dadurch Erfolg, dann wurde es aber nicht wieder verordnet –wahrscheinlich verliert sich einfach die Effektivität nach spätestens einem Jahr – dann würde ich es durchaus wieder neu verordnen und versuchen, ob es nicht erneut wieder hilft. Vielleicht noch ein Satz am Ende dazu. Man sollte aber auch ein bisschen, sag ich mal, überlegen. Ich habe immer wieder Patientinnen, die haben zwar diese Bakterien, haben auch Leukozyten, aber haben eine ganz andere Ursache für die rezidivierenden Beschwerden. So ein Beispiel ist ein chronisches Blasenschmerz-Syndrom. Dass einem solche Patientinnen nicht durchgehen, weil man immer wieder denkt, die Bakterien sind ursächlich, und dann gibt es ganz andere Ursachen, die ganz anders therapiert werden müssen.
Mathias Pletz: Also, Sie würden bei den rezidivierenden Harnwegsinfektionen erst versuchen mit den Verhaltensänderungen zu therapieren, dann vielleicht mit Cranberry und danach kämen dann die immunologischen Ansätze und die dauerhafte Antibiotikaprophylaxe erst am Schluss wählen, wenn ich das richtig verstanden habe, also wenn die anderen Strategien versagt haben.
Florian Wagenlehner: Also auf alle Fälle Verhaltensmaßnahmen besprechen zu Beginn. Bei postmenopausalen Patientinnen würde ich immer mit dem Östrogen, wenn nichts dagegensteht, beginnen, und dann würde ich durchaus auch die Immunstimulantien eigentlich schon sehr früh einsetzen, muss ich sagen. In der Reihenfolge nicht, Cranberry – ich habe nicht so gute Erfahrungen damit. D-Mannose, das gibt’s auch in unterschiedlichen Präparationen, ist eher etwas, was ich persönlich einsetze, aber die Immunstimulation durchaus relativ früh einzusetzen. Wenn dann Durchbruchsinfektionen sind, solche, die das wirklich sehr häufig haben – ich sage den Patientinnen auch, dass sie nicht erwarten dürfen, dass sie dann gar keine Infektionen mehr haben, aber das Ziel wäre, dass einfach die Häufigkeit deutlich reduziert ist, sodass die Lebensqualität wieder steigt, und viele kommen damit zurecht. Aber es gibt auch eine kleine Portion, die wirklich dann nach wie vor häufig Durchbruchsinfektionen haben, und die bekommen dann die Antibiotika-Dauerprophylaxe. Wobei man denen sagen muss, sobald sie es absetzen, geht es natürlich wieder von vorne los. Das ist einfach so. Dafür brauchen wir in der Zukunft eben noch neue Strategien. Vielleicht wäre so eine richtige Impfung tatsächlich etwas in der Zukunft. Es wird wieder ein bisschen mehr damit geforscht. Bisher hatte die Impfung, die richtige Impfung, es einfach noch nicht geschafft, in die Humanmedizin aufgenommen zu werden.
Mathias Pletz: Ja, das wäre wirklich… Wir arbeiten auch an dieser Studie mit. Ich sehe da viele Parallelen zur Pneumokokkenkonjugat-Vakzine. Wenn das funktioniert, wäre das wirklich ein Prinzip, das einen enormen public health impact hätte.
Florian Wagenlehner: Das denke ich unbedingt auch, unbedingt! Auch schon die invasiven Infektionen alleine, die sind ja auch sehr, sehr häufig in dieser Risikogruppe über 60. Wir arbeiten auch mit bei dieser Studie. Ich hoffe, dass sie wirklich ein, ich will nicht sagen, game changer wäre, aber dass es uns wirklich etwas an die Hand gibt, dass dann natürlich deutlich Antibiotika einsparen könnte.
Mathias Pletz: Absolut, absolut! Wir haben uns schon über eine Stunde unterhalten, und ich hoffe, Sie hören weiterhin zu. Das war ein Podcast mit einer extrem hohen Informationsdichte. Also, Herr Wagenlehner, großes Kompliment! Ich habe viele Fragen, die ich mir selber immer wieder in der Praxis gestellt habe, jetzt beantworten können. Wir haben einen Bogen geschlagen von der Intensivstation, von dem Problem der asymptomatischen Bakteriurie über die empirische Therapie, über die richtige Diagnostik, über die Therapiedauer. Wir haben mit einigen Mythen aufgeräumt, wie zum Beispiel eine längere Therapiedauer bei Harnwegsinfektionen und Kindern. Wir haben sehr lange über die rezidivierenden Harnwegsinfektionen und unterschiedliche Strategien gesprochen. Vielleicht würden Sie zum Schluss noch drei Dos und drei Don‘ts für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer formulieren?
Dos & Don‘ts von Prof. Florian Wagenlehner
Florian Wagenlehner: Ja, vielleicht Dos: Wenn man an die Harnwegsinfektionen denkt, sollte auf alle Fälle eine gute, ausführliche Untersuchung, zumindest Urinuntersuchung, eine Mikrobiologie wird nicht immer möglich sein, aber eine Urinuntersuchung würde ich schon als Do und auch eine Symptomeinschätzung gerne empfehlen. Dann noch ein Do ist, was wir durchaus auch intensiv beleuchtet haben, bei den einfachen Infektionen und in der Prophylaxe, ob man dort nicht wirklich versucht, die Nicht-Antibiotika-Strategien in erster Linie zu wählen. Das hat einen wirklich hohen Impact bei diesen sehr, sehr häufigen Infektionen. Wir können den Antibiotikadruck hier einfach durchaus senken. Und bei den, ja, Infektionen, die ein Antibiotikum brauchen, würde ich als Do direkt noch aufführen wollen, dass es vielleicht auch hier durchaus Sinn macht, sich in der empirischen Therapie Gedanken zu machen, nicht immer das Breitspektrum-Antibiotikum zu zücken, sondern vielleicht auch für die unterschiedlichen Entitäten auch im Kopf, subkortikal, unterschiedliche Entitäten von Antibiotika zum Einsatz zu bringen. Nicht, dass man immer für die Harnwegsinfektionen seine drei Antibiotika dann für alles verwendet. Da gibt es eben viel, viel mehr. Wir hatten ja einige Antibiotika besprochen, die hier wirklich einen Sinn machen. Dass man sich Gedanken macht, bei wem man welches Antibiotikum einsetzt.
Don‘ts ganz eindeutig bei der asymptomatischen Bakteriurie entweder gar nicht untersuchen, das ist sicherlich wahrscheinlich schon ganz am Anfang das Allerbeste, aber bitte hier keine Therapie. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen. Das sind zum Beispiel die urologischen Patienten, die vielleicht eine invasive Therapie, also eine Prostata-Operation bekommen, vielleicht noch in der Schwangerschaft, aber ansonsten braucht wirklich bei der asymptomatischen Bakteriurie keiner eine Antibiotikatherapie. Was mir auch immer auffällt, ist underdosing. Ich weiß, in Jena sind Sie mit TDM natürlich hier weit, weit voran. Aber generell hat man so ein bisschen im Kopf: ‚Harnweginfektionen, ja, da geht ja so viel Antibiotikum in den Urin, da brauche ich weniger.‘ Das ist vielleicht für die Zystitis der Fall, aber wirklich nicht für die schweren Infektionen, für die Niereninfektionen, für die Urosepsis und da ist es wirklich so, dass fast immer zu wenig dosiert wird. Also mindestens mit der normalen Dosis, und bei den schweren Infektionen gerne auch mal die doppelte Dosis, zumindest zum Einstieg. Auch hier gilt, dass man nicht immer, auch bei den schweren Infektionen, vielleicht das Reserveantibiotikum zücken muss. Auch die einfache Urosepsis, die gibt es ja wirklich bei der Urosepsis recht häufig, wenn sie vielleicht auch nicht mehr so definiert ist, dass es eine Urosepsis ist, aber vielleicht eine Sepsis, schwerkranker Patient, aber noch kein Organversagen, dann muss nicht immer das Carbapenem her. Da gibt’s wirklich Antibiotika, die man auch vorher nehmen kann, je nachdem, welches bakterielle Spektrum man vielleicht im Kalkül hat. Also auch hier vielleicht gerne einmal ein bisschen überlegen und nicht Breitspektrum überall geben.
Mathias Pletz: Vielen Dank. Das ist doch ein gutes Schlusswort für einen infektiologischen Podcast. Uns geht‘s ja auch immer darum, Antibiotika einzusparen. Wir haben das Thema wirklich umfassend, erschöpfend behandelt, würde ich sagen. Also, aus meiner Frageliste, die ich intern von diesem Podcast hatte, ist jetzt keine mehr unbeantwortet. Sie hatten sehr viele Studien genannt, die werden wir in die Shownotes stellen, vielleicht auch den Symptomscore [[16]], den Sie angesprochen hatten, wer sich damit auch wissenschaftlich auseinandersetzen möchte. Das ist, glaube ich, immer sehr hilfreich. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank für Ihr Interesse. Bleiben Sie uns treu! Sie bekommen auch CME-Punkte, wenn Sie die Fragen beantworten. Und wenn Sie uns noch nicht abonniert haben, würde ich mich freuen, wenn Sie es tun. Wir freuen uns natürlich auch über Feedback. Ein herzliches Dankeschön noch mal nach Gießen zu Herrn Wagenlehner für diesen wirklich hervorragenden Podcast, und ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen Ihrer Patienten.
Florian Wagenlehner: Vielen Dank, auch von meiner Seite.
Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!
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Referenzen
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