consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – Folge #01 – 28.04.2023

consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast

mit Prof. Mathias Pletz


Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.

Geht doch nach Hause – Ambulante parenterale Antibiotika-Therapie.
Wann? Womit? Für wen?

Zu Gast heute:

PD Dr. Stefan Hagel.


Prof. Mathias Pletz …

… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.

Mathias Pletz: Willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Das ist die erste Folge eines ganz neuen Podcasts von consilium infectiorum, dem infektiologischen Klinik-Podcast. Wir haben uns für die erste Folge ein ganz innovatives, besonderes und versorgungsrelevantes Thema ausgedacht, nämlich OPAT Outpatient Parenteral Antibiotic Treatment oder auf Deutsch APAT Ambulante parenterale Antibiotikatherapie, und der Experte, mit dem ich heute sprechen darf, ist mein Kollege und Freund Stefan Hagel. Stefan Hagel ist Internist, Infektiologe und in unserem Institut als leitender Oberarzt für die stationäre Infektionsmedizin verantwortlich, und er hat in dieser Funktion auch das OPAT bei uns an der Klinik aufgebaut. Hallo Stefan!

Stefan Hagel: Hallo Mathias!

Mathias Pletz: Schön, dass du da bist! Das ist heute wirklich ein spannendes Thema, und ich wollte gleich in medias res starten und dich fragen, was bedeutet das eigentlich? An welcher Stelle können wir das klinisch einsetzen?

Stefan Hagel: Also OPAT, oder im Deutschen, wie du schon gesagt hast, APAT, also die ambulante parenterale Antibiotikatherapie. Im engeren Sinne geht es darum: Wir haben einen Patienten, der ist klinisch stabil, wir können ihn eigentlich entlassen, aber er benötigt noch eine i. v.-Therapie, Antibiotika oder Antimykotika. Und die Frage stellt sich dann natürlich, können wir das Ganze nicht auch im ambulanten Setting fortführen? Da knüpft eben dieses Konzept APAT an, und du hast gesagt, es ist innovativ. Innovativ für Deutschland, ja, das stimmt, aber vor allem die Amerikaner – wieder als Vorreiter – haben es erstmals in den 70er Jahren beschrieben. Bei denen ist es gang und gäbe. Dort gehört APAT, OPAT zum täglich Brot, und auch viele andere Länder um Deutschland herum, also gerade UK, aber auch Österreich, bei denen ist es eigentlich schon ein seit Jahren etabliertes Konzept.

Mathias Pletz: Es eignet sich ja wahrscheinlich nicht für jeden Patienten und macht wahrscheinlich auch nicht bei jedem Patienten Sinn. Was ist denn so aus deiner Sicht eine typische Indikation, wo wir mit diesem Konzept den Patienten schneller aus dem Krankenhaus entlassen können?

Für APAT stabile Organfunktion, Compliance und mindestens eine Woche i. v.-Resttherapie

Stefan Hagel: Also, es geht vor allem um Patienten, die eine längere Antibiotikatherapie benötigen. Also, wenn ich jetzt eine ambulant erworbene Pneumonie mit 5 Tagen Therapie habe, da würde ich den Patienten jetzt nicht wegen der letzten 2 Tage entlassen. Also, für uns ist immer die Grenze, dass man schon mindestens 7 Tage noch eine i. v.-Therapie benötigt, weil es natürlich auch mit Aufwand verbunden ist. Die Patienten brauchen einen Zugang, man muss das ganze Setting im ambulanten Bereich klären. Man braucht einen Homecare-Dienstleister, der die Versorgung übernimmt. Also, es sind schon die Patienten bei uns, die meisten, bei denen noch mindestens zwei, drei, vier Wochen i. v.-Therapie erforderlich ist. Die Patienten müssen stabil sein und es darf keinen anderen Grund geben, der jetzt eine stationäre Weiterhandlung erforderlich macht. Also stabile Nierenfunktion, natürlich keine andere Organ-Dysfunktion. Der Patient muss mitmachen, er muss eine Compliance haben und muss natürlich auch von dem Konzept überzeugt sein. Wir entlassen ihn mit einer i. v.-Therapie nach Hause in sein eigenes Wohnzimmer, und natürlich ist nicht jeder Patient davon überzeugt, dass das eine gute Idee ist.

Mathias Pletz: Also, längere Antibiotikatherapien, Endokarditis, Osteomyelitis oder Gelenkinfektionen fallen einem da natürlich ein. Kannst du vielleicht mal beschreiben, wie du praktisch vorgehst? Also angenommen, wir haben jetzt einen Patienten, der hat eine Staphylococcus aureus-Endokarditis, braucht 4 bis 6 Wochen Therapie, hat sich stabilisiert nach der 2. Woche. Du sprichst mit ihm. Vielleicht mal so für unsere Zuhörer die wichtigsten Schritte, wenn man das in der Praxis umsetzen will. An wen muss man sich wenden, woran muss man denken, und vielleicht auch, wer finanziert das alles?

Homecare-Dienstleister und ggf. Rücksprache mit der Krankenkasse

Stefan Hagel: Der erste Punkt ist natürlich, wenn wir einen Patienten identifiziert haben, der in Frage kommt, dass wir mit dem Patienten sprechen. Wie ist sein häusliches Umfeld? Gibt es vielleicht jemanden, der ihn dabei unterstützen kann, wenn gerade ältere Patienten, Patientinnen, das selber nicht quasi technisch handlen können? Sie müssen sich dann selber eine Infusion, meistens über die PICC-Line oder eine Midline anlegen. Das kann ich nachher noch mal kurz erklären. Und wenn die Patienten und die Angehörigen einverstanden sind, dann kontaktieren wir einen Homecare-Dienstleister. Das sind ambulante Apotheken, mit denen wir zusammenarbeiten, und wir erstellen dann einen Behandlungsplan. Das geht dann meistens über Fax, und die Kollegen von diesem Homecare-Dienstleister kommen dann direkt zu den Patienten und erklären ihnen dann alles Weitere. Wie erfolgt die Applikation, wie häufig am Tag? Das sind so die ersten Schritte, die man macht.

Mathias Pletz: Regress ist ja mittlerweile auch immer ein Thema, mit dem sich eigentlich keiner gerne auseinandersetzen möchte. Kontaktierst du da im Vorfeld auch die Krankenkassen und besprichst es mit ihnen, oder verlässt du dich darauf, dass das wirklich immer übernommen wird?

Schwierigkeit ambulanter Pflegedienst

Stefan Hagel: Man muss hier unterscheiden. Die ganz normale i. V.-Therapie, die können wir über unser rosa Rezept, wenn wir eine Ambulanz-Ermächtigung haben, verschreiben, und da gibt’s auch keinen Regress. Was wir bei den hochpreisigen Medikamenten schon machen, also bei den Reserveantibiotika: Wir fragen zuerst bei den Krankenkassen nach, ob das in Ordnung ist. Da geht es natürlich schon um Summen, wo man auf der sicheren Seite sein muss. Es ist ganz einfach, wenn der Patient oder die Angehörigen die Applikation selber vornehmen können. Komplizierter wird das Ganze, wenn es daheim niemanden gibt, der die i. v.-Applikation vornehmen kann und wir einen Pflegedienst benötigen. Das Problem in Deutschland ist, dass die i. v.-Applikation von Medikamenten nicht über die HKP-Richtlinie läuft. HKP-Richtlinie ist die Richtline zur häuslichen Krankenpflege. Das bedeutet, der Pflegedienst bekommt die Applikation nicht vergütet, und wenn wir natürlich eine Substanz haben, die man 3x am Tag verabreichen muss, Cefazolin, da ist es schwer, einen Pflegedienst neu zu engagieren, der 3x am Tag zum Patienten fährt und die Infusion verabreicht. Das ist wirklich ein Problem, und da muss man es im Vorfeld gut mit den Krankenkassen besprechen, ob sie die Zusatzkosten übernehmen, und dann eben dem Krankenpflegedienst die Anfahrt und die Applikation vergüten. Wenn es die Patienten selber machen, gar kein Problem. Da hatten wir auch noch nie Probleme.

Mathias Pletz: Wenn du mit den Kassen zum Beispiel sprichst – es gibt ja viele Vorteile, die solch eine frühere Entlassung aus dem Krankenhaus mit sich bringt, und ich schätze ja auch sehr, dass du immer versuchst, streng evidenzbasiert Entscheidungen zu treffen. Du kennst die Literatur da auch sehr gut. Was ist denn die Datenlage dazu, wenn man zum Beispiel mit Kassen argumentiert, dass es ein gutes Konzept ist, das dem Patienten nützt und vielleicht sogar Kosten spart?

Ambulant vor stationär laut SGB und Datenlage

Stefan Hagel: Generell sagen muss man natürlich, in Deutschland gilt der Grundsatz im Sozialgesetzbuch „ambulant vor stationär“. Das ist natürlich immer das Argument, das man den Krankenkassen als Erstes vorbringt. Man sagt, es gibt keinen anderen Grund mehr, dass der Patient stationär ist, nur die i. v.-Applikation der Antibiotika zum Beispiel. Das ist schon einmal der erste Punkt. Es ist gesetzlich geregelt: ambulant vor stationär. Dann gibt es natürlich aber auch Daten, vor allem wieder aus Amerika, die zeigen, dass die ambulante parenterale Antibiotikatherapie ein sicheres Verfahren ist. Also weniger nosokomiale Infektionen, zum Beispiel Pneumonien. Die Patienten sind im häuslichen Umfeld besser mobilisiert als im Krankenhaus. Sie haben eine höhere Zufriedenheit, weil sie natürlich in ihrer häuslichen Umgebung sind und nicht im Krankenhaus. Das Essen schmeckt besser zum Beispiel. Es gibt ganz, ganz, ganz viele Gründe, warum die frühzeitige Entlassung oder die frühere Entlassungen einen Vorteil für den Patienten hat. Und der wichtige Punkt ist, man hatte immer Angst, man entlässt den Patienten mit einem Gefäßkatheter, mit einer PICC-Line, die über die Ellenbeuge eingeführt wird. Der Katheter endet im rechten Vorhof, und viele haben natürlich Angst vor Gefäßkatheter-assoziierten Infektionen. Aber auch da gibt es ganz klar die Daten, dass für die Patienten und Patientinnen der Umgang mit dem Gefäßkatheter, wenn man es salopp sagen kann, sogar besser ist als bei uns im professionellen Bereich im Krankenhaus. Bessere Händehygiene, besseres Management. Also, da gibt es auch Daten, dass das sicher ist.

Mathias Pletz: Gibt es eigentlich einen Grund, warum das eine PICC-Line sein muss und warum man da nicht einen ZVK nehmen kann?

Stefan Hagel: ZVK, also jetzt über die Jugularvene, ist natürlich für den Patienten nicht so angenehm, muss man ganz klar sagen. Er baumelt am Hals, das ist natürlich immer ein Problem. Deswegen ist der Zugang über die Ellenbeuge das bevorzugte Verfahren, und bei uns unterscheiden wir immer zwischen zwei Kathetern: einmal die PICC-Line, also Peripherally Inserted Central venous Catheter, der endet im rechten Vorhof. Die Alternative ist eine Midline. Die Midline ist nicht ganz so lang, ungefähr 15–20 cm, wird auch über Vena cubitalis eingeführt und der Vorteil, hatte ich schon genannt, ist die Mobilität. Die Patienten können auch duschen, wenn man das schön verpackt, und die können lange liegen bleiben. Also die PICC-Line, wir kennen sie aus dem Bereich der Onkologie als Port-Ersatz, die liegen ja teilweise über drei, vier, fünf, sechs Monate. Wir machen es so: Die Patienten kriegen alle ein Chlorhexidin-Pflaster über die Einstichstelle. Dieses Chlorhexidin-Pflaster ist ein transparentes Pflaster mit einem Chlorhexidin-getränkten Patch direkt über der Einstichstelle. Das wird einmal in der Woche über den Homecare-Dienstleister gewechselt. Es kommt dann eine Pflegekraft und macht den Verbandwechsel, was uns auch die Sicherheit im stationären Setting gibt. Da gibt es jemanden im ambulanten Bereich, der die Einstichstelle nochmal zusätzlich einmal in der Woche begutachtet. Die liegen dann genauso lang wie in dem Bereich der Onkologie. Das macht eben den Vorteil aus im Vergleich zu ZVK über die V. jugularis.

Kaum Komplikationen

Mathias Pletz: Wenn du jetzt über deine Erfahrungen blickst, wir machen das ja schon seit einigen Jahren hin und wieder mal, weil sich eben nicht jeder Patient eignet, was ist dein Eindruck zu Komplikationen? Was hast du gesehen und worauf muss man achten, um möglichen Komplikationen vorzubeugen?

Stefan Hagel: Also, an Komplikationen der letzten fünf Jahre, in denen wir dieses Konzept jetzt schon regelmäßig machen, kann ich mich an eine E. faecium-Bakteriämie, Blutstrominfektion, erinnern. Das war ein lebertransplantierter Patient. Da war am ehesten die PICC-Line doch auch der Fokus, muss man sagen. Und bei einer Patientin gab es mal eine PICC-Line-Thrombose, aber keine Lungenembolie, Gott sei Dank! Das waren die einzigen Komplikation, die wir jetzt bisher beobachten konnten. Bei allen anderen Patienten, muss man sagen, hat das Konzept gut funktioniert. Es gab auch keine Aufnahmen außerhalb der geplanten stationären Aufnahmen, so dass man sagen kann, das Konzept hat funktioniert. Also von daher gesehen sind wir überzeugt von dem Konzept.

Dogma „i. v.-Therapie für Endokarditis ist Pflicht“ auf dem Prüfstand

Mathias Pletz: Es gibt ja noch Alternativen. Man kann vielleicht sogar auf oral wechseln. Das wird auch immer wieder diskutiert. Also, die i. v.-Therapie ist eigentlich ein klinisches Dogma für bestimmte Infektionen wie Endokarditis. Auch bei Osteomyelitis sagt man die ersten 2 Wochen mindestens i. v., dann kann man eventuell wechseln. Aber bei der Endokarditis traut man sich, wo die Leitlinien so klar sind, bislang zumindest so klar sind, traut man sich eigentlich nicht, auf orale Antibiotikatherapie zu wechseln. Vielleicht kannst du kurz sagen, woher das Dogma überhaupt kommt mit dieser i. v.-Therapie und wie sich das aus deiner Sicht weiter entwickeln wird, denn auch hier gibt es ja neue, spannende Daten.

Stefan Hagel: Genau. Als wir mit APAT angefangen haben, haben wir gedacht, wir haben ganz viele Patienten, die wir ins ambulante Setting entlassen können, Endokarditis-Patienten etc. Im Nachgang, jetzt in der Realität, muss man sagen, für so viele Patienten trifft es gar nicht zu. Du hast vorhin schon richtig gesagt, wir haben doch bei einigen Patienten wirklich die Möglichkeit der Oralisierung, gerade wenn wir im grampositiven Bereich denken, Substanzen mit einer guten oralen Bioverfügbarkeit, zum Beispiel Linezolid oder jetzt auch die neuen, langwirksamen Antibiotika, Dalbavancin. Da muss man ehrlicherweise sagen, da gibt’s natürlich auch Alternativen. Jetzt nochmal zu dem Endokarditis-Thema: Warum steht in allen Leitlinien, dass man i. v.-therapieren muss über 4–6 Wochen? Das ist ganz spannend. Der Grund für diese Aussage findet sich in den 1940er und 50er Jahren, also kurz nachdem Fleming, die Antibiotika – oder das Penicillin – quasi „wiederentdeckt“ hat, auch 50er, 60er Jahre. Da hat man versucht, die Endokarditiden mit Penicillin oral zu behandeln mit relativ niedrigen Dosen – und wir wissen ja, orales Penicillin: schlechte orale Bioverfügbarkeit, und dann natürlich noch niedrig dosiert – da gab es Therapieversagen. Dann hat man gesagt, okay, i. v. gibt es kein Therapieversagen, deswegen müssen wir eine Endokarditis intravenös therapieren. Aber in der Zwischenzeit, weißt du ja selber, gibt’s viele andere potente Substanzen mit einer besseren oralen Bioverfügbarkeit, sodass diese Dogma „i. v.-Therapie für Endokarditis ist Pflicht“ zunehmend auf den Prüfstand gestellt wird. Wir kennen die POET-Studie [1] aus dem Jahr 2019, als sich die Dänen getraut haben, Patienten mit einer Endokarditis zu oralisieren, im Schnitt ab Tag 17 nach Therapiebeginn, und das hat gut funktioniert. Da gibt es auch viele andere Studien, von Achim Kaasch, nur als Präsentation auf der ECCMID präsentiert, die Daten von der SABATO-Studie bei einer Staph. aureus-Bakteriämie oder auch die Daten vom OVIVA-Trial [2] aus Großbritannien. Sie haben am dritten Tag bei Knochen- und Gelenkinfektionen schon mit der oralen Therapie angefangen, und auch das hat gut funktioniert. Wenn man sich die Daten anschaut, auch von dem POET-Langzeit-Outcome: Die Patienten mit einer oralen Therapie haben ein besseres Langzeitergebnis im Überleben als die Patienten, die i. v.-therapiert wurden. Die Idee ist, dass sie einfach weniger nosokomiale Infektionen hatten. Das zeigt sich auch in den ganzen Studien. Also muss man davon ausgehen, dass die Oralisierung vielleicht sogar für den Patienten sicherer ist als die i. v.-Therapie.

Oralisierung und Compliance

Mathias Pletz: Ich denke auch, dass es viele Vorteile hat, und ich glaube, wir sind an dieser Stelle auch auf ein sogenanntes „Myth“ gestoßen. Es geht ja immer auch darum aufzuräumen mit irgendwelchen Missverständnissen, die sich in der Klinik über viele Jahrzehnte durchziehen. Ich glaube, den meisten Infektiologen wird es klar sein, aber wenn wir auf nicht-infektiologische Stationen gehen, werden wir immer wieder mit der Frage konfrontiert: Muss man denn auf das gleiche Medikament oralisieren, mit dem man i. v. begonnen hat?

Stefan Hagel: Also, wenn ich natürlich einen Patienten habe, der hat Meropenem, und ich versuche, ihn dann auf Amoxicillin zu deeskalieren… Es ist immer schwierig, das pauschal zu beantworten. Aber natürlich muss ich nicht immer dieselbe Substanz nehmen. Als bestes Beispiel: Wir haben zum Beispiel einen Patienten mit einer Staph. aureus-Osteomyelitis oder eine Prothesen-Gelenkinfektion, und wir handeln ihn im stationären Bereich mit Flucloxacillin oder Cefazolin und wir möchten ihn dann frühzeitig oralisieren. Da würden wir bei uns eher auf Fluorchinolon in Kombination mit Rifampicin, zum Beispiel Levofloxacin plus Rifampicin oralisieren und nicht auf Cephalexine oder Cefaclor, also natürlich nicht auf dieselbe Substanz. Wichtig ist, wenn man oralisiert, dass man eine Substanz aussucht, die eine gute orale Bioverfügbarkeit hat. Das ist das A und O. Wenn Sie eine Substanz haben, die nicht oral bioverfügbar ist, wird es zum Therapieversagen kommen. Sie brauchen natürlich auch einen Patienten, der die Tabletten einnimmt. Gibt es schöne Metaanalysen aus dem New England Jounrnal of Medicine vor einigen Jahren [3-4]. Sie haben gezeigt, wenn Sie Patienten 4x am Tag ein Antibiotikum verabreichen, dann liegt die Compliance bei – was schätzt Du?

Mathias Pletz: Bei 4x am Tag? Hängt wahrscheinlich vom Zeitlichen ab. Wenn es nur 2 Wochen sind, kann ich mir schon vorstellen, dass die Compliance vielleicht nur noch bei 80 % liegt?

Stefan Hagel: Bei 40–50 % liegt die Compliance.

Mathias Pletz: Das hätte ich jetzt nicht gedacht.

Stefan Hagel: Die Compliance korreliert dann auch mit dem Outcome, ob man die Infektion adäquat therapiert oder nicht. Aber das ist natürlich die Luxussituationen, wo man die Möglichkeit hat zu oralisieren. Häufig haben wir auch im gramnegativen Bereich keine Möglichkeit zur Oralisierung. Ich kann mich an einen Patienten erinnern, der eine LVAD hatte, also ein Linksherzunterstützungssystem, ein Kunstherz, und er hatte am Stromkabel bei der Driveline eine Pseudomonas-Infektion und aufgrund der Biofilmproblematik konnten wir sie nicht sanieren. Den Patienten haben wir über ein Jahr ambulant i. v. therapiert, immer wieder mit wechselnden Substanzen, weil Ciprofloxacin immer resistent war, Da ist OPAT, APAT natürlich eine sehr, sehr gute Möglichkeit, den Patienten in die Häuslichkeit zu entlassen.

Mathias Pletz: Du hattest ein gutes Beispiel gebracht einer Infektion, die eigentlich recht lang behandelt wird. Generell – können wir, wenn wir heute noch Zeit finden, vielleicht auch kurz anreißen – geht es ja immer darum, kürzer zu therapieren, weil kürzer besser ist. Die Datenlage dazu ist ja mittlerweile erdrückend. Eine der Infektionen, die nach wie vor lange therapiert werden soll, mit Mindestdauer sozusagen, ist die Staph. aureus-Bakteriämie. Da kann ich aus meinen Erfahrungen beisteuern: Da hatte ich einmal einen Patienten in einem anderen Klinikum, da wurden wir telefonisch kontaktiert mit der Frage, warum er jetzt nach Oralisierung ein Therapieversagen zeigte. Es hat sich herausgestellt, dass eben das Staphylex Flucloxacillin i. v. gegeben wurde, und dann wurde auf orales Flucloxacillin gewechselt, was natürlich keine ausreichende Bioverfügbarkeit hat. Deswegen ist es in unserem Haus zum Beispiel gar nicht gelistet, obwohl es offiziell in der roten Liste verfügbar ist. Also, wie du schon gesagt hast, hier muss man sich Alternativen überlegen, die für jeden Patienten, je nach Komorbidität und Allergie, wahrscheinlich unterschiedlich ausfallen wird. Oder ein zweites Beispiel, wo auch die i. v.-Substanz eigentlich gut ist und gute Wirkungen hat, aber die man nicht oralisieren sollte, wäre eben das Cefuroxim, auch wenn das naheliegt, weil es i. v. und oral verfügbar ist. Aber die orale Bioverfügbarkeit von dem Cefuroxim axetil ist eben um die 30 %, und das ist auch einer der Gründe, weil wir es bei unserem Haus zum Beispiel gar nicht gelistet haben. Da kann man wirklich gut die Substanz wechseln. Du hattest noch eine weitere Möglichkeit genannt, wie man einen Patienten, der lange Zeit in der Klinik i. v.-therapiert werden müsste, früher in das häusliche Setting bringen kann, und das war das Dalbavancin. Vielleicht kannst du dazu noch ein bisschen sagen, weil nach meiner Erfahrung viele diese Substanz nicht kennen.

Vorteile von Dalbavancin

Stefan Hagel: Genau. Dalbavancin ist eigentlich eine relativ alte Substanz, aber was heißt alt, sie ist eigentlich schon länger bekannt, erst seit wenigen Jahren jetzt auch in Deutschland verfügbar. Im Endeffekt ist es ein bisschen aufgepimptes Vancomycin. Es ist ein Lipoglykopeptid, aber mit einer besseren bakteriziden Wirkung. Die minimalen Hemmkonzentrationen sind deutlich niedriger gegenüber zum Beispiel Cefazolin oder Flucloxacillin oder auch Vancomycin. Es hat weniger Nebenwirkungen, so gut wie keine Nephrotoxizität, aber der Vorteil der Substanz ist, dass es eine immens lange Halbwertszeit hat. Mit einer Infusion von 1.500 mg haben Sie quasi eine adäquate Konzentration im Gewebe und auch im Knochen von 14 Tagen. Wenn Sie zum Beispiel ein anderes Schema nehmen, da gibt es auch schon eine Studie für Knocheninfektion [5]: Sie haben 1,5 g an Tag 1 gegeben und eine Woche später wieder 1,5 g. Da hatten Sie dann eine Therapiedauer von über sechs Wochen mit einer adäquaten Konzentration. Das ist natürlich für den Patienten, denke ich, die angenehmste Form. Er muss die Tabletten nicht täglich einnehmen – da haben wir schon wieder das Thema der Compliance – und es sind nur zwei Infusionen à 30 Minuten. Im Gegensatz dazu dann APAT, wo er sich selbst täglich, Montag bis Sonntag, seine Infusion geben muss, und natürlich auch der Gefäßkatheter. Das ist, denke ich, schon sehr angenehm für den Patienten, und die Daten, vor allem wieder auch aus Amerika, zeigen auch, dass es gut funktioniert. Auch bei den Patientengruppen wird es häufig eingesetzt, die eine niedrige Compliance haben, also Patienten mit i. v.-Drogenabusus. Sie werden auch sehr ungern mit einem i. v.-Katheter entlassen, weil natürlich das Heroin zum Beispiel darüber gespritzt werden kann. Da gibt es Daten, dass es wirklich gut funktioniert [6].

Sprecher: Bevor es gleich spannend weiter geht, möchten wir Ihnen kurz unsere Lernplattform Wissen wirkt vorstellen. Hier finden Sie Publikationen wie hochwertige Themenhefte und Fragen- und Antwortenhefte, Videos, Podcastfolgen und Sie können die dazugehörigen CME-Module direkt bearbeiten. Laden Sie die App Wissen wirkt für Android und Apple auf Ihr Smartphone oder Tablett herunter oder besuchen Sie die Website www.wissenwirkt.com für weitere Informationen. Die Links finden Sie auch in den Shownotes. Jetzt wünschen wir Ihnen eine interessante Fortsetzung der Podcastfolge von consilium infectiorum – dem infektiologischen Klinik-Podcast.

Mathias Pletz: Wir hatten ja auch aus Europa Daten. Die Wiener setzen das Dalbavancin oft als Salvage-Therapie ein, also bei grampositiven Infektionen, wo sonst nichts mehr funktioniert hat und Mehrfach-Therapieversagen da war und haben da eigentlich auch Evidenzniveau, Fallserien, muss man ganz klar sagen, aber haben da auch in CID [6] zumindest gut publiziert, dass das funktioniert. Ich kann vielleicht auch mal erzählen, wir haben ja auch ein Forschungslabor, in dem wir uns mit Biofilmwirksamkeit von Antibiotika beschäftigen, und haben da innovative Modelle aufgebaut. Wir konnten sehen, dass das Dalbavancin im Gegensatz zum Vancomycin eigentlich schon eine sehr, sehr gute Wirksamkeit bei grampositiven Biofilmen hat. Vom Spektrum her ist es dem Vancomycin recht ähnlich, aber eigentlich noch eher dem Teicoplanin, weil es ja auch noch die VanB-, Vancomycin-resistenten Enterokokken erfassen kann. Aber wenn man mit Kollegen spricht und sagt: ‚Das ist hier ein Antibiotikum, das gebe ich einmal, das hängt dann eine Woche sozusagen im Patienten fest‘, dann ist immer die Sorge und die Frage, was passiert jetzt, wenn er eine Komplikation entwickelt [7]. Dann ist das einmal drin, und ich kann es ja nicht absetzen. Der Spiegel ist ja sehr, sehr lang. Was ist da deine Erfahrung?

Stefan Hagel: Genau. Das ist natürlich immer die Sorge. Die ist auch berechtigt, denn, wenn die Infusion drin ist – wir haben eine Albuminbindung von über 99 % – kann man das natürlich auch nicht rausdialysieren. Aber die Erfahrungen, die wir gemacht haben, und auch in der Literatur, muss man sagen, die Nebenwirkung: An Tag 1 oder Tag 2 wurde Juckreiz beschrieben, eine passagere Erhöhung des Kreatinin oder auch Kopfschmerzen, aber das ist meistens auf die ersten ein, zwei Tage begrenzt, sodass wir und auch in der Literatur gibt es jetzt keine Hinweise, dass man mit irgendwelche schweren anaphylaktischen Reaktionen zu rechnen hätte, die dann protrahiert über mehrere Tage oder sogar Wochen sind [8]. Aber es ist nicht nur Dalbavancin als lang wirksame Substanz, es gibt ja auch bald, hoffe ich mal, oder denken wir, die Zulassung zum Beispiel für Rezafungin, das ist ein Echinocandin, das auch nur einmal in der Woche verabreicht werden muss. Dann kennen wir aus dem Bereich der HIV-Therapie long acting intramuskulär verabreichte Substanzen. Das sind sehr gute Entwicklungen, vor allem für die Patientenzufriedenheit, denke ich. Das ist schon gut.

Mathias Pletz: Wir haben Dalbavancin wirklich nur punktuell eingesetzt, entweder weil wir mit dem Rücken zur Wand standen und die anderen Dinge nicht mehr funktioniert haben, vom Outpatient sozusagen. Das Entlassen mit Dalbavancin hatten wir weniger häufig gemacht. Wenn du vielleicht kurz zusammenfasst, bei welchen Patienten und bei welchen Infektionen wir da etwas eingesetzt haben?

Stefan Hagel: Ganz breit. Von Knochen-Gelenkinfektionen, Enterococcus faecium, Spondylodyszitiden, aber auch Endokarditiden. Dann auch einmal ein Patient aus der Hämatoonkologie, stammzelltransplantiert, bei einer sehr schweren Haut- und Weichteilinfektion. Der Patient war langanhaltend in der Neutropenie. Man muss natürlich sagen, zu 90–95 % ist es alles Off-Label-Use. Das muss man ganz klar sagen. Die Zulassung gibt es nur für Haut- und Weichteilinfektionen. Alles andere, muss man ganz klar sagen, Endokarditiden, Knochen-Gelenkinfektionen, da gibt’s zwar retrospektive Daten, und auch die Erfahrung zeigt, dass es funktioniert, aber es ist halt ganz klar off-label. Gerade wenn man da die Substanz im ambulanten Bereich einsetzt, ist schon die Empfehlung, dass man möglicherweise vorher auch hier noch einmal bei den Krankenkassen das Okay holt. Denn, wie gesagt, die Substanz ist deutlich teurer als Linezolid oder auch alle anderen Substanzen. Da, denke ich, macht es schon Sinn. Auch da hatten wir bisher noch nie Probleme. Aber wie gesagt, das muss nicht heißen, dass die anderen MDKs oder Krankenkassen das genauso sehen.

OPAT, Oralisieren, Dalbavancin – wann welche Option favorisieren?

Mathias Pletz: Also, ich fasse noch einmal kurz zusammen. Wir haben mehrere Möglichkeiten, den Patienten, der lange behandelt werden muss, frühzeitig aus der Klinik zu entlassen. Das eine ist OPAT, also tatsächlich in Zusammenarbeit mit ambulanten Pflegediensten und mit Apotheken, die sich darauf spezialisiert haben, dass i. v.-Therapie auch 3x am Tag zum Beispiel fortgeführt wird, über einen PICC-Line-Katheter zum Beispiel. Dann haben wir die Möglichkeit zu oralisieren, auch bei Infektionen, wo wir uns bislang nicht getraut haben zu oralisieren, weil die Leitlinien diese Option nicht vorgegeben haben. Aber du hattest ja den POET-Trial der Dänen genannt [1] für Endokarditis und ähnliche Daten auch für die Osteomyelitis. Dann haben wir als dritte Therapieoption für bestimmte grampositive Infektionen noch die Möglichkeit mit dem Dalbavancin, das eben einmal gegeben werden muss, dann hat man einen Spiegel für eine Woche, und dann kann der Patient nach einer Woche noch einmal – auch in die Ambulanz – kommen und dort zum zweiten Mal dann die Infusion bekommen. Wenn du jetzt diese drei Optionen im Hinterkopf hast, wie würdest du sie gewichten? Wann machst du was, vielleicht an Beispielen der letzten Patienten festgemacht, die dir einfallen? Wann würdest du welche dieser drei Möglichkeiten favorisieren?

Stefan Hagel: Schwierig, es ist natürlich immer eine patientenindividuelle Entscheidung. Ganz einfach ist es, wenn man eine Infektion mit einem gramnegativen Erreger hat. Wir hatten gerade gestern ein Patientenbeispiel mit einer Knochen-Gelenkinfektion, mit einem ESBL-E. coli, wo es keine orale Therapieoption gab oder gibt. Da ist im Endeffekt die einzige Option, dass man da Carbapenem, zum Beispiel Ertapenem, einmal am Tag über i. v. im häuslichen Setting verabreicht, weil das natürlich eine längere Geschichte wird. Da ist es einfach. Im grampositiven Bereich gibt es viele Optionen. Ich präferiere schon im Endeffekt eine orale Option, muss man ganz klar sagen, wenn es eine orale Option gibt. Gerade was ich vorher als Beispiel genannt habe, Fluorchinolone plus zum Beispiel Rifampicin bei Knochen-Gelenkinfektionen. Wir haben eine gute orale Bioverfügbarkeit, dann haben wir noch die Biofilmwirksamkeit über das Rifampicin. Es gibt aber natürlich auch Patienten, bei denen zum Beispiel aufgrund von Nebenwirkungen – Leukopenie, Thrombopenie – das Linezolid nicht verabreicht werden kann. Fluorchinolone sind vielleicht resistent getestet. Patienten, die eine schlechte orale Bioverfügbarkeit passé haben, beim Kurzdarmsyndrom, da muss man ehrlicherweise sagen, kommt die i. v.-Therapie, die ambulante parenterale Therapie wieder ins Spiel oder auch Dalbavancin als Option.

Die ambulante Versorgung sicherstellen

Was man aber nicht vergessen darf, zu denken: ‚Okay, ich fange jetzt die i- v.-Therapie an, entlasse den Patienten, und es wird sich schon jemand im ambulanten Setting drum kümmern.‘ Also, da muss man ganz klar sagen, wir fühlen uns da weiterhin verantwortlich. Die Patienten müssen auch mindestens, idealerweise einmal in der Woche von einem Arzt gesehen werden. Wenn es bei uns in der Ambulanz nicht möglich ist, weil die Patienten zum Beispiel einen Anfahrtsweg haben von zwei Stunden, weil sie aus Südthüringen kommen, dann kommunizieren wir hier über den Hausarzt, dass der Patient sich dort einmal in der Woche vorstellt. Einfach nur entlassen mit PICC-Line und sagen: ‚Hausarzt, kümmere dich mal!‘, das finden wir kein gutes Konzept. Das muss man als Partnerschaft mit dem Hausarzt vor Ort machen oder eben so, dass die Patienten bei uns in der Ambulanz weiter betreut werden.

Langzeit-Antibiotikatherapie: Clostridium difficile und weitere Folgen

Mathias Pletz: Wie ist in dem Patientenfundus, den du überblickst, bei solchen Langzeit-Antibiotikatherapien das Problem mit Clostridium difficile? Tritt es da häufiger auf, oder gibt es bestimmte Antibiotika-Kombinationen bei bestimmten Patienten, die wir dann eher vermeiden? Wie beziehst du das in deine Überlegungen mit ein, wenn du eine individuelle Entscheidung triffst?

Stefan Hagel: Das ist natürlich immer ein wichtiger Punkt. Teilweise sitzen wir bei einem Patienten und wollen uns entscheiden für eine orale Therapie oder überhaupt eine Therapie und überlegen uns: Clindamycin? Clostridien. Fluorchinolone? Da gibt es einen Rote-Hand-Brief. Orale Beta-Lactame, Cefalexin? Knochengängigkeit. Es gibt für jede Substanz immer irgendwelche Vor- und Nachteile. Das Thema Clostridien ist sicherlich ein Punkt. Was wir dann den Patienten immer noch dazugeben, obwohl die Datenlage da nicht so ist und es auch in den Leitlinien nicht explizit empfohlen wird: Wir geben den Patienten immer noch ein Laktobazillen-Präparat dazu. Man muss gucken, dass man nicht irgendeins nimmt. Da gibt es auch Studien [9], die zeigen, dass unterschiedliche Laktobazillen-Kombination besser vor Clostridien schützen, sodass wir, ehrlich gesagt, bei den Patienten mit einer Langzeit-Antibiotikatherapie, die ich jetzt überblicken kann, bisher noch kein Clostridien-Problem hatten. Was wir aber durchaus gesehen haben, und das hatte ich auch ein bisschen unterschätzt, ist Polyneuropathie bei Langzeit-Linezolid-Therapie. Da waren zwei Patienten mit einer Mykobakterieninfektion, und die peripheren Polyneuropathien sind leider nicht mehr weggegangen. Also sind wir da jetzt ziemlich dahinter her, dass wir die Patienten noch einmal explizit darauf hinweisen, wenn die Füße anfangen zu kribbeln oder wenn es mit dem Sehen schlechter wird, nicht auf den nächsten Arzttermin warten, sondern sofort beenden. Also davor habe ich jetzt sehr viel Respekt.

Mathias Pletz: Das ist ein guter Punkt. Am Anfang hatte man ja bei Linezolid, ich kannte es auch als Tuberkulose-Therapie, bei resistenter Tuberkulose, immer auch einen Sehtest gemacht, denn es gibt ja auch eine Neuropathie des Nervus opticus. Da gibt es immer das Damoklesschwert, dass der Patient irreversibel erblinden kann. Aber nachdem es da einzelne Berichte gab, hat man lange Zeit nichts mehr gehört und hat es auch ein bisschen verdrängt. In der Klinik behandeln wir viel kürzer. Nach welchem Zeitraum ist es ungefähr aufgetreten bei den Patienten, wo du es beobachtet hast?

Stefan Hagel: Bei der einen Patientin war es nach vier Monaten und beim anderen war es nach sechs Monaten. Das sind lange Zeiträume, und natürlich – auch wieder hier ganz klar – die Fachinformation sagt ja auch: nur 4 Wochen, aber wenn man mit dem Rücken zur Wand steht und keine anderen Optionen hat, dann macht man natürlich das, was möglich ist, dann bei den beiden Patienten mit der Nebenwirkung.

Zusammenarbeit mit dem Hausarzt

Mathias Pletz: Also, wichtig, den Hausarzt mit einzubeziehen, ohne ihn geht es nicht, und auch regelmäßig Kontrollen, was Therapieansprechen und mögliche Nebenwirkungen angeht. Was gibst du dem Hausarzt mit, wenn du sagst, er soll sich einmal die Woche vorstellen bei bestimmten Antibiotika? Welche Komplikationen hat man vielleicht nicht so auf dem Schirm? Dass man bei Glykopeptiden auf das Kreatinin achtet und die GFR, das ist klar. Bei Rifampicin guckt man sich die Leberwerte an, und bei Amoxicillin-Clavulansäure sicherlich auch. Aber sind vielleicht Nebenwirkungen von den Medikamenten, die wir einsetzen, die nicht jeder täglich auf dem Schirm hat und wo man den Hausarzt darauf hinweisen muss, dass er noch mal schauen soll?

Stefan Hagel: Gut, wir sagen meistens im Hausarzt, dass er ein Basisprogramm machen soll, ein kleines Blutbild, die Leberfunktion, also ASAT: Bilirubin, Nierenfunktion und bei Infektionen dann auch das CRP, und wir weisen eigentlich gar nicht mehr so speziell drauf hin. Für Beta-Lactame gibt es natürlich auch die Fachinformation, dass sie eine Leukopenie auslösen können. Also, wir weisen jetzt eigentlich gar nicht so explizit auf Nebenwirkungen hin, natürlich auf die Klassiker, Diarrhö, wenn Fieber wieder auftritt, solche Geschichten. Aber, dass wir uns jetzt explizit eine Nebenwirkung raussuchen, das machen wir nicht. Wir lassen uns die Befunde dann faxen, und wenn wir dann schon sehen, okay, da müssen wir aufpassen in die Richtung, dass wir da ein Auge darauf haben. Du hattest die Glykopeptide angesprochen, das Vancomycin. Das würden wir jetzt zum Beispiel nicht mehr im Outpatient-Setting machen. Das wissen wir alle, es kann so schnell gehen, dass die Nierenfunktion kippt. Wenn wir sagen, gut, Freitag geht der Patient einmal die Woche zu seinem Hausarzt, aber halt nur einmal die Woche die Nierenfunktion testen? Das machen wir nicht. Wir wissen ja, dass es andere Alternativen gibt. Dalbavancin, haben wir schon gehört, man kann Linezolid geben. Also Vancomycin wird man da nicht geben, ansonsten eigentlich alle anderen Substanzen, ohne jetzt explizit auf Nebenwirkungen hinzuweisen.

Nicht nur „womit“, sondern auch „wie lange“

Mathias Pletz: Also wichtiger Punkt sicherlich, das Vancomycin, das so nephrotoxisch ist und das man eigentlich wirklich engmaschiger mit Spiegel kontrollieren muss, eignet sich da wahrscheinlich weniger. An der Stelle vielleicht vom Spektrum her ähnlich auch das Daptomycin, da es auch eine sehr gute Biofilmwirksamkeit hat. Und da gibt es ja zwei sehr seltene Nebenwirkungen, also die Rhabomyolyse zum Beispiel und die eosinophile Pneumonie, die schon mal kritisch werden können, die sich im Labor aber eben auch ankündigen über eine Eosinophilie über 20 % oder eine Erhöhung der Kreatinkinase auf Über-5-Fache. Also, wenn man das Ganze sieht, diese drei Therapieoptionen, OPAT, frühe Oralisierung oder eben das Dalbavancin, und sich den Patienten noch ansieht, dann ist man wirklich – Evidenz gibt es zwar, aber das sind immer sehr, sehr individuelle Entscheidungen. Jetzt haben wir sogar noch ein bisschen Zeit. Da können wir noch kurz ein Thema anreißen, für das du dich auch begeisterst. Nämlich noch besser, als den Patienten zu entlassen mit einer langen Antibiotikatherapie, wenn es gar nicht anders geht, ist es vielleicht sogar, kürzer zu therapieren und dadurch auch den Krankenhausaufenthalt zu verkürzen. Da gibt es mittlerweile auch einen erdrückenden Fundus an Daten. Das ist auch eines der zentralen Anliegen von Antibiotic Stewardship. Vielleicht kannst du dazu nochmal etwas sagen. In den letzten Jahren, du arbeitest ja mittlerweile auch schon fast 10 Jahre als Infektiologe, wie hat es sich verändert?

Stefan Hagel: Genau. Das zweite „Hot Topic“ in der Infektiologie neben der Oralisierung ist eben die Therapiedauer. Da, muss man sagen, gibt es jetzt zunehmend gute Daten [10], randomisiert kontrollierte Studien zu den unterschiedlichsten Infektionen. Da kann ich immer nur auf die Seite von Brad Spellberg verweisen. Ich glaube www.bradspellberg.com. Er ist ein Infektiologe aus Los Angeles, und er hat auf seiner Homepage eine sehr gute Übersicht über jede Infektion, die aktuellen Daten oder die aktuellen Studien, die eine Therapiezeitverkürzung zeigen. Als eines deiner Lieblingsthemen: die ambulant erworbene Pneumonie. Da gibt es jetzt Daten publiziert, zuletzt aus Frankreich [11], dass möglicherweise eine 3-tägige Therapie einer längeren Therapie – sie haben eine 8-tägige Therapie gemacht bei Patienten, die am 3. Tag stabil sind und keine SIRS-Zeichen mehr haben – quasi nicht unterlegen ist. Wobei ich mir bei diesen Pneumoniestudien immer denke, wie sicher sind wir denn überhaupt, dass der Patient eine Pneumonie hat? Ich glaube, mehr als die Hälfte der Patienten, die bei uns im Krankenhaus als „Pneumonie“ diagnostiziert wurden, haben vielleicht gar nicht diese klassische Pneumonie mit Pneumokokken oder Legionellen. Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt trauen würde, bei einer dicken Pneumokokken-Pneumonie mit Lobärinfiltrat nur eine 3-tägige Therapie zu machen. Da kommt es auch wieder einmal auf den individuellen Patienten an. Entfiebert? Wie ist der CRP abgefallen? Wie sicher bin ich mir überhaupt? Hat der Patient überhaupt eine Pneumonie, sodass man vielleicht auch ketzerisch sagen könnte, vielleicht hätten einige Patienten in der Studie vielleicht auch gar kein Antibiotikum benötigt, aber das ist natürlich immer nur spekulativ. Therapiedauer Endokarditis: Auch wieder die Dänen mit einer aktuellen Studie [12] wirklich führend. Sie versuchen gerade bei ausgewählten Patienten, hier auch mit einer Streptokokken-Endokarditis, die Therapie auf nur 2 Wochen zu verkürzen. Auch hier, nochmal zurückkommend auf die Oralisierungsstudie [1] – sie haben im Schnitt nach 2 Wochen oralisiert, vielleicht reichen ja auch 2 Wochen Therapie schon vollkommen aus. Auch da, denke ich, wird sich die nächsten 5 Jahre wirklich noch viel ändern. Ich glaube, auch bei einer Staph. aureus-Bakteriämie, diese 14 Tage – weiß ich nicht, ob wir wirklich bei jeder banalen Flexülen- oder Braunülen-Infektion im Krankenhaus wirklich brauchen. Wenn wir uns sicher sind, dass es keine sekundär septische Embolisation gibt, reichen vielleicht auch weniger aus. Aber da bleibt es spannend in den nächsten Jahre, was es da für Studien geben wird.

Mathias Pletz: Also Staph. aureus-Bakteriämie, liebe Zuhörinnen und Zuhören, Sie wissen ja, 14 Tage ist das Minimum für die nicht komplizierte, für die komplizierte 4 bis 6 Wochen. Und Stefan hat es schon angesprochen, da gab es auch eine der wenigen großen deutschen Studien, randomisiert kontrolliert, wo man die Therapiedauer verkürzen wollte, oder das Ziel war zu zeigen, dass eine kürzere Therapiedauer genauso gut wirksam ist. Von Achim Kaasch, Mikrobiologe aus Magdeburg und du hattest schon gesagt, du hattest die Daten gesehen. Sie wurden als Kongress-Abstract vorgestellt. Was kam da konkret heraus?

Künftig in die Richtung frühere Oralisierung

Stefan Hagel: Es ging gar nicht darum, die Therapie insgesamt zu verkürzen, es war einfach, die i. v.-Therapie zu verkürzen. Also die 14 Tage Gesamttherapiedauer sind gleichgeblieben, aber das Studienprotokoll hat eben am Tag 5 bis 7 geschaut, ob der Patient stabil ist, die Blutkulturen negativ sind, ob der Patient entfiebert hat und auch Patienten, die eher niedriges Risiko haben für sekundäre Komplikation. Dann gab’s zwei Arme: einmal die i. v.-Therapie fortführen über insgesamt 14 Tage, so wie es aktuell die Empfehlung ist, oder dass man eben an Tag 5 bis 7 sagt, der Patient kommt in den Oralisierungsarm. Eine der ausgewählten Substanzen war dann zum Beispiel Cotrimoxazol und die restlichen 5 bis 7 Tage sind dann bei den Patienten im Oralisierungsarm oral fortgeführt worden. Es hat sich gezeigt, dass eine frühe Oralisierung bei diesen ausgewählten Patienten, einer insgesamt über 14 Tage fortgeführten i. v.-Therapie nicht unterlegen ist. Aber in beiden Armen haben die Patienten eben 14 Tage Therapie bekommen.

Do und Don´t: Richtige Patienten auswählen und ambulate Versorgung sicherstellen

Mathias Pletz: Ja, wir nähern uns langsam dem Ende des Podcasts, vielleicht nochmal für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Was wären aus deiner Sicht die wichtigsten Dinge, vielleicht zwei bis drei Dinge, an die man denken sollte, wenn man die lange i. v.-Antibiotikatherapie abkürzen will über die drei Möglichkeiten, die wir besprochen haben, und was sind vielleicht auch bestimmte Fehler, die man dabei machen kann, die man möglichst vermeiden sollte?

Stefan Hagel: Also, ein Fehler, den man vermeiden sollte, ist sicherlich, dass man sich den falschen Patienten aussucht. Also, das hatte ich schon gesagt, man muss wirklich schauen, wie das häusliche Umfeld ist. Fühlt sich der Patient sicher, ist er compliant? Ich denke, das ist für alle Optionen das A und O. Dann, der zweite Fehler, den man machen kann, ist natürlich, einfach den Patient zu entlassen und – nach uns die Sintflut – alles dem Hausarzt in die Hand zu geben. Das sind zwei Punkte, die ganz wichtig sind. Ansonsten, wenn Sie einen Patienten haben, wo Sie die drei Möglichkeiten zur Auswahl haben, ist es natürlich immer die individuelle Entscheidung. Oralisierung ist ein gutes Konzept, wenn es die Option gibt. Wenn Sie nur eine i. v.-Therapie als Möglichkeit haben, müssen Sie sich vielleicht, wenn Sie ein ABS-Team haben, zusammensetzen und sich einen Homecare-Dienstleister oder eine ambulante Apotheke suchen, die dieses Konzept anbietet. Es gibt einige in Deutschland, die da sehr weit fortgeschritten sind und gute Services anbieten. Wenn man da im Internet eingibt „APAT, Deutschland“, gibt es einige Anbieter, die es anbieten, dass man sich einfach mit so jemandem zusammenschließt und sich ein Konzept überlegt. Dann ist natürlich das Zugangsmanagement wichtig. Sie müssen auch bei sich im Haus jemanden finden, der eine Midline anlegen kann. Das ist kein Hexenwerk, aber es muss natürlich jemand ausführen.

Es ist natürlich ein bisschen Nischenthema, muss man ehrlicherweise schon sagen. Wir haben auch gedacht, als wir mit dem Thema begonnen haben – ich hatte es vorhin schon kurz angerissen – dass es ganz viele Patienten treffen könnte. Insgesamt machen wir bei uns im Klinikum bei ungefähr 30–50 Patienten pro Jahr eine parenterale Antibiotikatherapie im häuslichen Umfeld. Es ist gar nicht so viel. Ich denke, wenn man ein bisschen genauer nachschauen würde, könnten wir vielleicht noch ein bisschen mehr sehen, und es ist natürlich auch immer sehr unterschiedlich, in welchem Setting Sie arbeiten. Ich könnte mir gut vorstellen, in Bereichen wie zum Beispiel Orthopädie, wo es viele Patienten gibt, die eine lange Antibiotikatherapie benötigen, also prosthetic joint infections, Knie-, Hüftgelenksendoprothetik, Infektionen, die ja wirklich über 12 Wochen therapiert werden müssen. Wenn jetzt keine oralen Optionen zur Verfügung stehen, bieten sich diese Konzepte sehr an. Es ist ein Nischenthema, man muss sich damit beschäftigen, jemand muss sich dafür interessieren. Man kann es nicht von heute auf morgen einfach mal lostreten. Aber wenn Sie es machen, so unsere Erfahrung, machen Sie sehr viele Patienten glücklich. Wenn jemand nicht länger im Krankenhaus liegen muss, ist es natürlich ein Zugewinn an Lebensqualität für den Patienten.

Mathias Pletz: Vielen Dank für die ganzen praktischen Hinweise, auch für die Querverweise zu anderen Quellen. Wenn Sie Fragen haben – wir haben zum Beispiel auf der Homepage unseres Instituts auch eine Konsilnummer, wo man auch einmal nachfragen und sich bei uns beraten lassen kann. Das machen wir als Service eigentlich für das gesamte Bundesland und Stefan hilft da, ist sehr hilfsbereit. Wenn Sie da anrufen, können wir Ihnen auch weiterhelfen, wenn Sie das bei sich in der Klinik etablieren wollen. Ja, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, dann herzlichen Dank auch für Ihr Interesse und fürs Zuhören. Die wichtigen Studien, die wir genannt hatten, so sie denn schon in PubMed verfügbar sind, werden wir in die Shownotes stellen. Sie kriegen auch CME-Punkte dafür, und wenn Sie uns noch nicht abonniert haben, dann würde ich mich freuen, wenn Sie es tun. Wir freuen uns natürlich auch über Feedback. Wir haben schon verschiedene Veranstaltungen geplant. Wir werden die unterschiedlichen Foci durchsprechen, jedes Mal mit netten Experten, die Sie wahrscheinlich auch von den Kongressen kennen. Es bleibt also spannend. Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag und viel Erfolg beim Versorgen Ihrer Patienten!

Referenzen

[1] N Engl J Med 2019; 380:415-424. DOI: 10.1056/NEJMoa1808312

[2] N Engl J Med 2019; 380:425-436. DOI: 10.1056/NEJMoa1710926

[3] N Engl J Med 2005; 353:487-97. DOI: 10.1056/NEJMra050100

[4] J Antimicrob Chemother 2002; 49:897-903. DOI: 10.1093/jac/dkf046

[5] Open Forum Infectious Diseases 2019; 6: ofy331. DOI: 10.1093/ofid/ofy331

[6] Clin Infect Dis 2018; 67: 795-798. DOI: 10.1093/cid/ciy279

[7] Expert Opin Drug Saf 2021; 20:1095–1107. DOI: 10.1080/14740338.2021.1935864

[8] Clin Infect Dis 2005; 40:374–380. DOI: 10.1086/427283

[9] Gastroenterology 2017; 152:1889-1900. DOI: 10.1053/j.gastro.2017.02.003

[10] J Hosp Med 2018; 13: 361-362. DOI: 10.12788/jhm.2904

[11] Lancet 2021; 397:1195-1203. DOI: 10.1016/S0140-6736(21)00313-5

[12] Am Heart J 2020; 227:40-46. DOI: 10.1016/j.ahj.2020.05.012