consilium infectiorum – DER INFEKTIOLOGISCHE KLINIK-PODCAST – #02 – 30.06.2023
consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast
mit Prof. Mathias Pletz
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Hilft (nicht) mehr – Mikrobiologie und Entwicklung der klinischen Resistenzsituation
Zu Gast heute:
PD Dr. med. Béatrice Grabein.
Prof. Mathias Pletz …
… ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Jena, aktueller Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und einer der führenden Infektiologen Deutschlands.
Sprecher: consilium infectiorum – der infektiologische Klinik-Podcast – mit Prof. Matthias Pletz.
Mathias Pletz: Guten Tag, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich begrüße Sie zu einer weiteren Folge unseres Klinik-Podcasts Infektiologie. Heute haben wir eigentlich das Thema, das uns sicherlich in der Infektiologie am häufigsten umtreibt: multiresistente Erreger. Wir haben einen sehr kompetenten Gast, ich freue mich sehr: meine Kollegin und auch gute Freundin Béatrice Grabein. Sie ist Fachärztin für medizinische Mikrobiologie und hat lange Zeit am Max von Pettenkofer-Institut in München die Diagnostik geleitet, hat aber 2010 dann die Stabsstelle Krankenhaushygiene und klinische Mikrobiologie aufgebaut. Ich nehme an, viele von Ihnen kennen sie von Vorträgen. Sie ist auch tätig in der Paul-Ehrlich-Gesellschaft, ist hier die führende Koordinatorin der Leitlinie für die parenterale Antibiotikatherapie, und sie hat auch an anderen Leitlinien mitgearbeitet, zum Beispiel ambulant erworbene Pneumonie, nosokomiale Pneumonie, Sepsis und Meningitis. Wir haben also eine sehr kompetente Gesprächspartnerin heute. Liebe Béa, herzlich willkommen!
Béatrice Grabein: Ja, vielen Dank, lieber Mathias, auch für die nette Einführung. Ich freue mich auf unser Gespräch.
Die stille Pandemie
Mathias Pletz: Antibiotikaresistenz, das Thema gibt es mittlerweile auch in der Laienpresse. Das Thema ist ja omnipräsent. Es gibt auf der einen Seite diese Horrornachrichten von Killerkeimen, auf der anderen Seite haben wir nicht so klare Daten. Da gab es jetzt, als Einstieg sehr gut, diese Lancet-Publikation, wo von der „silent pandemic“ [1] gesprochen wurde, der schleichenden Pandemie. Was kannst du uns darüber erzählen?
Béatrice Grabein: Ja, im Prinzip gab es ja schon 2016 zum ersten Mal Hinweise darauf, dass antimikrobielle Resistenz etwas ist, das für Menschen potenziell lebensbedrohlich sein kann, wenn entsprechende Infektionen auftreten, die nicht mehr adäquat therapiert werden können. Und diese Daten, die 2016 im O´Neill-Report [2] veröffentlicht worden sind, wurden letztendlich immer wieder in Frage gestellt, weil sie im Prinzip von Ökonomen zusammengestellt worden sind und man die Datenbasis ein bisschen angezweifelt hat. Deswegen ist dieser Lancet-Report, der jetzt Anfang 2022 erschienen ist, glaube ich, in dem Kontext so wertvoll, weil er uns aufgrund von wirklich gut zusammengestellten Daten die Relevanz dieses Problems deutlich vor Augen führt. Man hat festgestellt, dass schon im Jahr 2019 letztendlich etwa 5 Millionen Menschen auf diesem Planeten im Zusammenhang mit antimikrobiell resistenten Mikroorganismen und den dadurch verursachten Infektionen verstorben sind. Ungefähr eine gute Million durch die direkten Folgen dieser antimikrobiellen Resistenz beziehungsweise durch die Infektionen durch diese resistenten Erreger, und der Rest im Zusammenhang mit solchen Erregern. Ich finde, das sind erschreckende Zahlen. Wenn man sich anschaut, welche Erreger hier die führende Rolle spielen, dann sind es im Prinzip die, die auch ansonsten sehr viele unserer Infektionen, die wir üblicherweise sehen, hervorrufen. Angefangen von Staphylococcus aureus, Streptococus pneumoniae, dann aber eben gramnegative Stäbchen, Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae, Pseudomonas aeruginosa, letztendlich auch Acinetobacter mit dabei und nicht zu vergessen, was jetzt weniger unser Thema ist, aber trotzdem ein Thema, das weltweit natürlich beiträgt: Mycobacterium tuberculosis.
Mulitresistente sind nicht per se virulenter
Mathias Pletz: Ich glaube, du hast etwas ganz Wichtiges gesagt. Hier gibt es nämlich ein Missverständnis, gerade mit der Laienpresse. Die resistenten Erreger sind nicht per se virulenter oder aggressiver, sondern die Sterblichkeit kommt eben daher, dass wir sie nicht adäquat therapieren. Wobei man auf der einen Seite sagen muss, es gibt neue Antibiotika, also man könnte gezielt auch gut therapieren. Aber wo liegt das Problem? Warum haben wir trotzdem gerade bei schweren Akutinfektionen, wenn ein multiresistenter Erreger zugrunde liegt, diese Übersterblichkeit?
Béatrice Grabein: Ich denke, zum einen ist das Thema, zunächst diesen Erreger zu identifizieren. Wir müssen ja, Gott sei Dank, nach wie vor nicht bei jeder Infektion mit einem dieser multiresistenten Erreger rechnen, und insbesondere natürlich nicht in Ländern wie bei uns in Deutschland. Wir gehören definitiv, Gott sei Dank, nicht zu den Hoch-Prävalenzländern für diese Erreger. Das heißt, wir brauchen die Zeit, um diese Erreger erst einmal zu identifizieren, und wir wissen natürlich, dass für den kritisch kranken Patienten, der jetzt eine Sepsis oder einen septischen Schock hat, Zeit ein wichtiger Faktor ist. Das heißt, jede Stunde oder in dem Fall vielleicht eher jeder Tag, den wir verlieren, um mit der adäquaten Antibiotikatherapie starten zu können, erhöht natürlich das Risiko für diesen Patienten, dass der Erreger nicht adäquat behandelt ist und dass dementsprechend diese Infektion für den Patienten tödlich verläuft. Aber du hast völlig Recht, es hat natürlich überhaupt nichts damit zu tun, dass diese Erreger virulenter sind. Vielleicht kann man manchmal sogar den gegenteiligen Eindruck haben, dass die Wildtypen durchaus in Virulenzfragen den resistenten Erregern sogar manchmal überlegen sind. Für mich ist ein Paradebeispiel Staphylococcus aureus. Ich selber habe wesentlich mehr Respekt vor einer Infektion oder einer schweren Infektion durch einen, in Anführungszeichen „voll sensiblen“ Staphylococcus aureus als durch einen Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus. Insofern ist das eine und das andere überhaupt nicht miteinander vergesellschaftet. Auch bei den Pneumokokken können die ganz normalen, voll sensiblen Pneumokokken durchaus extrem schwere Infektionen verursachen und Menschen umbringen, und das hat nichts mit dem Problem der Resistenz zu tun.
Mathias Pletz: Das war, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, definitiv nicht abgesprochen, und ich finde das ganz spannend. Ich war vor einem Jahr bei den Infektiologen an der University of California Davis. Wir haben uns genau über das gleiche Problem unterhalten und haben dann überlegt, was sind klassische Beispiele für sensible Erreger, die eigentlich eine höhere Virulenz haben als Resistente. Du hattest Pneumokokken genannt, du hattest Staph. aureus genannt. Uns fiel dann noch ein eine nekrotisierende Fasziitis durch Gruppe-A-Streptokokken zum Beispiel. Sie sind auch durchgängig sensibel, machen aber schwerste Infektionen oder aber auch die Meningokokken. Jetzt finde ich das eben sehr gut, dass du als Mikrobiologin da bist. Dann kann ich nämlich eine Frage stellen: Es gibt mittlerweile die PCR-Verfahren, mit denen wir eigentlich in der Lage sind, den Erreger früher nachzuweisen als durch kulturelle Verfahren. Mit deinem Blick als Mikrobiologin und auch als Klinikerin auf diese PCR-Befunde, wo, glaubst du, können wir hier wirklich für die Patienten einen Benefit haben, also multiresistente Erreger frühzeitig und adäquat in der Therapie zu adressieren?
Wie hilft PCR?
Béatrice Grabein: Wir haben natürlich auf der einen Seite Vorteile in dem Sinne, dass allein schon die Information über den Erreger gewisse Konsequenzen im Hinblick auf die Therapie nach sich ziehen kann, auch wenn ich zunächst einmal vielleicht in dem Kontext noch gar nicht so viel weiß über die Empfindlichkeit des Erregers. Aber allein schon zu wissen, ich hab‘s mit Staphylococcus aureus zu tun, oder ich hab‘s mit Pseudomonas aeruginosa zu tun, sind ja ganz wesentliche Informationen, die einem helfen können, die Therapie entsprechend schon in die richtige Richtung zu bringen. Dann kann man natürlich sagen, gibt es Unterschiede bei den Erregern, was die Resistenzmechanismen angeht. Nehmen wir jetzt wieder unser Beispiel Staphylococcus aureus. Da ist das Thema relativ einfach. Wenn der ein MecA-Gen oder auch ein MecC-Gen hat, das ich einfach und schnell nachweisen kann, dann weiß ich, ich habe es mit einem Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus zu tun. Wenn man sich aber die gramnegativen Stäbchen anschaut, die uns ja momentan vor deutlich mehr Herausforderungen stellen, was die Therapieoptionen angeht, dann ist es viel komplexer und dementsprechend auch nicht so einfach, mittels PCR hier schon eine adäquate Information zur Verfügung zu stellen. Zum einen haben wir bei den gramnegativen Erregern das Phänomen, dass die Resistenz oft gar nicht nur auf einem Resistenzmechanismus beruht, sondern auf einer Kombination von verschiedenen Resistenzmechanismen. Das, was wir derzeit per PCR dokumentieren oder nachweisen können, sind Carbapenemasen. Das heißt, da können wir eine Aussage treffen, ob dieser Erreger eine Carbapenemase produziert, und wenn ja welche. Das ist durchaus eine relevante Information, insbesondere wenn sie schnell zur Verfügung steht, gerade im Hinblick auf den Einsatz der neuen Antibiotika. Aber wir wissen nicht, ob der Erreger, obwohl er keine Carbapenemase produziert, vielleicht nicht doch phänotypisch Carbapenem-resistent ist, weil er Effluxpumpen hat, weil er seine Porinkanäle verändert hat, sodass letztendlich auch das zu einer phänotypischen Resistenz führt, dann aber potenziell andere Therapieoptionen oder Therapiemöglichkeiten genutzt werden können oder genutzt werden müssen. Es ist auf der einen Seite schon einmal eine deutliche Verbesserung und sicherlich auch eine Beschleunigung. Auf der anderen Seite bleiben aber manche Dinge einfach der Phänotypie – bis jetzt zumindest noch – so vorbehalten, dass man sagen muss, die braucht es auf jeden Fall auch. Also mit der reinen molekularen Diagnostik sind wir, glaube ich, momentan nicht so aufgestellt, dass wir die Patienten wirklich adäquat behandeln können.
Mathias Pletz: Vielen Dank, dass du das so klar gemacht hast. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich fasse nochmal ganz kurz zusammen. Wir hatten diskutiert, dass zum einen die Übersterblichkeit durch die multiresistenten Erreger nicht durch deren Aggressivität oder Virulenz bedingt ist, sondern weil wir häufig erst zu spät mit unserer Antibiotikatherapie darauf reagieren. Hier könnten wir schneller werden mit PCR-basierten Verfahren. Wir wären schneller als zum Beispiel mit Kultur-basierten Verfahren. Aber da liegt die Tücke im Detail. Bei den grampositiven MRSA hattest du das MecA- oder das MecC-Gen genannt, das für diesen MRSA-Phänotyp spricht. Das kann man mit der PCR schnell detektieren. Man weiß dann, wenn man den Staph. aureus findet und dieses Gen findet, dass es ein MRSA ist. Das gilt auch ein bisschen für die Vancomycin-resistenten Enterokokken. Da habe ich auch nur VanA, VanB, die hier eine Rolle spielen. Aber die Gramnegativen mit ihren multiplen Resistenzmechanismen, die zum Teil gleichzeitig angeschaltet werden, die entziehen sich momentan noch einer guten molekularen Diagnostik mit Ausnahme der Carbapenemasen. Wobei wir mit der PCR nur die nachweisen, wonach wir tatsächlich suchen, muss man sagen. Die Gramnegativen, sagtest du, sind schwieriger in der Diagnostik. Sie sind auch schwieriger in der Therapie. Für unsere Zuhörer: Wie würdest du den „Need“ für neue Antibiotika priorisieren? Die WHO hat dazu ein Papier vorgelegt [3]. Kannst du uns darüber etwas berichten, wo der Schuh am meisten drückt, was die Therapieoptionen angeht?
Problemfeld gramnegative Stäbchen
Béatrice Grabein: Ja, ich denke, die WHO hat sich da wirklich ein Expertengremium zusammengeholt und sich entsprechend beraten lassen. Insofern würde ich keineswegs diesem Expertengremium in irgendeiner Form widersprechen wollen, sondern ich finde, das trifft sehr gut auch das, was wir in der Klinik sehen. Wir haben sicher momentan die größten Probleme in der Therapie von multiresistenten gramnegativen Stäbchen. Acinetobacter baumannii, auch wenn er in Deutschland Gott sei Dank nicht unser primärer Erreger ist, den wir besonders häufig sehen, stellt uns alle vor große Herausforderungen, wenn er ein multiresistenter Vertreter ist. Das Gleiche gilt sicherlich auch für Pseudomonas aeruginosa, wobei wir da glücklicherweise in den letzten Jahren ein paar neue Substanzen mit Wirksamkeit dazubekommen haben. Dann auch die Carbapenem-resistenten Enterobacterales, auch da haben wir zwar inzwischen ein paar Therapieoptionen in der Hand, aber da ist definitiv noch Bedarf. Die Erreger entwickeln sich weiter, was ihre Resistenzmechanismen angeht, und stellen uns wieder vor neue Herausforderungen. Insofern müssen wir am Ball bleiben. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch noch andere Erreger, die durchaus relevant und interessant in dem Kontext sind. VRE, du hattest es schon angesprochen, die Vancomycin-resistenten Enterokokken, machen uns im Prinzip selten wirklich Probleme mit Infektionen. Aber wenn sie Infektionen verursachen, dann haben wir ausgesprochen limitierte Therapieoptionen. Wenn sie Blutstrominfektionen verursachen, sind wir quasi reduziert auf Linezolid und vielleicht noch auf Hochdosis-Daptomycin. Wenn’s Bauchrauminfektionen sein sollten oder er sich im Rahmen einer Bauchrauminfektion mit beteiligt, haben wir mit Tigecyclin noch eine Option, aber das war’s dann auch letztendlich schon. Das heißt, wenn sie sich weiter ausbreiten, brauchen wir definitiv noch mehr Therapieoptionen, gerade für Blutstrominfektionen und andere schwere Infektionen, die ja durchaus auch einmal auftreten können.
Wenige Therapieoptionen bei VRE
Mathias Pletz: Kurze Nachfrage an der Stelle, VRE eher wenig virulent, relevant eigentlich nur, wenn wir es aus sterilem Material nachweisen. Da sage ich meinen Studierenden immer, steriles Material ist alles, was sie nur mit einer scharfen Nadel erreichen. Das heißt also, Biopsien, Liquor, Blutkultur natürlich als das Hauptbeispiel. Hier haben wir tatsächlich, wenn es zur Infektion kommt, die wenigsten Therapieoption. Du hattest ja einige genannt. Vielleicht kannst du nochmal so ein bisschen das „Pro“ und „Con“ Linezolid versus Daptomycin bei der VRE-Bakteriämie sagen. Wie gehst du damit in deiner klinischen Praxis um?
Béatrice Grabein: Wir sind primär in der Regel diejenigen, die auf Linezolid als „erste Wahl“ in Anführungszeichen setzen, wobei das bei den Blutstrominfektionen natürlich ein gewisses Problem mit sich bringt, weil die Datenlage zu Linezolid und Blutstrominfektionen nicht so überzeugend ist. Dafür ist aber die Datenlage zu Daptomycin und Enterococcus faecium genauso wenig überzeugend. Da wissen wir, wenn wir Daptomycin einsetzen möchten, dann brauchen wir auf jeden Fall hochdosiertes Daptomycin, weit über dem, was an zugelassenen Dosierungen empfohlen wird. Dann sind wir in der Regel bei 12 mg/kg KG. Insofern würden wir primär auf Linezolid setzen. Aber wir sehen dann auch schon wieder die Konsequenzen aus einem erhöhten Linezolid-Verbrauch oder -Einsatz. Es gibt nämlich dann den nächsten Schritt, den dieser Erreger tun kann, indem er nämlich dann auch eine Resistenz gegenüber Linezolid entwickelt. Das heißt, wir sind manchmal konfrontiert mit VREs, die zusätzlich Linezolid-resistent sind. Dann wird es ganz bitter mit den Therapieoptionen und wir haben letztendlich nur noch das Daptomycin für die Blutstrominfektionen. Gegebenenfalls, wenn es einmal im Rahmen der Wundinfektion auftreten sollte oder einer intraabdominellen Infektion, dann steht uns auch noch das Tigecyclin zur Verfügung. Es ist aber eben für Blutstrominfektionen nicht geeignet, und genauso wenig, wenn es jetzt eine Harnwegsinfektion wäre. Dann kann man das Tigecyclin auch nicht zum Einsatz bringen. Das ist wirklich eine Situation, wo man abwägen muss: Wo ist potenziell der Fokus, was will ich erreichen und dann muss ich entscheiden, ob ich eher Linezolid oder eher Daptomycin gebe.
Mathias Pletz: Also bei uns genau das Gleiche. Wir überlegen auch bei jedem Patienten. Initial war ich immer ein bisschen „in favor“ für das Daptomycin, weil es auch eine bakterizide Substanz ist. Wir geben auch dann 10–12 mg/kg und, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, es gibt hier zumindest eine Arbeit von, ich glaube 2009 [4], die können wir dann auch in den Shownotes zeigen, die bei gesunden Freiwilligen diese hohe Dosis für mehrere Tage gegeben hat und dann zumindest konstatieren konnte, es gibt keine Akkumulation, es gibt nicht vermehrt Nebenwirkungen, also dass man zumindest, wenn man so etwas im Konsil empfiehlt, zu dieser hohen, nicht zugelassenen Dosis, ein bisschen Literatur hat, auf die man verweisen kann. Was aus meiner Sicht auch noch eine mögliche Therapieoption wäre, da wollte ich dich um deine Meinung fragen, wir haben bei den VREs die VanAs und diejenigen, die durch das VanB-Resistenzgen bedingt sind. Beim VanB-Resistenzgen, wissen wir, funktioniert das Teicoplanin noch, obwohl es eine Glykopeptid ist. Da funktioniert auch das Dalbavancin. Hast du schon Erfahrungen mit Dalbavancin oder wie siehst du es bei VRE-Bakteriämie?
Béatrice Grabein: Wir haben Erfahrungen mit Dalbavancin, aber nicht bei VRE-Infektionen. Nach meiner Kenntnis haben wir es da bisher nicht zum Einsatz gebracht. Ich kenne auch diese Daten, ja, und wir haben das sozusagen im Hinterkopf. Auch insofern interessant, weil inzwischen, zumindest bei uns, über 50 % der Enterococcus faecium-Stämme, die VRE sind, VanB-positiv sind. Da hat sich in den letzten Jahren die Epidemiologie deutlich verändert von früher rein VanA, zu jetzt überwiegend VanB. Von daher ist es schon eine Option, aber, wie gesagt, nachdem die Patienten bislang mit Linezolid oder mit Daptomycin relativ kurzzeitig therapiert in den meisten Fällen tatsächlich einen Therapieerfolg zu verzeichnen haben, ist das Dalbavancin bei uns nicht im Fokus für Enterococcus faecium-Infektionen. Wo es sicher interessant ist, ist insbesondere, wenn man tatsächlich eine Infektion länger therapieren müsste, also etwas wie eine Protheseninfektion, wo Enterococcus faecium ganz selten eine Rolle spielt, aber potenziell ist es vorstellbar. Oder auch mal eine Endokarditis, auch da spielt Enterococcus faecium nach meiner Erfahrung, muss man in dem Fall ganz klar sagen, eine völlig untergeordnete Rolle im Gegensatz zu Enterococcus faecalis. Aber wenn Enterococcus faecium in dem Kontext eine Rolle spielen würde, dann würde für uns das Dalbavancin vielleicht auch eine interessante Therapieoption darstellen, einfach auch wegen der langen Halbwertszeit und der guten Assoziation zwischen Gabehäufigkeit und Wirksamkeit.
Mathias Pletz: Und wie macht ihr es mit Teicoplanin? Gibst du es manchmal, und wenn du es gibst, macht dir Spiegelbestimmungen?
Béatrice Grabein: Nein, ich weiß gar nicht vor wie vielen Jahren wir Teicoplanin zum letzten Mal eingesetzt haben. Das ist bei uns schlicht und ergreifend gar nicht auf dem Schirm, und wir könnten auch keine Teicoplaninspiegel messen. Wir können inzwischen Spiegel für alles Mögliche messen, aber für Teicoplanin nach meinem Kenntnisstand nicht.
Mathias Pletz: Bei uns genau das Gleiche. Die Österreicher geben ja gerne Teicoplanin und können auch eine Spiegelbestimmung durchführen. Wir vermeiden es aber, eben weil wir keine Spiegelbestimmung durchführen können, und das finde ich bei einem klassischen Glykopeptid einfach zu unsicher. Du hattest auch noch gesagt, Tigecyclin ist gut bei VRE, wenn es mal eine Wundinfektion ist oder, wo er häufiger auftritt, bei intraabdominellen Infektionen. Warum kein Tigecyclin, wenn gleichzeitig die Blutkultur positiv ist?
Béatrice Grabein: Das Tigecyclin ist sicherlich eine Substanz, die eine gute Gewerbepenetration hat, aber sie verschwindet quasi umgehend aus der Blutbahn. Das heißt, ich krieg dort überhaupt keine adäquaten Spiegel, um den Erreger aus der Blutbahn eliminieren zu können. Das ist ja aber bei der Bakteriämie schon etwas, das essenziell ist, dass ich den Erreger in der Blutbahn adressiere, damit möglichst schnell die Verteilung beendet werden kann. Das Tigecyclin ist bei Blutstrominfektionen leider keine Option, die uns gut zur Verfügung steht.
Definition ‚MRSA ist multiresistent‘ noch passend?
Mathias Pletz: Genau, eine ganz wichtige Information. Nachdem wir jetzt gerade über den einen grampositiven multiresistenten Erreger gesprochen haben, das zweite Thema an dieser Stelle: MRSA. Wie schätzt du die Therapieoptionen bei MRSA ein? Ist das noch ein großes Problem? Was sagt die Epidemiologie? Was ist deine Sicht auf MRSA?
Béatrice Grabein: Ich bin bei MRSA immer im Zweifel, ob wir ihn überhaupt gerechtfertigterweise noch als multiresistenten Erreger bezeichnen. Das war in der Phase der frühen 90er Jahre, als wir als Therapieoption praktisch Vancomycin hatten und vielleicht noch Teicoplanin, aber sonst eigentlich nichts, sicherlich gerechtfertigt. Wenn wir schauen, haben wir heute bei MRSA als Therapieoptionen fast so viele Substanzklassen wie sonst kaum. Wir haben die Glykopeptide, die Neueren und die Älteren. Wir haben das Linezolid, beziehungsweise die Oxazolidinone, wobei bei uns hauptsächlich das Linezolid im Einsatz und gebräuchlich ist. Wir haben Substanzen wie Fosfomycin, wie Rifampicin, wie Cotrimoxazol, die potenziell, in vitro zumindest, wirksam sind und entweder als Kombinationspartner oder als Therapieoption zur Verfügung stehen. Wir haben für bestimmte Infektionsarten gegebenenfalls die Glycylcycline, also das Tigecyclin, das eine MRSA-Wirksamkeit zumindest in vitro hat. Wir haben inzwischen aber sogar MRSA-wirksame Betalaktam-Antibiotika mit Ceftarolin und mit Ceftobiprol. Wir haben ein „Armamentarium“ zur Therapie zur Verfügung, das erheblich ist, und insofern bin ich der Ansicht, wir müssten eigentlich irgendwann einmal die Entscheidung treffen und sagen, den MRSA unter die multiresistenten Erreger zu rechnen ist nicht mehr wirklich das, was wir tun müssten oder tun sollten.
Sinnvolle Substanzen bei MRSA
Mathias Pletz: Ja, das sehe ich auch so. Wir haben wirklich viele Optionen, je nach Fokus, je nach Komorbidität. Vielleicht können wir die wichtigsten Foci kurz ansprechen. MRSA-Pneumonie: Was ist da deine favorisierte Substanz?
Béatrice Grabein: Ja, Linezolid oder gegebenenfalls eben eines dieser neuen Betalaktame, wobei wir damit tatsächlich auch wenig Erfahrungen haben, muss ich zugeben. Es verschwindet bei uns immer aus dem Fokus, weil man das Linezolid hat. Das ist natürlich „Standard“ in Anführungszeichen, das da zum Einsatz kommt, und dann denkt man wenig über die Alternativen nach.
Mathias Pletz: Das stimmt. Wir haben diese beiden neuen MRSA-Cephalosporine bei uns auch im Haus nicht gelistet, weil wir sagen, wir haben so viele Therapieoptionen, dass wir sie eigentlich nicht brauchen. Bei der MRSA-Bakteriämie, was würdest du da favorisieren? Wahrscheinlich je nach Fokus auch, der dem zugrunde liegt.
Béatrice Grabein: Genau, je nach Fokus, es kommt darauf an. Ich bin, ehrlich gesagt, kein besonderer Vancomycin-Fan, einfach auch wegen der Spiegel, die man die ganze Zeit bestimmen muss. Manchmal ist es auch nicht so einfach, die Patienten adäquat einzustellen. Insofern favorisiere ich mehr Daptomycin. Wie gesagt, je nach Fokus. Wenn der Fokus Lunge ist, dann natürlich nicht, aber bei anderen Foci ist das Daptomycin für mich eine gute Therapieoption, das wäre der Hauptkandidat. Dann ist natürlich bei der Bakteriämie immer die Frage, ist es eine unkomplizierte Staphylococcus aureus– oder MRSA-Bakteriämie oder steckt irgendwie ein Fremdkörper-assoziierter Infekt dahinter? Dann würde ich grundsätzlich – aus Erfahrung heraus, nicht aus der Datenlage, die überzeugend wäre – einen Kombinationspartner dazu addieren, und ob der Kombinationspartner Rifampicin oder Fosfomycin heißt, also etwas mit Biofilmaktivität, das ist dann immer die individuelle Abwägung im Einzelfall. Beim Rifampicin habe ich das Problem, dass ich berücksichtigen muss, ob andere Medikamente wegen anderer Dinge gegeben werden, die dann das Interaktionspotenzial hier zum Problem machen. Wenn ich das habe, dann würde ich natürlich auf Rifampicin auf jeden Fall verzichten. Beim Fosfomycin ist es eher das Thema, dass man den Patienten damit relativ viel Natrium zuführt. Wenn das in dem Kontext und in der Situation schwierig ist, wäre es eher zurückhaltend einzusetzen. Das sind für mich die beiden relevanten Substanzen, die ich dem Daptomycin bei der MRSA-Bakteriämie beiordnen würde.
Mathias Pletz: So machen wir es auch. Zum Daptomycin noch einmal: Wenn die Lunge nicht der Fokus der Bakteriämie ist, hattest du vorhin gesagt, muss man es bei VRE höher dosieren. Wie dosierst du es bei einer klassischen MRSA-Bakteriämie?
Béatrice Grabein: Zwischen 8 und 10 mg/kg KG, und ich sage meinen klinischen Kolleginnen und Kollegen auch immer, zwischen 8 und 10 deswegen, weil man dann ein bisschen Spiel hat. Das Daptomycin gibt es in Dosierungen mit 500 mg und mit 350 mg. Wenn man da ein bisschen variieren kann, kann man in der Regel ganz gut eine Kombination finden, wo man nichts verwerfen muss und die Dosis für diesen individuellen Patienten ganz gut passt.
Mathias Pletz: Dann gibt es ja noch das Tedizolid, das zumindest zugelassen ist und in verschiedenen Ländern verfügbar ist, also sozusagen das Linezolid 2.0, besser verträglich, ein bisschen besser wirksam. Hast du das schon mal eingesetzt? Man kann es ja bekommen über die internationale Apotheke.
Béatrice Grabein: Ehrlich gesagt, nein, wir haben es noch nie benutzt. Da kann ich nicht über Erfahrungen berichten.
Mathias Pletz: Wir haben es auch noch nicht eingesetzt. Ich hatte gestern die italienische Leitlinie zu multiresistenten Erregern gelesen, die vor wenigen Wochen erschienen ist [5]. Da wird es auch als Therapieoption genannt. Wir selber haben auch keine Erfahrung damit. Dann haben wir MRSA wirklich erschöpfend beantwortet. Vielleicht noch eine Frage zur Oralisierung. Da gibt es ja viele verschiedene Optionen. Was ist deine favorisierte Oralisierungsoption, wenn du eine MRSA-Infektion mit einem Fokus hast, der länger therapiert werden muss, wie zum Beispiel eine Spondylodiszitis?
Rifampicin nie als Monotherapie
Béatrice Grabein: Auch da ist das Linezolid schon die Substanz, die wir teilweise einsetzen. Da haben wir die Situation, dass die Zulassung auf 28 Tage beschränkt ist. Potenziell kann man es länger geben, aber dann werden die ansonsten sehr seltenen Nebenwirkungen vielleicht doch tendenziell etwas häufig häufiger. Deswegen ist es immer die Frage, wie geht das, und kann man es tatsächlich dann auf eine orale Sequenztherapie umstellen? Das Rifampicin geht auch per os. Das kann man gegebenenfalls auch als Kombinationspartner hinzuaddieren.
Mathias Pletz: Genau, nicht als Monotherapie, ganz wichtig!
Béatrice Grabein: Um Gottes willen, das Rifampicin niemals als Monotherapie! Es gibt auch Hinweise, dass Linezolid und Rifampicin sich in der Wirkung eher abschwächen. Das sehen wir klinisch definitiv nicht. Wir haben eine ganze Menge Patienten, das sind eigentlich weniger MRSA-Infektionen, sondern eher MRSE-Infektionen bei diesen Patienten, also multiresistente, Koagulase-negative Staphylokokken, die bei diesen Prothesen-assoziierten Infektionen eine Rolle spielen. Sie ziehen aber natürlich genau die gleiche Therapie nach sich wie ein MRSA. Da sehen wir bei diesen Patienten mit dieser Kombination Linezolid + Rifampicin durchaus gute Möglichkeiten, wobei wir bei den Patienten auch zunehmend nutzen, dass wir nicht einfach auf per os umstellen, gerade wenn solche Fragen auftauchen, wie lange therapiere ich und bin ich dann in einem Bereich, wo ich potenziell Nebenwirkungen in irgendeiner Form befürchten muss. Wir versuchen diese Patienten zunehmend auch mit einer ambulanten parenteralen antimikrobiellen Therapie zu versorgen. Da sind langsam aber sicher die Strukturen besser geworden, sodass es tatsächlich ganz gut funktioniert. Man muss so nicht unbedingt auf die orale Therapie umstellen, wenn man der Ansicht ist, dass die orale Therapieoption in dem Kontext vielleicht mehr Probleme macht, als durch die Umstellung auf die orale Therapie gelöst werden. Zusätzlich zum Linezolid, das man per os ausgeben kann, sind ja auch die meisten Staphylococcus aureus und auch MRSA-Stämme auch gegenüber Sulfonamid/Trimethoprim in vitro sensibel, und auch das ist potenziell schon mal eine orale Therapieoption, die man zum Einsatz bringen kann. Gerade, wenn es um Knochen- und Gelenkinfektionen geht, dann ist das mit der Gewerbepenetration dahin auch durchaus eine Möglichkeit, und auch das Cotrimoxazol kann man natürlich mit dem Rifampicin gegebenenfalls kombinieren.
Mathias Pletz: Genau. Noch einmal ganz kurz, warum das Rifampicin nicht als Monotherapie einsetzen?
Béatrice Grabein: Beim Rifampicin haben wir die Besonderheit, dass die Resistenzentwicklung gegenüber Rifampicin eine Ein-Schritt-Resistenzentwicklung ist. Das heißt, es gibt eine Mutation, und damit ist quasi die Population zu 100 % resistent. Dieses Risiko steigt maximal, wenn ich die Substanz alleine ins Rennen schicke. Das heißt, es ist fast zwingend, wenn ich es als Monotherapie einsetze, dass ich damit diese Resistenzentwicklung anstoße und damit letztendlich eben die Therapieoption nicht mehr zur Verfügung steht. Das weiß man schon aus der Tuberkulose-Therapie, wo man Rifampicin ja auch mit zum Einsatz bringt. Aber es funktioniert leider ganz genauso bei Staphylokokken und insbesondere eben auch bei Staphylococcus aureus. Deswegen Rifampicin grundsätzlich immer nur als Kombinationspartner, niemals als Monotherapie.
Gramnegative und der Stellenwert der 3MRGN, 4MRGN-Klassifikation
Mathias Pletz: Danke, das war ein ganz wichtiges Statement. So. Wir wechseln jetzt das Kapitel und widmen uns den wirklich komplizierten Gramnegativen. Da geht es auch schon los mit den Definitionen. Ich glaube, 3MRGN und 4MRGN sind jedem deutschen Arzt ein Begriff. Wenn man in die internationale Literatur sieht, findet man das nicht. Ich muss auch immer meinen Assistenzärzten, wenn sie etwas publizieren wollen, sagen: ‚Bitte verwendet diese Begriffe nicht, wenn ihr internationale Journals ansteuert, weil international mit diesen Begriffen keiner umgeht.‘ Kannst du uns ein bisschen dazu sagen, woher diese Definition kommt und wie die Definition international gesehen wird?
Béatrice Grabein: Im Prinzip muss man sagen, ist diese 3- und 4MRGN-Definition ist ja eine Definition, die von der KRINKO, also von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention geschaffen worden ist. Als sie geschaffen worden ist, das war ja schon Anfang der 10er Jahre, ich glaube 2012 ist die erste Definition erschienen, war das durchaus sinnvoll unter dem Aspekt der Infektionsprävention. Es sollte gesichert werden, dass möglichst schnell diese hoch-resistenten Erreger erkannt werden und die entsprechenden Präventionsmaßnahmen eingesetzt werden in einer Zeit, in der die Diagnostik letztendlich noch mehrere Tage gebraucht hat, um einen Resistenzmechanismus zum Beispiel zu bestätigen. Deswegen hat man gesagt, wir wollen möglichst schnell wissen, haben wir es mit einem potenziellen ESBL-Bildner zu tun, insofern, dass er phänotypisch eben gegenüber Gruppe-3-Cephalosporinen resistent ist oder haben wir es phänotypisch mit einem potenziellen Carbapenemase-Bildner zu tun, indem er eben Carbapenem-resistent ist? Deswegen hat man diese Klassifizierung geschaffen und gesagt, wir schauen uns die Leitantibiotika-Gruppen an, die ganz häufig eingesetzt werden, um schwere Infektionen, kalkuliert zunächst einmal, zu therapieren, also spricht Piperacillin, die Gruppe-3-Cephalosporine, die Carbapeneme und das Ciprofloxacin als Vertreter der Fluorchinolone, und hat dann gesagt: ‚Okay, wenn dieser Erreger gegenüber 3 dieser Leitantibiotika-Gruppen resistent sind, dann bezeichnen wir das als 3MRGN und das zieht bestimmte Infektionspräventionsmaßnahmen nach sich. Wenn er gegenüber allen 4 Leitantibiotika-Gruppen resistent ist, dann bezeichnen wir ihn als 4MRGN und das zieht wiederum auch entsprechende Infektionspräventionsmaßnahmen nach sich.‘ Diese Klassifizierung hat sich in Deutschland relativ zügig verbreitet. Teilweise begegnet mir immer wieder die Situation, dass gar nicht verstanden ist, dass es sich nicht um die generelle Eigenschaft irgendwie handelt und damit der Erreger auch beschrieben ist, sondern dass es eben ein Resistenzphänotyp ist, den ein bestimmter Erreger hat, aber ich muss trotzdem wissen, wie der heißt. Also, es ist interessant, ob ich es mit einem 4MRGN Pseudomonas aeruginosa zu tun habe, oder ob ich es mit einem 4MRGN Enterobacter cloacae-Komplex zu tun habe. Das zieht natürlich vielleicht schon grundsätzlich andere Therapieoptionen nach sich. International hat sich diese Klassifizierung, die ja, wie gesagt, eine rein infektionspräventive oder krankenhaushygienische war, nie durchgesetzt. Man muss sagen, international ist insgesamt das Thema Klassifizierung bei den Gramnegativen oder bei den multiresistenten Gramnegativen auch nicht so einfach. Es gab einmal einen Versuch, zumindest auf europäischer Ebene eine Klassifizierung vorzunehmen, aber auch die ist letztendlich nicht wirklich so, dass sie allgemein verbreitet wäre. Inzwischen ist es so, dass man die Resistenzmechanismen quasi anspricht, also Breitspektrum-Betalaktamasebildung. Das ist sicher auch sinnvoll, gegebenenfalls eben auch unterschieden von dem Thema AmpC-Betalaktamasen, weil das auch wieder unterschiedliche Therapieoptionen nach sich zieht, oder dass man bei den Carbapenem-Resistenten unterscheidet zwischen Carbapenemase-Bildnern und dann auch die Carbapenemase benennt oder identifiziert, und zwischen Carbapenem-resistenten Erregern, die zwar Carbapenem-resistent sind, was die Phänotypie angeht, wo man aber nicht eine Carbapenemase als Ursache für diese Carbapenem-Resistenz identifizieren kann. Bei Pseudomonas aeruginosa ist die Situation noch komplexer, weil da die Carbapeneme nicht die einzige Substanzklasse sind, die letztendlich die Multiresistenz ausmachen – ich finde die amerikanische Bezeichnung ganz schön, die IDSA [Infectious Diseases Society of America] spricht von „difficult-to-treat resistance“ bei Pseudomonas aeruginosa, und ich finde, das trifft es sehr gut, was die praktische Bedeutung angeht. Es geht einfach darum, dass dieser Pseudomonas aeruginosa gegenüber den in der Regel zur Verfügung stehenden Antibiotikaklassen eben nicht mehr empfindlich ist, oder nur noch gegenüber einer dieser Substanzgruppen. Ich glaube, das hilft für die Praxis und für die Therapieoptionen als Klassifikationsmerkmal deutlich besser weiter als die anderen Klassifikationen, rein fokussiert auf eine Antibiotikaklasse.
Sprecher: Darf ich kurz unterbrechen, um Ihnen unser consilium vorzustellen?! Unter der Marke consilium bietet Ihnen Infectopharm über diese Podcastreihe hinaus spannende Fortbildungen, Publikationen und den individuellen Fragen- und Antwortenservice – Produktneutral und für Sie als Angehörige medizinischer Fachkreise völlig kostenlos. Weitere Informationen und Links finden Sie in den Shownotes. Jetzt geht es spannend weiter mit consilium infectiorum – dem infektiologischen Klinik-Podcast.
Resistenzmechanismen und 3 Gruppen von Carbapenemasen
Mathias Pletz: Ja, vielen Dank. Ich fasse an der Stelle noch einmal kurz zusammen, weil das auch von meiner Erfahrung her immer das ist, was am schwierigsten verständlich ist, wenn man mit Klinikern im Konsil spricht: die Resistenzmechanismen bei den Gramnegativen. Unser Hauptproblem ist die Carbapenemresistenz. Carbapenem war ja lange Zeit unser Reserveantibiotikum, das wir beim Therapieversagen eingesetzt haben. Bei den 4MRGNs geht das Carbapenem nicht. Es gibt zwei Hauptresistenzmechanismen, die du auch genannt hattest: zum einen die Carbapenemasen und zum anderen gibt es den Porinverlust, das betrifft die Kanäle, über die die Bakterien Nährstoffe, aber eben auch Antibiotika in ihr Inneres lassen. Wenn dieser Kanal dicht gemacht wird, dann kommt das Carbapenem nicht hinein und es kann eben auch eine Resistenz geben, ohne dass eine Carbapenemase vorliegt. Und es wird leider noch komplizierter, das können wir Ihnen aber nicht ersparen. Die Carbapenemasen sind auch nicht alle gleich. Es gibt in GenBank, von den Sequenzen her, mittlerweile Dutzende, sogar Hunderte verschiedene Carbapenemasen. Die sind natürlich nicht alle klinisch relevant, aber man muss sie auch von den therapeutischen Optionen her entsprechend klassifizieren. Kannst du das einmal für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer herunterbrechen, wie man das macht?
Béatrice Grabein: Im Prinzip gibt es drei relevante Klassen von Carbapenemasen. Die eine Familie – es sind ja, wie du gerade gesagt hast, viele verschiedene Enzyme, die da inzwischen beschrieben sind – die eine Familie sind die KPC-Enzyme. Das steht für Klebsiella pneumoniae-Carbapenemasen, weil sie eben dort zum ersten Mal beschrieben worden sind. Dann gibt es eine Gruppe von Carbapenemasen, die wird mit „OXA“ abgekürzt, und da gibt es eine wesentliche Zahl, nämlich OXA-48. Inzwischen gibt es noch ein paar Varianten von OXA-48, die auch als Carbapenemasen bei Enterobacterales auftreten und fungieren und die in Deutschland bis vor kurzem die häufigsten Carbapenemasen waren, die wir hier gefunden haben. Dann gibt es eine dritte Gruppe von Carbapenemasen, das sind die momentan für uns unangenehmsten, die sogenannten Metallo-Carbapenemasen. Das heißt, sie haben nicht ein Serin im Zentrum ihrer Aktivität, sondern sie haben da Zink, und im Prinzip sind diese Metallo-Carbapenemasen derzeit deswegen so problematisch, weil sie von den aktuell zur Verfügung stehenden Betalaktamase-Inhibitoren, die wir ja haben, nicht adressiert werden. Das heißt, da müssen wir in irgendeiner Form andere Möglichkeiten schaffen, dass wir auch diese Carbapenemasen inaktiviert und den Resistenzmechanismus überwunden kriegen.
Mathias Pletz: Du hattest gesagt, es gibt verschiedene Klassifikationssysteme. Das waren jetzt die Gruppen oder Familien. Dann gibt es die Ambler-Klassifikation mit den Buchstaben. Kannst du dazu noch etwas sagen?
Béatrice Grabein: Diese Ambler-Klassifikation sagt, die KPC-Enzyme würden zum Beispiel in die Klasse A fallen, die Metallo-Betalaktamasen wären dieser Ambler-Klasse B zugeordnet. In der Ambler-Klasse C gibt es keine relevanten Carbapenemasen, und in der Ambler-Klasse D sind die OXA-Enzyme enthalten. Aber man sieht schon an den unterschiedlichen Bezeichnungen, dass es eher Wirrwar in den Begrifflichkeiten gibt. Auch die Benennung von Carbapenemasen folgt bisher keiner Systematik, sondern jeder überlegt sich, wenn er eine neue Carbapenemase beschreibt oder ein neues Enzym, das eine Resistenz vermittelt, wie er das gerne betiteln möchte. Dadurch entstehen eben auch unterschiedliche Namen. Bei den Metallo-Betalaktamasen gibt’s teilweise Hinweise auf den Entdeckungsort. NDM „Neu Delhi Metallo-Betalaktamase“ ist zuerst in Neu Delhi identifiziert worden, oder VIM, „Veronese“, also eine in Verona identifizierte Imipenemase, Carbapenemase. Einer Systematik folgt die Namensgebung und diese Klassifizierung in der Form leider nicht.
Mathias Pletz: Du hattest ja schon gesagt, dass die Metallo-Carbapenemasen am schwierigsten zu therapieren sind, dass die Optionen hier am limitiertesten sind. Wie würdest du diese Gruppen an Carbapenemasen, die du gerade genannt hattest, also Metallo-Carbapenemasen sicherlich am schwierigsten, OXA-48 und KPC in eine Rangreihenfolge bringen, was am schwierigsten, was am leichtesten zu therapieren ist?
Béatrice Grabein: Ich würde sagen, Metallos definitiv an Stelle 1, also am schwierigsten zu therapieren, an 2. Stelle vielleicht die KPC-Enzyme. An dritter Stelle OXA-48, weil es bei OXA-48 von den Daten her so zu sein scheint, dass wir zum einen mit Ceftazidim/Avibactam tatsächlich eine gut wirksame Kombination haben. Da ist aber das Ceftazidim per se schon auch noch eine Substanz, die eine gewisse Wirksamkeit zeigt. Von daher würde ich sie so in die Reihenfolge bringen: Metallo-Betalaktamasen, KPC, OXA-48.
Resistenzgruppen unterscheiden sich zwischen Nationen – und sind im Wandel
Mathias Pletz: Diese Enzyme sind auch unterschiedlich häufig. In Amerika spielt KPC, glaube ich, vor allen Dingen eine Rolle, bei uns OXA-48 lange Zeit und jetzt kommen die Metallo-Betalaktamasen, die Metallo-Carbapenemasen vermehren sich rapide, zumindest nach den Daten, die Prof. Sören Gatermann vom nationalen Referenzzentrum für gramnegative Krankenhauserreger jetzt vor wenigen Wochen publiziert hat. Das Paper hast du sicherlich auch gelesen [6]. Magst du es für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer kurz zusammenfassen?
Béatrice Grabein: Im Prinzip geht es tatsächlich darum, dass jetzt vermehrt Stämme gefunden werden, mit Neu Delhi Metallo-Betalaktamasen. Was, finde ich, noch beunruhigender ist, ist dass aber auch vermehrt Stämme gefunden werden, die nicht nur eine Carbapenemase tragen, sondern eben eine Kombination aus mehreren Carbapenemasen, zum Beispiel NDM plus OXA-48. Offenbar ist diese Entwicklung mit getriggert durch die Patientinnen und Patienten, in dem Fall vor allem tatsächlich Patienten, die wir in den letzten Monaten hier in Deutschland behandelt haben im Rahmen der humanitären Hilfe für die Ukraine und insbesondere für Kriegsverletzte aus der Ukraine. Dort scheinen solche Erreger hoch-prävalent zu sein, und die werden dann eben mit diesen Patienten hier auch zu uns gebracht und bringen für diese Patienten teilweise auch erhebliche Probleme mit sich, was die Therapiemöglichkeiten angeht. Für uns aber eben auch eine Veränderung in der Epidemiologie und neben der Tatsache, dass es uns gelingen muss, diese Patienten optimal zu versorgen, muss es uns gleichzeitig auch gelingen, möglichst eine weitere Verbreitung dieser Erreger innerhalb unseres Landes zu verhindern. Insofern ist hier natürlich die Infektionsprävention das wesentliche Element, das wir mit berücksichtigen müssen.
Mathias Pletz: Kurze Nachfrage: wie macht ihr das persönlich? Wir machen es so, dass wir die ukrainischen Kriegsverletzten, die wir versorgen und zuverlegt bekommen, zunächst isolieren und abstreichen, bevor wir sie in ein Mehrbettzimmer lassen, einfach weil wir gesehen haben, dass es so extrem häufig ist.
Béatrice Grabein: Ja, das machen wir selbstverständlich auch. Das machen wir aber nicht nur mit ukrainischen Kriegsverletzten, sondern grundsätzlich mit allen Patientinnen oder Patienten, die aus einem Gesundheitssystem zu uns kommen, dort behandelt worden sind, die aus Hoch-Prävalenzländern stammen. Das haben wir schon vorher so gehandhabt, und das handhaben wir jetzt natürlich noch ganz genauso. Was ich spannend finde, ist, dass in der Corona-Pandemie, interessanterweise im Jahr 2020 die Nachweisrate an multiresistenten Erregern in vielen Kliniken zurückgegangen ist, auch die Einsenderate an das nationale Referenzzentrum. Dort muss man immer ein bisschen vorsichtig sein. Es ist ja quasi nicht die Inzidenz oder die Prävalenz, die dort erhoben wird, sondern es sind halt die Isolate, die ihnen zur Verfügung gestellt werden zur Typisierung. Aber insgesamt können wir das auch für unser Haus berichten, und das haben auch verschiedene andere große Kliniken und Universitätskliniken so gesehen, dass die Zahl der Patienten, die wir behandelt haben mit diesen multiresistenten gramnegativen Erregern, abgenommen hatte, vielleicht einfach deswegen, weil der Eintrag dieser Erreger in unsere Krankenhäuser eben doch vielfach mit dem Aufenthalt in einem anderen Gesundheitssystem vorher zusammenhängt. Diese Patientinnen und Patienten gab es in der Pandemie oder im Jahr 2020 so gut wie gar nicht. Die deutschen Patientinnen und Patienten sind nicht gereist, das heißt, sie wurden uns dann auch nicht repatriiert, zurückverlegt, nachdem sie im Urlaub oder auf Reisen ein Problem erlitten haben, und ausländische Patientinnen und Patienten, die wir ja sonst auch behandeln und die wir teilweise auch quasi „akquirieren“, in Anführungszeichen, das ist natürlich in dem Rahmen der Pandemie auch nicht passiert. Insofern kann das gut erklären, warum wir eher einen Rückgang hatten. Aber eben jetzt, indem wir Patienten aus Hoch-Prävalenzländern wieder vermehrt behandeln und in dem Fall jetzt das Hoch-Prävalenzland Ukraine, ist auch der entsprechende Anstieg da.
Mathias Pletz: Das ist eine sehr gute Erklärung. Ich habe es zum ersten Mal so gehört, dass es mit dem Erliegen des internationalen Reiseverkehrs zu tun hat, aber das scheint mir sehr plausibel. Wir haben über die Resistenzmechanismen gesprochen, und du hattest vorhin schon gesagt, es macht für dich einen Unterschied, ob es ein Carbapenem-resistenter Pseudomonas oder ein Carbapenem-resistenter Enterobacter zum Beispiel ist. Warum macht das einen Unterschied?
Béatrice Grabein: Bei Pseudomonas weiß ich in der Regel wenig über den Resistenzmechanismus, der die Carbapenem-Resistenz verursacht. Es gibt einige Stämme bei Pseudomonas, die Metallo-Carbapenemasen bilden, in erster Linie VIM, aber das sind zumindest in unserem Setting bestenfalls 10 bis maximal 20 % der Isolate. Ansonsten ist es bei Pseudomonas tatsächlich in der Regel die Kombination aus von Dir angesprochenem Porinverlust plus Effluxpumpen plus was sie noch so alles drauf haben an Resistenzmechanismen, die sie zeitgleich hochfahren können. Da brauchen wir den Mikrobiologen, der uns phänotypisch sagt, was von den neuen oder potenziell älteren Substanzen funktioniert denn bei Pseudomonas hier noch für die Behandlung. Bei Enterobacter cloacae, als Beispiel angesprochen, interessiert uns primär, ist das ja jetzt tatsächlich ein Carbapenemase-Bildner? Wenn ja, welche Carbapenemase bildet er, damit wir entsprechend mitentscheiden können – zusätzlich natürlich zum phänotypischen Antibiogramm – welches der neuen Antibiotika ist hier von der Grundkonzeption her gut geeignet und welches weniger.
Neue Therapieoptionen bei multiresistenten Gramnegativen
Mathias Pletz: Damit hast du schon gekonnt die Überleitung gebaut. Wir wollen jetzt in den letzten Minuten über die neuen Therapieoptionen bei den multiresistenten Gramnegativen sprechen. Es sind ja mittlerweile 5 zugelassen und in Deutschland auch verfügbar. Aus deiner Sicht, was habt ihr bei euch in der Klinik gelistet, und vielleicht auch, wo setzt du welche Substanz ein?
Béatrice Grabein: „Gelistet“ in Anführungszeichen haben wir bei uns keine dieser neuen Substanzen, weil sie bei uns alle nur mit infektiologischem Konsil und nach dem Vier-Augen-Prinzip vergeben werden dürfen. Aber wir haben potenziell natürlich alle zur Verfügung. Ich fange vielleicht einmal in der Reihenfolge des Erscheinens an, also mit dem ersten Antibiotikum, das hier dazugekommen ist: Ceftolozan/Tazobactam. An Ceftolozan/Tazobactam interessiert uns in erster Linie die gute Wirksamkeit gegenüber Pseudomonas aeruginosa und eben auch gegenüber vielen multiresistenten Stämmen. Das heißt, es ist eine Substanz, die wir bei Pseudomonas-Infektionen durchaus gerne und häufiger zum Einsatz bringen. Dann kam als Nächstes Ceftazidim/Avibactam. Das Ceftazidim/Avibactam ist ja eine Substanz, die aufgrund des Avibactams sowohl eine Stabilität gegenüber den KPC-Carbapenemasen aufweist als auch eine Wirksamkeit gegenüber OXA-48 hat. Also insofern ist es bei den Enterobakterien, die einen dieser Resistenzmechanismen aufweisen, unsere Substanz, mit der wir inzwischen einfach auch aufgrund der Zeit am meisten Erfahrungen gesammelt haben. Dann kam als Drittes, glaube ich, das Cefiderocol vor dem Imipenem/Relebactam, meine ich. Cefiderocol ist quasi ein Cephalosporin, das eine Besonderheit insofern ausweist, weil es einen Siderophor-Anteil hat und damit quasi so tut, als würde es für die Eisenversorgung der Bakterienzelle essenziell sein. Die Bakterienzelle nimmt das Cefiderocol beziehungsweise dieses Siderophor auf und nimmt damit auch gleichzeitig das Cefiderocol auf, und diese Substanz ist per se stabil gegenüber den Carbapenemasen, die wir kennen. Interessanterweise ist es auch stabil gegenüber diesen Metallo-Carbapenemasen, also insofern primär die Substanz, die wir deswegen bei diesen Metallo-Carbapenemase-Bildern im Blick haben würden. Cefiderocol hat so ein paar „Erklärungsprobleme“, über die wir gerne dann noch reden können, was jetzt die Zulassungsstudien angeht. Dann haben wir Imipenem/Relebactam, das ist ja im Prinzip ein altes Carbapenem, das wir sehr gut kennen und das mit einem neuen Betalaktamase-Hemmer kombiniert worden ist. Dieses Relebactam adressiert interessanterweise OXA-48 nicht, sondern nur KPC. Metallo-Betalaktamasen werden davon auch nicht adressiert. Nachdem wir hier kein KPC-Land sind und selten Probleme mit KPC haben, ist es eine Substanz, die wir bisher vom Einsatz her noch kaum kennen. Was aber beim Imipenem/Relebactam auch interessant ist, dass es einige Resistenzmechanismen bei Pseudomonas gibt, die das Imipenem alleine betreffen, die aber dann durch die Zugabe von Relebactam tatsächlich aufgehoben werden können. Das heißt, auch hier ist eine Substanz da, mit der wir potenziell manche resistente Pseudomonas-Infektion adressieren könnten. Als Fünftes meinst du Eravacyclin?
Mathias Pletz: Ich dachte eher an das Meropenem/Vaborbactam.
Béatrice Grabein: Okay, Meropenem/Vaborbactam kam sozusagen dazwischen. Es ist zwar in Europa zugelassen, aber in Deutschland nicht im Markt verfügbar. Auch das Meropenem/Vaborbactam ist so wie das Imipenem/Relebactam ein altes Carbapenem, das wir sehr gut kennen, in Kombination mit einem neuen, in dem Fall Borsäure-basierten Betalaktamase-Hemmer. Aber auch dieses Vaborbactam adressiert ausschließlich KPC, also weder OXA-48 noch die Metallo-Betalaktamasen. Von daher ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass es im amerikanischen Markt gut Fuß gefasst hat – dort KPC-Land, dort ein Problem, das relevant ist – aber bei uns eben bisher noch gar nicht in den Markt eingeführt worden ist, weil man sich wohl davon nicht allzu viele Einsatzmöglichkeiten aufgrund der nicht vorhandenen KPC-Infektionen verspricht.
Zulassungen und Acinetobacter baumannii als besondere Herausforderung
Mathias Pletz: Nachdem wir kurz über diese fünf neuen Betalaktam-Antibiotika mit Wirksamkeit gegen Carbapenem-resistente Gramnegative gesprochen haben – wobei man einschränkend sagen muss, das „Meropenem der 90er“ ist momentan nicht in Sicht, also eines, das alle Carbapenem-resistenten Gramnegativen gleichzeitig adressieren würde; jede dieser Substanzen hat ihre Lücken, hat ihre Vor- und Nachteile – wollte ich mit dir kurz über die Zulassung sprechen. Du hattest es ja schon angesprochen. Klassisch haben wir bei neuen Antibiotika immer, dass es Phase-III-Studien gibt. Das sind alles welche, die adressieren vor allen Dingen gramnegative Probleminfektionen. Also waren auch die Foci in den Phase-III-Studien typische gramnegative Foci. Es ging los mit „komplizierten Harnwegsinfektionen“, lief das gut, war die nächste Phase-III-Studie „intraabdominelle Infektionen“ und dann, sozusagen die Königsdisziplin, die „nosokomiale Pneumonie“, die ja gramnegativ dominiert ist, im Gegensatz zur ambulant erworbenen Pneumonie. Dann gab es aber bei der Zulassung noch Besonderheiten, ich glaube, das waren die beiden Letzten. Bei Cefiderocol gab es eine Besonderheit, und da war noch das Imipenem/Relebactam, wo im Zulassungstext jetzt steht: „für gramnegative aerobe Infektionen durch schwer zu therapierende Erreger“. Kannst du dazu noch etwas sagen? Es ist ja ein totales Novum, das hier gegangen wird, dass man die Antibiotika nicht mehr nur fokusspezifisch zulässt, sondern sozusagen erregerspezifisch.
Béatrice Grabein: Die erste Substanz, die erregerspezifisch nach-zugelassen worden, ist tatsächlich Ceftazidim/Avibactam. Da hat man zum ersten Mal eine Zulassung ausgesprochen für diese nicht mehr einzeln indikationsbezogenen Einsatz, was jetzt Organsysteme angeht, sondern wirklich für einen erregerbezogenen Einsatz. Das Problem ist, dass in den Studien zu Ceftolozan/Tazobactam und auch zu Ceftazidim/Avibactam in den klassischen Zulassungsstudien natürlich überhaupt keine Patienten untersucht worden sind, die jetzt solche resistenten Erregerinfektionen haben, weil die Vergleichsregime ja diese Erreger nicht adressiert hätten. Man konnte ja nicht die Patienten, die der Vergleichsgruppe zugeordnet worden sind, einem höheren Risiko aussetzen. Als man aber erkannt hat, dass bei diesen neuen Substanzen ja der interessante Teil eben der ist, die resistenten Erreger oder diese Infektionen zu adressieren, hat man von Seiten der Zulassungsbehörden umgedacht und hat dann quasi ein anderes Studiendesign gefordert und gefördert. Die erste Substanz, die in diese Richtung begonnen hat, war tatsächlich Meropenem/Vaborbactam. Dort hat man zum ersten Mal dann eine Vergleichsstudie aufgelegt, die keinen klassischen Vergleichsarm hatte, sondern wo man gesagt hat, die neue Substanz wird verglichen mit der in den Augen der Behandler besten verfügbaren Alternativtherapie, um eben diese Art von erregerbezogener Information zu gestalten. Man hat bei Meropenem/Vaborbactam schon gesehen, dass dieses Studiendesign ausgesprochen komplex ist, und dass es auch sehr schwierig ist, Patienten für diese Studien zu akquirieren, weil natürlich gerade die Patienten, die von diesen Infektionen und von diesen Erregern betroffen sind, oft komplex und kritisch kranke Patientinnen und Patienten sind, die dann wiederum viele Ausschlusskriterien für solche Studien erfüllen, und dementsprechend ist da das Einschließen von solchen Patienten komplex. Die nächste Substanz, für die man das eben auch gefordert hat, und das ist vor allen Dingen die EMA [European Medicines Agency], die diese Forderungen auch aufstellt, war das Cefiderocol. Da gab es dann diese CREDIBLE-Studie [7]– auch eine Studie, wo man Cefiderocol und in der Vergleichsgruppe die beste verfügbare Vergleichstherapie zum Einsatz gebracht hat. Und beim Imipenem/Relebactam hat man es nicht ganz in dem Sinne so gemacht. Da hat man Imipenem/Relebactam mit einer festen Vergleichsgruppe Imipenem plus Colistin verglichen. Hier hat man nicht die beste verfügbare Vergleichstherapie offen gelassen, sondern hat ein Vergleichsregime definiert, das eine wirksame, zumindest in vitro wirksame, Komponente enthalten hat, um diese Erreger zu adressieren.
Mathias Pletz: Du hast eine ganz wichtige Studie genannt, die CREDIBLE-Studie beim Cefiderocol. Eigentlich haben wir ja alle gehofft, dass das Cefiderocol, weil es eben auch gegen die Metallo-Carbapenemasen stabil ist, all unsere Probleme löst. Nach der Studie bei der nosokomialen Pneumonie sah es auch sehr gut aus. Dann kam diese CREDIBLE-Studie, wo nur Patienten mit Carbapenem-resistenten Gramnegativen eingeschlossen wurden, vollkommen unabhängig vom Fokus, und die war leider nicht so gut. Kannst du etwas dazu sagen?
Béatrice Grabein: Ja. Im Prinzip muss man sagen, da sind Patienten mit drei Entitäten drin: Blutstrominfektionen, Pneumonien und komplizierte Harnwegsinfektionen. Die komplizierten Harnwegsinfektionen können wir außen vor lassen, weil sich da der Effekt, den wir jetzt gerade diskutieren wollen, nicht gezeigt hat. Aber das ist auch verständlich, Harnwegsinfektionen haben Gott sei Dank ja insgesamt eine niedrige Letalität und insofern spielt es da auch keine relevante Rolle. Aber bei den Pneumonien und bei den Blutstrominfektionen gab es eine Übersterblichkeit in der Cefiderocol-Gruppe. Das hatte primär natürlich niemand vermutet, und man hat dann versucht herauszufinden, was möglicherweise eine Erklärung dafür ist. Es gibt eine ganz interessante Erklärung. Wenn man sich anschaut, welche Erreger diesen Therapieversagern zugrunde lagen, dann war das überzufällig häufig Acinetobacter baumannii. Die Patienten, die eine Acinetobacter baumannii-Infektion hatten, da war die Sterblichkeit in der Cefiderocol-Gruppe bei knapp 50 % und in der Beste-Vergleichstherapie-Gruppe 18 %. Jetzt ist die Frage, die man sich stellt, ist diese Sterblichkeit in der Cefiderocol-Gruppe überzufällig hoch, oder ist die Sterblichkeit in der Beste-Vergleichstherapie-Gruppe ungewöhnlich niedrig? Wenn man sich andere Studien anschaut, die Acinetobacter baumannii-Infektionen adressiert haben, AIDA-Studie zum Beispiel von Mical Paul [8], überhaupt nichts, was irgendeine Pharmafirma gesponsert hat, sondern eine reine investigator iniciated study, die jetzt auch nicht als Acinetobacter baumannii-Studie primär designt war, aber die letztendlich fast eine Acinetobacter-Studie geworden ist, weil ¾ der Patienten eine Acinetobacter-Infektion hatten, dann liegen die Letalitäten in den dort untersuchten Therapieregimen genau in dem Bereich oder sogar etwas höher als in der Cefiderocol-Gruppe. Also, ich glaube, die Schlussfolgerungen, die man aus der CREDIBLE-Studie ziehen darf, sind, dass wir bei Acinetobacter baumannii nach wie vor keine optimale Therapieoption zur Verfügung haben, auch nicht mit dem Cefiderocol. Im Hinblick auf die Betalaktamase- oder Carbapenemase-Bildner, wenn man sich die anschaut, ist diese Übersterblichkeit nicht zu beobachten. Auch aus den jetzt langsam aber sicher kommenden Reale-Welt-Daten sieht man im Prinzip diesen Effekt bei den Metallo-Betalaktamase-Bildern nicht, den man jetzt bei Acinetobacter baumannii gesehen hat. Es gibt inzwischen auch zu Acinetobacter baumannii eine, allerdings monozentrische Studie aus Italien [9], die sich aber immerhin Patienten mit Blutstrominfektionen angeschaut haben und auch über 100 Patienten mit Blutstrominfektionen, wo sich diese Übersterblichkeit in der Cefiderocol-Gruppe auch nicht bestätigt, sondern im Gegenteil, wo in der Cefiderocol-Gruppe die Letalität sogar ein Stückchen niedriger ist als in der Vergleichstherapie. Ich denke, dies Fragen, die die CREDIBLE-Studie aufwirft, sind schwierig zu beantworten und sicherlich auch nicht komplett adäquat beantwortet. Aber ich glaube nicht, dass sie wirklich darauf hindeuten, dass das Cefiderocol insgesamt das Ziel verfehlt hat, sondern dass wir mit Acinetobacter baumannii definitiv einen Erreger haben, der uns vor ganz besondere Herausforderungen stellt.
Mathias Pletz: Wenn man sich die Leitlinien ansieht, die dazu jetzt publiziert wurden, also die ESCMID [European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases] hat ja eine Leitlinie publiziert, die Amerikaner, die IDSA, hat eine Leitlinie publiziert, die Italiener haben jetzt vor kurzem [5,10,11], die hatte ich ja schon genannt, eine Leitlinie publiziert. Wenn man streng nach Evidenz geht, ist es tatsächlich so, dass auf Grund dieser CREDIBLE-Studie das Cefiderocol nicht als Monotherapie bei Acinetobacter baumannii empfohlen wird, sondern dass das alte Colistin – das ja in diesen ganzen Studien, die du genannt hattest, meistens die häufigste Vergleichstherapie war, dass dieses Colistin, das wir eigentlich nicht mehr so gerne einsetzen wollen, weil es zum einen sehr nephrotoxisch ist, weil es zum anderen gar nicht so gut und so schnell den Erreger abtötet wie ein Betalaktam-Antibiotikum – aber es hat eben immer noch einen Stellenwert als Bestandteil einer Kombinationstherapie bei schweren Infektionen durch multiresistente Acinetobacter baumannii. Das habe ich zumindest in den letzten Leitlinien so gesehen.
Béatrice Grabein: Wobei ich finde, da ist die Datenlage zum Colistin nicht wirklich so überzeugend. Was ich da interessant finde, ist: Wir haben ja einen Uralt-Betalaktamase-Inhibitor, das Sulbactam. Das Sulbactam haben wir interessanterweise in Deutschland tatsächlich auch als Monosubstanz zur Verfügung. Das Sulbactam ist bei Acinetobacter baumannii kein Betalaktamase-Inhibitor, der eine Relevanz hätte, aber es hat tatsächlich eine antibakterielle Eigenaktivität gegenüber Acinetobacter baumannii, die wohl auch nicht schlecht ist. Deswegen finde ich auch Ansätze, wie die jetzt kommenden mit dem Durlobactam/Sulbactam ganz spannend, was Acinetobacter baumannii-Infektionen angeht, denn das Colistin kann bestenfalls jetzt noch eine Interimslösung sein, bis wir wirklich etwas Besseres haben. Aber es ist letztendlich keine Substanz, die jetzt in irgendeiner Form diese Probleme relevant zu lösen vermag.
Inhalative Antibiotika?
Mathias Pletz: Noch eine Frage zu deiner klinischen Praxis. Wie macht ihr das, wenn ihr mal zum Beispiel eine Pneumonie mit multiresistenten Gramnegativen habt, auf der Intensivstation, beim intubierten Patienten? Gibst du dann zusätzlich zur systemischen Monotherapie, vielleicht mit einem der neuen Betalaktame, auch inhalatives Colistin und Aminoglykoside dazu?
Béatrice Grabein: Also, in dem Fall bin ich nicht die Führende. Wir haben bei uns verschiedene Intensivstationen, die von verschiedenen Fachdisziplinen geführt werden, und die anästhesiologisch geführten Intensivstationen sind tatsächlich Intensivstationen, die bei vielen dieser Patienten zusätzlich eine inhalative Therapie mit Colistin oder gegebenenfalls auch einmal mit einem Aminoglykosid durchführen. Zumindest sehen wir bei diesen Patienten durchaus eine raschere Elimination der Erreger aus dem Trachealsekret, was immer das bedeuten mag. Ob das tatsächlich dazu führt, dass dann auch eine schnellere Heilung eingetreten wäre, können wir natürlich in dem Sinne nicht sagen, weil wir ja keine Vergleichsgruppe haben. Grundsätzlich ist es aber eine Methode, die etabliert ist. Es liegt vielleicht auch mit daran, dass natürlich auf diesen Stationen viele von unseren transplantierten Patienten therapiert werden, also zusätzlich noch immunsupprimierte Patienten und insbesondere lungentransplantierte Patienten, die therapiert werden, wo die inhalative Gabe von Substanzen sowieso etwas ist, das da häufiger stattfindet. Es ist da ein durchaus etabliertes Therapiekonzept. Den Kolleginnen und Kollegen von der Intensivmedizin, die es machen, ist, durchaus bewusst, dass die Datenlage dazu ausgesprochen dünn ist, aber in dem Fall führt die eigene Erfahrung dazu, dass das als Konzept derzeit auf jeden Fall beibehalten wird.
Einsatz nach dem Vier-Augen-Prinzip
Mathias Pletz: Ja, das sehe ich auch so. Zum einen hatte Stefan Kluge schon mal publiziert [12], dass eine Monotherapie mit den neuen Betalaktamen, das waren damals Ceftolozan/Tazobactam, Ceftazidim-Avibactam auch zu einer Resistenzselektion gegen die neuen Betalaktame führen kann und wenn du eben sagst, dass die inhalative Gabe von Colistin – oder in einer Metaanalyse war interessanterweise sogar das Tobramycin besser als das Colistin – zu einer Eradikation führt, dann können wir zumindest vermeiden, dass hier neue Resistenzen gegen unsere Reserve-Antibiotika selektioniert werden. Und tatsächlich, die Metaanalysen zeigen auch, dass, wenn eine inhalative Therapie irgendeinen Benefit hat, dann wahrscheinlich bei den Patienten mit multiresistenten Erregern, aber definitiv nicht als Standard. Vielleicht zum Abschluss noch eine Frage: Wie werden denn diese neuen Substanzen bei euch in der Klinik eingesetzt? Also ich nehme mal an, definitiv nicht zur empirischen Therapie, sondern nur gezielt. Aber wie habt ihr das geregelt? Wer darf sie einsetzen?
Béatrice Grabein: Also, sie werden definitiv natürlich nur zur gezielten Therapie eingesetzt, und das halte ich zum jetzigen Zeitpunkt auch für den einzig rationalen Einsatz dieser Art von Antiinfektiva. Bei uns gibt es in der Mikrobiologie die Situation, wenn ein entsprechend resistenter Erreger identifiziert wird, dann leider nicht im primären Panel, dazu sind es zu wenige. Die Substanzen werden nicht gleich mitgeliefert, aber sie werden dann komplett nach-getestet, und das Ergebnis steht dann natürlich auch zur Verfügung. Dann können die Intensivmediziner selbstverständlich den Einsatz dieser Substanzen vorsehen oder sagen, sie möchten diese Substanz gerne einsetzen. Dann gibt es ein sogenanntes Vier-Augen-Prinzip, das heißt, es gibt eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen im Haus, die mit schauen und dann sagen: ‚Ja, passt in dem Fall. Für diesen Patienten ist es eine Therapie, die wir jetzt einsetzen wollen oder nicht, und es besteht natürlich auch die Möglichkeit – das Infektiologie-Team ist nicht 7 Tage die Woche und 24 Stunden am Tag verfügbar – dass man zunächst mal für 2 Tage die Therapie auf der Intensivstation, aber auch nur dort, schon mal beginnen kann und dann nachträglich die vier Augen draufschauen und das bestätigen beziehungsweise gegebenenfalls ändern würden. Dieses Verfahren hat sich durchaus bewährt.
Mathias Pletz: Genauso ist das bei uns auch geregelt, und ich war auch bei den G-BA-Verhandlungen als Experte eingeladen. Da wird jetzt auch immer festgeschrieben, also das hat sich der G-BA [Gemeinsamer Bundesausschuss] auch gewünscht, dass diese neuen Antibiotika tatsächlich nur eingesetzt werden, wenn ein zweiter Kollege, idealerweise mit einer mikrobiologischen oder infektiologischen oder ABS-Ausbildung, damit drauf geguckt hat und die Indikation nachvollziehen kann. Das finde ich ganz wichtig. Ich könnte noch sehr, sehr lange mit dir sprechen. Ich finde es spannend und wir kennen uns gut. Wir arbeiten auf dem gleichen Gebiet, aber ich kriege immer ein paar Informationen, die ich so noch nicht gesehen hatte. Also ich lerne immer etwas dazu. Vielen Dank an der Stelle. Wir haben einen sehr großen Bogen geschlagen über die Krankheitslast der multiresistenten Erreger, die eben vor allen Dingen dadurch zustande kommt, dass wir zu spät die adäquate Therapie einsetzen. Wir haben über eine mögliche schnellere Diagnostik gesprochen durch PCR, wobei wir wissen, MRSA und VRE können wir gut nachweisen, da gibt’s nur ein Resistenzgen. Bei den Gramnegativen kommen auch die neuen PCR-Methoden an ihre Grenzen. Dann hatten wir über die grampositiven Multiresistenten gesprochen, MRSA, VRE. VRE: therapeutisches Problem, aber zum Glück nicht so virulent, eigentlich nur bei den invasiven Infektionen ein großes Problem. Bei MRSA haben wir mittlerweile unterschiedliche Substanzen, die wir einsetzen können. Zum Schluss haben wir sehr lange über die multiresistenten Gramnegativen gesprochen und hier sticht Acinetobacter baumannii etwas heraus, weil keine der neuen Substanzen, die wir auch diskutiert hatten, hier wirklich den Durchbruch bringt. Aus Deiner Sicht zwei, drei wesentliche Dinge, Fehler, die man vermeiden könnte, oder Dinge, die man unbedingt tun sollte, Dos & Don‘ts sozusagen. Was würdest du den Zuhörerinnen und Zuhörern noch mitgeben?
Die Dos & Don’ts von Dr. Béatrice Grabein: kommunizieren, keine Kolonisation therapieren, neue Antiinfektiva sinnvoll nutzen
Béatrice Grabein: Zum einen würde ich gerne mitgeben: Kommunizieren Sie! Kommunizieren Sie zum einen mit Ihrem mikrobiologisch-diagnostischen Labor, zum anderen aber auch mit den Expertinnen und Experten im eigenen Haus, also den klinisch tätigen Expertinnen und Experten, und holen sie sich in komplexen Situationen Rat und Hilfe. Das ist, glaube ich, bei diesen Patientinnen und Patienten definitiv ein Gewinn. Das Nächste, was ich für ganz wichtig halte und was wir vielleicht noch nicht genug betont haben, ist, therapieren Sie keine Kolonisation, sondern therapieren Sie grundsätzlich nur Infektionen. Das ist manchmal nicht ganz einfach auseinanderzuhalten, aber in vielen Fällen geht es sehr gut. Niemand profitiert von der Therapie einer Kolonisation. Wir reden jetzt nicht über Dekolonisierungsversuche bei MRSA mit topischen Substanzen, sondern wir reden über systemische Antibiotikatherapie in der irrigen Meinung, dadurch irgendetwas an irgendeiner Kolonisation verändern zu können. Sie würden nur Schaden anrichten, aber keinerlei Nutzen. Und für die neuen Antiinfektiva, würde ich sagen, gilt: Nutzen Sie sie! Nutzen Sie sie da, wo sie sinnvoll zum Einsatz gebracht werden, und hören Sie nicht darauf, wenn Ihnen jemand sagt: ‚Ja, nehmen sie ein Altes‘, möglicherweise schlecht verträgliches und wesentlich schlechter untersuchtes Antibiotikum wie Colistin oder ein Aminoglykosid, die teilweise leider in der europäischen Leitlinie als Monotherapie [10] empfohlen werden in bestimmten Situationen. Das kann ich nicht nachvollziehen und halte ich auch ganz im Gegenteil zu der ESCMID-Leitlinie keineswegs für eine „good clinical practice“, wie es dort konstatiert wird.
Mathias Pletz: Ja, vielen Dank, das war nochmal ein wichtiger Hinweis. Übrigens fasst die italienische Leitlinie es auch so zusammen wie du es gerade gesagt hast, und sie haben bei den Empfehlungen expressis verbis dahinter geschrieben: „Das wichtigste Kriterium bei der Auswahl einer Substanz sollte der Nutzen für den Patienten und nicht die Ökonomie sein.“ Dem sind wir als Ärzte, glaube ich, in erster Linie verpflichtet. Also nochmal vielen Dank für das super Gespräch, es hat mir sehr viel Freude gemacht. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, viel Erfolg bei der Versorgung Ihrer Patientinnen und Patienten, und wir hören uns dann bei der nächsten Podcastfolge!
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Sprecher: Das war der infektiologische Klinik‐Podcast des consilium infectiorum. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und freuen uns über Ihre Bewertung oder Feedback an klinik@infectopharm.com. Die E‐Mail‐Adresse finden Sie auch in den Shownotes. Empfehlen Sie den Podcast gerne Ihren Kollegen, denn Wissen wirkt, wenn man es teilt. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!
Ihr Team von InfectoPharm.
Referenzen
[1] Lancet. 2022 Dec 17;400(10369):2221-2248. doi: 10.1016/S0140-6736(22)02185-7
[2] O´Neill et al. Tackling Drug-Resistant Infections Globally: Final Report and Recommendations. 2016.
[3] WHO. Prioritization of pathogens to guide discovery, research and development of new antibiotics for drug-resistant bacterial infections, including tuberculosis. 2017. WHO/EMP/IAU/2017.12
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